6557375-1948_29_11.jpg
Digital In Arbeit

Georges Bernanos

Werbung
Werbung
Werbung

„Eine große katholische Stimme ist verstummt”, schrieb das kommunistische Parteiorgan „L’Humaniti” zum Tod von Georges Bemanos, und die gaullistische Zeitung „Combat” schloß den Nachruf mit den Worten: „Er war ein freier Mensch”. In seltsamer Einmütigkeit und echter Trauer vereinten sich so die Stimmen aus allen Lagern am Grabe dieses unabhängigen Einzelgängers, der zu Lebzeiten stets unbekümmert seine Angriffe nach rechts und links — und besonders gegen die Mitte — geführt hatte. War nicht vielleicht überhaupt das Wesen dieser markanten und doch nicht leicht zu fassenden Gestalt in der Vereinigung oft krasser, scheinbar unvereinbarer Gegensätze gelegen?

Die Vereinigung dieser Gegensätze zeigt sich in seiner lothringisch-spanischen Abstammung ebenso wie in der seltsamen Zweiteilung seines äußeren Lebens, dessen erster, längerer Abschnitt ihn auf den bescheidenen Platz eines Versicherungsinspektors in der Provinz führte — bis dann der gewaltige Erfolg seines ersten Romans „Unter der Sonne Satans” im Jahre 1926 den Achtunddreißigjährigen plötzlich in die erste Reihe der Geister seiner Heimat rückte und ihn als Schriftsteller und Publizisten zu einer Macht werden ließ, deren eigenwillige Stimme nicht nur in literarischen, sittlichen und religiösen, sondern auch in den politischen Schicksalsfragen der folgenden Jahrzehnte nicht überhört werden konnte. Ein überzeugter Katholik, der zur Zeit des spanischen Bürgerkriegs die schwersten Anklagen gegen einen Teil des spanischen Klerus erhob. Ein französischer Royalist mit antisemitischen Neigungen, zugleich ein erbitterter Gegner des Vichy-Regimes. Ein sehnsüchtiger Verehrer des guten alten Frankreich”, zugleich die Geißel der Gutgesinnten”, der lauen und bequemen Bourgeoisie. Ein christlicher Schriftsteller, in dessen Werk die Darstellung und Bloßstellung des Bösen, der Sünde und des Lasters den breitesten Raum einnahm. Kind unserer Zeit in ihrer ganzen Zerrissenheit, das die moderne Maschinenkultur, überhaupt die moderne Technik der „Roboter” bedingungslos ablehnt. Ein überzeugter Europäer, der doch zweimal diesem Kontinent entfloh, zuletzt nach seiner Rüdekehr aus Brasilien das geliebte Frankreich und Europa mit den schärfsten Worten tadelte und sich nach Hammamet in Tunesien zurückzog, in jenen kleinen Ort zwischen Meer und Gebirge, der in der Verbindung einmaliger paradiesischer Naturschönheit v mit dem widernatürlichen Raffinement eines Teils seiner Bewohner, dem berüchtigten Luxus der arabischen und französischen Millionäre wie ein Symbol der das Werk des Schriftstellers Bernanos beherrschenden Gegensätze, der Sehnsucht nach Unschuld, Reinheit, Einfachheit, ja Heiligkeit und dem fast fiebrigen, jägerischen Aufspüren von Sünde, Laster und Unreinheit erscheint.

Man muß, will man den mit Recht in die Nähe seines großen Vorbilds Balzac und Dostojewskis gerückten Schriftsteller Bernanos verstehen, doch wohl von seiner katholischen Frömmigkeit ausgehen, von der er selbst erst kurz vor seinem Tod gesagt hat, daß 91’e von Anfang an, nie wirklicherschüttert, sein Lehen beherrscht hat. Fast habe er sich manchmal, fügte er mit der ihm eigenen sarkastischen Ironie hinzu, in einer Zeit der aufsehenerregenden Konversionen von Schriftstellern und Intellektuellen versucht gefühlt, sich dieser seiner unproblematischen Religiosität zu schämen. Von diesem sicheren festen Grund aus stieß er immer wieder in das Reich der Sünde, des Bösen, ins Reich Satans vor, um den lau, matt und selbstzufrieden gewordenen Menschen die Realität der Erbsünde, die Aktualität des Kampfes zwischen Gott und dem Teufel um die menschliche Seele schonungslos deutlich vor Augen zu führen. Und weil er diese müde und stumpf gewordenen Menschen nicht anders aufjagen konnte, griff er zu cjfn äußersten Mitteln, zum Schock, zum Skandal, tauchte er „seine unbarmherzigen Visionen sozusagen in heiligen Unflat”, wie jüngst einer seiner Kritiker (Jean Lamy) richtig sagte. Die oft krassen, paradoxen, aber stets anschaulichen Bilder jagen sich. Da vergleicht er einmal die Kirche mit einer Eisenbahngesellschaft, ihre Priester und Heiligen mit dem Bahnpersonal, die großen religiösen Krisen und Glaubensspaltungen mit Eisenbahnkatastrophen. Dann behauptet er, daß den Kathedralen und Kreuzzügen als Gemeinschaftswerk unserer Zeit der Schwarze Markt entspräche und wir Kathedralen aus raffgierigen Händen errichteten, ja, daß diese Hände an uns noch das einzig Lebendige wären.

Mit untrüglichem Instinkt für die Übel und Schäden einer kranken Zeit hat er vor allem in den letzten Jahren seines Lebens die beiden großen Feinde der heutigen Menschheit immer wieder angegriffen: den eiskalt und unfruchtbar gewordenen Intellektuellen, der unter der Gestalt des „M o n- sieur Ouine” in seinem letzten gleichnamigen Roman (1946) wie die Verkörperung eines großen Teils der zeitgenössischen französischen und europäischen Geistigkeit erscheint und den die Mensdien zu Maschinen erniedrigenden, Freiheit und Menschenwürde ertötenden modernen „totalitären Ameisenhaufen”, den er in „La France contre les robots” (1947) und in seiner aufsehenerregenden Rede der Genfer „Rencontres Intemationals” von 1946 mit stürmischer Vehemenz angriff. Gegen beide Gefahren rief er zum Aufstand, proklamierte er „die Revolution der Revolutionen, die Revolution des nach dem Ebenbild Gottes geschaffenen Menschen gegen die Materie, die sich den Menschen heimtückisch, von Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr unterworfen hat, während er sich der Illusion hingab, sie zu beherrschen”.

Bernanos hat einmal darüber geklagt, daß es heute die großen Bußprediger nicht mehr gäbe, die im Mittelalter in Frankreich und Italien das Volk aufwühlten und erschütterten. In den Formen unserer Zeit ist er, der moderne Schriftsteller, Publizist und Journalist, doch selbst ihr Erbe und Nachfolger geworden .

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung