6597881-1953_18_05.jpg
Digital In Arbeit

N umerus clausus für Priesterromane?

Werbung
Werbung
Werbung

Eines der größten Blätter Oesterreichs schrieb vor einiger Zeit: .Numerus clausus für Priesterromane.' Dieser Satz sollte soviel sagen wie: Genug jetzt von dieser Art Dichtung. Wir sind davon überschwemmt und keines der neuen Bücher dieser Art bietet noch etwas Neues.

Ein Satz, dem eine gewisse Berechtigung scheinbar nicht abgesprochen werden kann. Seit ungefähr zwei Jahrzehnten ergießt sich eine wahre Flut von Priesterromanen über die Welt. Romane, in denen ein Priester die Zentralfigur des Geschehens bildet, und die überwiegend in der heutigen Zeit spielen. Die berühmtesten Dichtungen dieser Gattung wurden Bernanos „Tagebuch eines Landpfarrers“, Greenes „Die Kraft und die Herrlichkeit“ und Guareschis „Don Camillo und Peppone“. Neben diesen drei Welterfolgen können zahlreiche andere mehr oder minder gute Romane dieser Art autgezählt werden. An der Spitze marschieren zweifellos die Franzosen. Neben Bernanos schrieben noch Henri Gheon, Henri Que itelec, Henry B o r d e o u, Gilbert Ces-b r o n, Frangois M au r i a c, Francis J am me s, Paule R e g n i e r, Beatrix Beck u. a. Priesterromane. Bei den Italienern waren es außer Guareschi noch Carlo Goccioli, der in „Himmel und Erde' einen Priesterroman schul und Nicola L i s i, der das italie nische Gegenstück zu Bernanos „Tagebuch eines Landpfarrers“ schrieb. Bei den Iren widmete sich insbesondere Bruce Marshal dieser Dichtung, bei den Flamen und Holländern Timmermans, Cl ae s und Oudendijk, bei den Amerikanern wurde der Roman „Der Kardinal“ von Henry Morton Robinson ein Bestseller und nicht minder das Buch „Wenige sind auserwählt“ von E. J. Edwards. Bei den Deutschen schrieb Franz Herwig mit seinem „Sebastian vom Wedding“ den bedeutendsten deutschen Priesterroman. Neben ihm widmeten sich noch u. a. Edzard S chape r, Stefan Andres, Werner Bergengruen, Joseph Bernhart, Helene H a-j u s c hka, Roman Scholz, Joseph Weingartner diesem Thema. Sogar der Kirche Fernstehende beschäftigten sich zumindest teilweise mit diesem Thema. So Carlo Levi in seinem berühmten Roman „Christus kam nur bis Eboli“ und Ignazio Silone in „Eine Handvoll Brombeeren“.

Dem Leser dieser Romane wird eines auffallen: zunächst, daß es sich immer um Plarrerromane handelt. Fast nie dagegen steht ein mönchisches Schicksal im Mittelpunkt. Ein weiteres Charakteristikum aller dieser Romane kann in zwei Sätzen dargelegt werden. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß „Gott die Menschen braucht“ und anderseits die Menschen den Priester brauchen. Daß, mit anderen Worten, der Priester einmal Stellvertreter Gottes und damit eine Art Vater gegenüber seiner Gemeinde ist, aber anderseits auch — wie es der Hebräerbriel ausspricht — Vertreter seiner Gemeinde gegenüber Gott und damit eine Art ältester Bruder inmitten seiner Mit„brüder“ ist. Es ist das große Verdienst der modernen Priesterromane, daß sie diese Doppelstellung wieder weitesten Kreisen verständlich gemacht haben. Und da diese Doppelstellung am sichtbarsten — zumindest der breiten Masse — im Pfarrer aufscheint, bemächtigte sich eben die moderne Dichtung des Pfarrers und nicht des Mönches.

Wer alle diese Priesterromane überblickt, wird aber noch auf eine seltsame Tat sache stoßen. Auf die Tatsache nämlich, daß innerhalb der letzten 20 Jahre kein großer deutscher Priesterroman erschien, ein Roman also, in dessem Mittelpunkt ein in der Jetztzeit lebender Priester innerhalb des deutschen Räumet steht. Franz Herwigs „Sebastian vom Wedding', der einzige große deutsche Roman dieser Art, erschien bereits knapp nach dem ersten Weltkrieg. Gewiß, es gibt einige tastende Versuche, so insbesondere von den beiden Oesterreichern Joseph Weingartner („Heber die Brücke“, „Unterwegs“) und Roman Scholz („Goneril'), ferner von Hans Watzlik („Der Pfarrer von Dornloh“) und Harald Braun („Die Nachtwache“). Aber die großen Dichtungen von Deutschen auf diesem Gebiet spielen ent weder nicht in der jetzigen Zeit oder nicht im jetzigen deutschen Raum. Stefan Andres „Wir sind Utopia' handelt vom Schicksal eines Priesters im spanischen Bürgerkrieg, Edzard Schapers „Der letzte Advent“ und „Die sterbende Kirche“ spielen in Rußland, und sein Roman „Die Macht der Ohnmächtigen' im napoleonischen Frankreich, Hermann G o h d e s „Der achte Tag“ in ferner Zukunft, Helene H al usch-kas „Der Pfarrer von Lamotte“ in der französischen Schweiz. Die deutsche Dichtung geht mit anderen Worten diesem Problem nicht aus dem Weg, aber sie verschiebt es au! eine andere Ebene.

Eine Tatsache, die tief bedauerlich ist und nachdenken machen müßte. Denn ein Problem wird nicht dadurch gelöst, daß man es verschiebt. Es wird nur dadurch gelöst daß es mutig angepackt wird. Wer aber schreibt den deutschen Bruder des „Don Camillo“, des „Landpfarrers“, des „Die Kraft und die Herrlichkeit“* Eine Reihe antiklerikaler Affekte würden durch eine solche Dichtung weggeschwemmt werden, eine Menge falscher Vaterkomplexe. Eine — so notwendige — Enttraumatisierung könnte dadurch eintreten.

„Numerus clausus für Priesterromane?“ Sicherlich nicht für den noch zu schreibenden großen deutschen Priesterroman.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung