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Kein Unpolitischer

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Welch herzerfrischende Wohltat, einmal ein Nachwort zu einer Werksausgabe lesen zu können, in dem statt einer lauwarm dahinplätschernden Laudatio ein Skandal deutlich ausgesprochen wird, der darin bestand, daß ein bedeutender Schriftsteller von der Nachkriegsgesellschaft fast ganz vergessen worden ist. Es handelt sich um Otto Flake, den der damalige Lektor Rolf Hochhuth wiederentdeckte. Mit der jetzt bei S. Fischer erschienenen Werkauswahl präsentiert Rolf Hochhuth Otto Flake abermals. Und er verdammt jene oberflächlichen Kritiker - um genau zu sein, gemeint ist Hans Albert Walter -, die glauben, Flake herablassend abtun zu können, weil er angeblich unpolitisch gewesen ist.

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Welch herzerfrischende Wohltat, einmal ein Nachwort zu einer Werksausgabe lesen zu können, in dem statt einer lauwarm dahinplätschernden Laudatio ein Skandal deutlich ausgesprochen wird, der darin bestand, daß ein bedeutender Schriftsteller von der Nachkriegsgesellschaft fast ganz vergessen worden ist. Es handelt sich um Otto Flake, den der damalige Lektor Rolf Hochhuth wiederentdeckte. Mit der jetzt bei S. Fischer erschienenen Werkauswahl präsentiert Rolf Hochhuth Otto Flake abermals. Und er verdammt jene oberflächlichen Kritiker - um genau zu sein, gemeint ist Hans Albert Walter -, die glauben, Flake herablassend abtun zu können, weil er angeblich unpolitisch gewesen ist.

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Dabei führte bereits der jugendliche Flake so manchen Strauß gegen die Alldeutschen und Antisemiten. 1917 forderte er Preußen auf, Frieden zu schließen und Elsaß an Frankreich abzutreten, was ihm den Vorwurf des Landesverrats eintrug. Tucholsky hielt ihn für Deutschlands bedeutendsten Essayisten neben Heinrich Mann. Aus Italien wurde er ausgewiesen, weil er den Sturz Mussolinis voraussagte. Flakes Unabhängigkeit zeigte sich auch im Dritten Reich. Sein 1940 erschienenes Straßburg-Buch lizenzierte Militärregierung 1946 ohne jede Änderung. Flake ein unpolitischer Autor? Der vorliegende Essayband läßt manche Wünsche offen, denn die wichtigen philosophischen Untersuchungen fehlen: Die erkenntnistheoretische Schrift „Traktat vom Intensiven“, ein wichtiger Beitrag zur gegenwärtigen Ökologie-Diskussion, der „Traktat vom Schönen“ und der „Traktat vom Eros“ ebenfalls. Zu letzterem schrieb Flake 1945 eine Ergänzung als Ausblick auf die Zukunft Er vertrat die Auffassung, daß die Einordnung des Eros wahrscheinlich einen amazonenhaften, emanzipierten Frauentyp begünstigen werde. In der Bändigung des Dämonischen, in der Abwehr des Radikalismus von Ideen sah er damals die entscheidende Frage nach dem Maß.

In den nun veröffentlichten Uterarischen und historischen Arbeiten tritt die antiideologische Sachlichkeit Flakes klar zutage, der statt eines blassen Humanismus diesen vieldeutigen Begriff auf seine antiken, christlichen und aufklärerischen Ursprünge zurückführte. Seine Vorliebe für die wertende Lebensbeschreibung zeigt sein ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein und entspricht seiner eigenen Maxime „Klarheit, Gelassenheit, Sinnlichkeit, Energie“. Die großen Essays über den Marquis de Sade und Nietzsche gehören zu den Glanzstücken des Bandes. Da Abscheu allein keinen Maßstab liefert, wohl aber die Erkenntnis der menschlichen Natur, sah Flake im Marquis de Sade einen Problematiker und ersten Systematiker der Perversionen. Seit de Sade wird für Flake zumindest in der Literatur deutlich, daß harmonische Charaktere nicht die Norm darstellen.

Der Nietzsche-Essay erweist sich als schonungslose Untersuchung der deutschen Natur, die Ideen stärker ausgesetzt war als andere Nationen, aber kein Verhältnis zur Idee des Maßes fand und im preußischen Staat eine absolute Größe erblickte. Im Begriff des „Ubermenschen“ sah Flake seine Projektion, die als Tyrann lebendig wird, die Wiederkehr des „Vormenschen“, der sich in den „Untermenschen“ verwandelt. Flake scheut sich nicht, Nietzsche zum Klassenphilosophen zu degradieren: „Kleine Leute schwören auf den Vegetarismus, der Ideologe Nietzsche schwört auf den Rausch, auf die Macht, die blonde Bestie.“ Dieses Ur-teü traf den Bildungsbürger der ersten Nachkriegsjahre tief. Flake selbst sprach im Nachwort zur zweiten Auflage vom „Griff ins Wespennest“ und wiederholte noch einmal seine Einwände.

Vorurteile und Denkklischees bekämpfte Flake, wo er sie traf. Voltaires Rolle nur als die eines Spötters und Atheisten zu verstehen, blieb für ihn ein deutsches Fehlurteil, das er überdies für bedenklich hielt, weil damit eine ideologische Kluft zwischen deutscher und französischer Mentalität entstand. Wenn auch ein unwiderlegbarer Gegenbeweis nur anhand der 50bändigen Originalausgabe und der Korrespondenz möglich ist, so erwähnte Flake doch Voltaires Verhältnis zum Christentum. Seine Angriffe auf bestimmte Erscheinungsformen der Kirche schlössen persönliche Beziehungen zu Geistlichen keineswegs aus. Otto Flake, dieser Kosmopolit und Elsässer, der eine wichtige Mittlerstelle zwischen Deutschen und Franzosen einnahm, war ein bedeutender Analytiker europäischer Geistesgeschichte, das zeigt diese Auswahl eindeutig.

FREIHEITSBAUM UND GUILLOTINE. Von Otto Flake. 57 Essays aus sechs Jahrzehnten. Band 5 der Werkausgabe, mit einem Vorwort, „Kurt Tucholsky über Otto Flake“, und einem Nachwort von Rolf Hochhuth. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt, 588 Seiten, öS 323.40.

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