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Eine Welt im Zwielicht

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Georges Bernanos war alles andere als ein gefälliger, volkstümlicher Schriftsteller. An seinen Romanen wird dies besonders deutlich. Während der Polemiker Bernanos die Attacke gegen das Zentrum, den direkten Angriff liebte und einen Stil schrieb, der, gesprochen auf dem Forum, Massen in Bewegung hätte setzen können, ist dieo bei seinen als Romane eingeführten Werken anders. Alles ist hier Dichtung in des Wortes edelster Bedeutung: verdichtetes Leben, gestaltete Impression, gebannte Atmosphäre. Nur in Abstand und als Ganzes eröffnet sich jedes einzelne Buch, wie auch das Gesamtwerk, gleich einem impressionistischen Gemälde. Der starke Eindruck, den Bernanos' Romane zu hinterlassen vermögen, wird allerdings dem versagt sein, der zu nahe an sie herantritt, der Kapitel um Kapitel eine „Handlung“ erwartet, der Seite für Seite nach dem „Schlüssel“ Ausschau hält. Ihm verschwimmen die Konturen, die starken Farben lösen 6ich auf, werden große und dunkle Flecken. Verständnislos zuckt man die Achseln und zollt allein dem Namen des Meisters Respekt. So ist es Bernanos schon oft ergan-den. Zuletzt von Seiten beinahe der gesam-# ten Wiener Filmkritik, die der wohl nicht an Milieutreue und Echtheit der Gesinnung zu überbietenden filmischen Interpretation von Bernanos' Meisterroman „Tagebuch eines Landpfarrer6“ nur einen Achtungserfog bereitet hat. Bernanos kann man sich eben nicht hurtig, zum „Zeitvertreib“ nähern, in einer 6tillen Stunde vielleicht gelingt es. Wäre es nicht so, dann hätte Paul Claudel sich geirrt, als er von Bernanos als dem „Do6tojewskij des Westens“ sprach.

Was hier von Bernanos' Romanen im allgemeinen gesagt wurde, gilt im besonderen von dem vorliegenden Buch. Hier ist alles im Zwielicht. Schon allein die Geschichte der Entstehung. Im Jahr 1946 erschien „Die tote Gemeinde“ unter ihrem ersten Titel „Mon6ieur Ouine“ auf dem französischen Büchermarkt. Das war zwei Jahre vor Bernanos' Tod. Allgemein gilt sie daher als Spätwerk, und auch der Klappentext der Hegner-Bücherei spricht von dem „neuesten und letzten seiner Bücher“. Tatsächlich lag „Monsieur Ouine“ aber bereits 1935 — noch vor der Vollendung des „Landpfarrers“ — im Konzept vor. Der Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges, der ja bekanntlich dem Dichter die Freude am Roman raubte, und das folgende bewegte Jahrzehnt, zögerten die Edition so lange hinaus.

Und Zwielicht breitet sich auch über alle Personen, über ihr Tun und Lassen, über ihre gegenseitigen Beziehungen. Wie aus dem Nebel treten die Gestalten auf. Zuerst nur Schemen, nehmen sie für kurze Zeit Gestalt an, bis ihre Konturen wieder unscharf werden und 6ie dahin gehen, woher sie gekommen: in den Nebel — in6 Zwielicht. Der Knabe Steeny, der in Wirklichkeit Philipp heißt und Gespäche wie ein reifer Mann führt. Ei entflieht seiner Familie und ihren morbiden Verhältnissen. Er schafft auch die Verbindung zwischen allen Personen von Fenouille, dem Dorf in Frankreich. Zwischen der Schloßherrin von Nereis — einer Hexe des 20. Jahrhunderts? — und dem Bürgermeister Arsene, der mit Kübeln voll kalten Wassers alte Schuld abzuwaschen versucht. Das alte Frankreich i6t da: der Bauer de Van-domme. Alt, wetterhart, aber auch von einem tötenden Stolz. Zwei Liebende, die falscher Verdacht in den Abgrund des Selbstmords stößt, und neben anderen eben — Monsieur Ouine: ein später Erbe der Enzyklopädisten und seltsamer Eremit der Aufklärung. Sie alle stehen in den Matrikeln von Fenouille, jener Gemeinde, über deren Dächer hinaus, wie überall, ein Kirchturm gegen Himmel ragt. Aber das alles hat keine Bedeutung mehr. Diese Gemeinde ist tot. Krebs war ihre Todeskrankheit. Lange und langsam — durch Jahrhunderte hindurch — hat er den Organismus zersetzt, Glied um Glied abgetrennt. Das Ergebnis: eine christliche Gemeinde ohne Christen. Der Tod eines Kindes — immer haben die Kinder bei Bernanos Schlüsselgewalt — zerreißt das Bahrtuch, in dem die Gemeinde ihren eigenen Leichnam vor der Außenweit verborgen hielt. Für eine Sekunde fällt durch den Mund eines einfachen Landpfarrers — Bild vom Bild des „Landpfarrers“ — ein befreiendes Wort. Ein Weg wird sichtbar. Aber über ihn fallen wieder die Nebel...

Eine Landpfarre, wohlgemerkt eine Pfarre des „guten, christlichen Landes“, wählt Bernanos als „tote Gemeinde“, zum Spiegelbild einer toten christlichen Gesellschaft. Nicht in die Slums der Großstadt, in die Hinterhöfe des Lebens führt er die Leser, wie Graham Greene. Auch nicht in die zweifelhaften Höhen der „guten Gesellschaft“, die Evelyn Waugh den Stoßseufzer entlockten: „Zehn Jahre in dieser Gesellschaft genügten, um mir zu zeigen, daß das Leben dort oder auch sonstwo unverständlich sei ohne Gott.“ Nein, eine Landpfarre zwischen grünenden Wiesen und keimenden Saaten muß es sein. Bis an die Wurzeln ist also die Zersetzung bereits fortgeschritten.

Ein Wort der Warnung: Wer Bernanos noch nicht kennt, soll sich auf diesen Roman, den £ie Hegner-Bücherei, Wie alle ihre Bücher, in einem bibliophilen Gewand für den deutschsprechenden Leser aufgelegt hat, gedulden. Wen aber Bernanos' Wort schon einmal erreicht hat, der zögere nicht, auch diesen Ruf zu hören. Er kündet von einer Welt im Zwielicht, denn nicht nur das dumpfe bleierne Grau der „Sonne Satans“ lastet über ihr. Auch die Strahlen jener Kraft brechen durch, die unsere Generation wieder gelernt hat, Gnade zu nennen.

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