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Ein italienischer Faust

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Unter den italienischen Schriftstellern der Gegenwart ist Giovanni Papini auch heute noch die faszinierendste Gestalt, obwohl der am 9. Jänner 1881 in Florenz geborene Journalist und Dichter nicht mehr am Leben ist. Am 8. Juli 1956 wurde Papini in seiner Heimatstadt zu Grabe getragen, geschmückt mit einer Medaille von Papst Pius X. auf seiner braunen Franziskanerkutte. Seine letzten Lebensjahre inmitten seiner Bibliothek von dreiundzwanzigtausend Bänden waren qualvoll. Fast gelähmt und blind, diktierte Papini folgende Worte: „Ich habe den Gebrauch meiner Beine, meiner Arme, meiner Hände verloren, aber ich habe mir den Glauben, den Geist, das Gedächtnis bewahrt. Ich habe immer das Leiden der Dummheit vorgezogen.’ Es waren die letzten Worte vor seinem Tode.

Papinis geistige Entwicklung ist ebenso genialisch, faustisch wie problematisch. Er selbst bezeichnete sich als „fertiger Mensch”, als Kind ohne Jugend, das mit dem fast krankhaften Streben, etwas Großes zu werden, aufwuchs. Frühzeitig mit einer Universalgeschichte und einer unvollendeten Geschichte der Weltliteratur beschäftigt, erhebt er sich als junger Mensch zum ewigen Protest der Jugend gegen eine kümmerliche Umwelt. Der Ekel am Banalen macht ihn zum Wortführer der Anarchisten und zum Zeitschriftengründer der Avantgardisten. Geistige Unruhe läßt ihn an der Philosophie zweifeln. Papini stürzt sich zunächst aus wissenschaftlichem Interesse auf die Genesis, deren Kommentare, liest frühchristliche Streitschriften und findet, zunächst überzeugter Kirchengegner, in den Evangelien die schmerzlich vermißte höhere Wahrheit. 1919 tritt Papini zum katholischen Glauben über. Neben historischen Büchern beschreibt er das Leben des heiligen Augustinus. Sein „Leben des Herrn” wird sogar in sechzehn Sprachen übersetzt. Die Kulturgeschichte seines Landes reinigt Papini von verschiedenen Irrtümern. Die „Briefe Papst Coelistinus’ VI.” ist sein Versuch gewesen, das Weltgewissen zu erreichen. Neben einem preisgekrönten Dante-Buch erreicht Papini mit der Figur des Millionärs als Globetrotter „Gog”, einem satirischen Werk, in dem. die moderne Zivilisation aufs Korn genommen wird, einen nachhaltigen Welterfolg. Das wiederholte sich mit dem „Schwarzen Buch”, einer Sammlung fingierter und frei erfundener Interviews, die wie Bekenntnis und Entlarvung zugleich wirkten. Jedenfalls kam es so weit, daß ein Mann wie Picasso sich veranlaßt sah, die wenig schmeichelhaften Äußerungen eines angeblichen Interviews zu dementieren. Die Phantasie Papinis verwandelte sich für die Öffentlichkeit zur faktischen Wirklichkeit. Das Einmalige sind aber nicht nur .die Interviews mit berühmten Künstlern, Politikern, sondern auch die fixen Ideen von Sonderlingen, in denen der Irrsinn der Menschheit deutlich wird, etwa in der Partei der Lebenden, die jede Erinnerung an die Toten auslöschen wollen, oder gar in der makaberen „Universität für Mörder”. Warnender Höhepunkt ist die Begegnung mit Marconi, dem Erfinder der drahtlosen Telegraphie. Ihn läßt Papini von einer neuen Erfindung sprechen, die alle Bewegungen zum Stillstand bringt, sogar menschliche Herzen.

Ähnlich angelegt ist auch sein Buch „Narreteien”, in dem das phantastische Element mit einem unterirdischen Tempel, der alle großen Herrscher und Monarchen beherbergt, noch größer ist, weil die Toten hier zu Gespenstern ihres Ruhmes verwandelt werden. In diesem Buch findet sich eine Parabel vom Kentaur, der Mensch werden will. Doch eine antike Göttin redet ihm das aus, weil der Mensch Raubtier, Leichnam oder Gott sein möchte. In seinem Buch über den Teufel schließlich ging Papini von der leibhaftigen Existenz des Teufels aus, dessen Wirken er aus verschiedenen Perspektiven einkreist, um es erkennbar zu machen. Papini beruft sich dabei auf die Apokalypse, in der vom „großen Drachen” die Rede ist, der „auf die Erde geschleudert ward”. Zwar fand dieses Buch nicht die Zustimmung der Theologen, aber die kühnen, spekulativen Thesen lassen niemanden unbeteiligt. Im Schaffen Giovanni Papinis vereinigte sich der Wissenschaftler mit dem Dichter, der Zerstörer des Falschen mit dem Anwalt des Wahren.

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