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Kriminalschriftsteller Georges Bernanos

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Als Bernanos einen Kriminalroman schreiben wollte — besser gesagt, schreiben sollte, denn von wollen kann wohl keine Rede sein, wenn man einzig und allein wegen 60 Franc pro Seite zur Feder greift — konnte so ein Unterfangen einfach nicht gut ausgehen. Die Situation: Das „Tagebuch eines Landpfarrers“ ist noch nicht geschrieben, von einem Buch, das einmal „Die tote Gemeinde“ heißen wird, hat selbst Bernanos nur geringe Ahnungen.

Gar keine aber von der Tragödie des spanischen Bürgerkrieges, die ihm bald den zornigen Aufschrei der „Großen Friedhöfe unter dem Mond“ abringen und zum Polemiker von europäischem Format machen wird. *

Man schreibt cÄs Jahr 1934. Der Dichter ist nach seinem Motorradunfall als Krüppel auf seiner unsteten Wanderschaft an der Mittelmeerküste in Hyeres gelandet. Die Tantiemen von der „Sonne Satans“ fließen spärlich, die Kinder haben Hunger... Da macht der hilfsbereite Verleger Bernanos auf eine Spezies „Literatur“ aufmerksam, die ihre Herren und Meister wohl ernähre: der Kriminalroman. Bernanos erkennt die Versuchung und widersetzt sich ihr, erklärt seine mangelnde Eignung — und schlägt schließlich, das Elend seiner Familie vor Augen, ein. Er wird es versuchen. Diese Versuchung, dieser Versuch hat die beiden vorliegenden Bücher zum Ergebnis.

Zwei Bücher? Steht es nicht für jeden, der Bernanos auch nur ein wenig kennt, fest, daß der „Dostojewski des Westens“, dessen Todestag sich gerade jetzt zum fünften Male jährt, schon nach einem in zäher Kleinarbeit sich abgerungenen Manuskript mit einer wilden Gebärde die Feder weggeworfen und resignierend seine Unzuständigkeit für das Metier des Kriminalschriftstellers zugegeben hat ? So aber hat der Kriminalschriftsteller Bernanos gar zwei Bücher hinterlassen?

Die Sorge der Freunde des Dichters Georges Bernanos ist unbegründet, es wurde nämlich niemals auch nur ein einziges Buch fertig, das den Titel Kriminalroman zu Recht trug und unter einem buntschillernden Schutzumschlag Massenware wurde. Bücher haben ihre Geschichte, die beiden vorliegenden haben eine gemeinsame Geschichte. Albert Beguin hat sie in „La Table ronde“ (Oktober 1950) erzählt. Oft und in vielen Sprachen wurde sie seither nacherzählt, ihre abermalige Wiederholung in knappen Sätzen ist aber zum Verständnis unerläßlich.

Bernanos arbeitet fleißig an seinem Kriminalroman. Ein einsames Gebirgsdorf, ein dunkles Kastell, ein auf seinen neuen Herrn wartender verwaister Pfarrhof werden anschaulich gezeichnet. Dunkel sind die Farben der Palette, die schwarzvioletten Töne überwiegen. Ein Schuß nach Mitternacht — jetzt ist er mitten drinnen in der echten Kriminalstory. Ein eigenartiger junger Pfarrer taucht auf, der ... aber bei einem echten Kriminalroman muß ja auch der Rezensent mitspielen und über den Ablauf der Handlung Schweigen bewahren. Bald ist der erste Teil fertig, rasch den Titel darüber gesetzt, wenn schon ein Kriminalroman dann der Titel recht knallig, also gleich „E i n Verbrechen“ und fort geht die Post nach

Paris. Von hier kommt zustimmende Antwort und die vereinbarten 60 Franc pro Seite. Gerade genug Geld für den Umzug auf die Balearen, wo das Leben billiger sein soll. Rasch den Schluß, der die Person der Täterin psychologisch erklären soll — und schon war das „Unglück“ geschehen. Der Romancier Bernanos vergaß auf den Kriminalschriftsteller Bernanos und setzte zu einem großen Seelengemälde an. Die Reaktion des Verlages ist dementsprechend negativ, das Manuskript des zweiten Teiles geht zurück, Bernanos möge sich etwas dem Genre Entsprechenderes einfallen lassen. Und dieser läßt es sich, wenn auch unter der Klage: „Es ist hart, aus den Gedärmen eines Bernanos fünfzig Seiten Kriminalroman herauszuziehen . ..“. Unverkennbar ist der Bruch: Aber: „Ein Verbrechen“ erscheint 1935. Der Erfolg, auch der finanzielle, ist mäßig.

Die zurückerhaltenen Kapitel aber werden sorgfältig verwahrt, sie bekommt niemand zu Gesicht, bis Albert Beguin nach dem Tode Bernanos' im Nachlaß ein vollständiges Manuskript entdeckt, dessen Kern eben jene zurückgewiesenen Kapitel aus der Zeit bilden, als Bernanos Kriminalschriftsteller werden wollte: „Ein böser Traum“. Ein alternder Schriftsteller, bei dessen Beschreibung Bernanos wohl ein wenig in den Spiegel — in einen Zerrspiegel freilich — geschaut hat, eine Jeunesse, die sich für doree hält und aus purer Langeweile zum Rauschgift greift, im Seidenhemd kommunistische Aktionen leitet oder sich eine Kugel durch den Kopf schießt, bilden den Hintergrund einer dunklen, todessüchtigen Gesellschaft. Aus ihrer Mitte steigt empor das kalte Licht der Gräfin Simone Älfieri, die Tochter der Lüge, Abbild eines gefallenen Engels. Sie geht ihren Weg, den nur das Schemen eines Priesters kreuzt — zum Verbrechen.

Und hier kann man haltmachen und mit Bernanos um das „Ist gerettet“ auch dieser Seele beten oder wieder bei Seite 1 von „Eih Verbrechen“ zu lesen anfangen, um am Ende des dröhnenden „Ist gerichtet“ gewiß zu sein. Alles fällt dann ab. Auch die Erinnerung, daß Bernanos einmal auszog, um nur einen Kriminalroman zu schreiben. Vergessen der Gedanke. Und deshalb muß man Emil Barth, dem Kritiker der „Neuen Zeitung“, beistimmen; wenn er trotz der abgeschlossenen Handlung jedes der beiden Bücher festere Fäden zwischen dem „Bösen Traum“ und dem „Verbrechen“ geknüpft sieht, als es Eckart Petetich in seinem Nachwort wahrhaben will.

Für Leser, die noch keine Zeile von Bernanos kennen: Zuerst das „Tagebuch eines Landpfarrers“ lesen, dann „Die tote Gemeinde“ oder die polemischen Schriften und erst dann — vielleicht — die beiden vorliegenden Bücher. Jene aber, die Bernanos und seine Werke kennen, dürfen an ihnen nicht vorübergehen. Sie treten damit freilich abermals unter die schwarze „Sonne Satans“, in eine grau verhangene Welt, in der das Furchtbare nicht einmal Laster und Verbrechen sind, hier ist immer noch Hoffnung, sondern das „Non serviam“, das Ich-will-nicht-Dienen, das Ich-kann-nicht-Lieben.

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