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Vom Martyrium der Angst

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Mailand in März

In einer’ Aamosphäre von .Ängst und Unsicherheit schrieb Gertrud von Le Fort zwischen den” beiden Weltkriegen die Novelle „Die Letzte am Schafott”; und drei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges verfaßte ein schwerkranker Dichter, von Todesangst gequält, nach dieser Novelle ein Filmszenarium: „Die Gespräche der Karmeliterinnen”; sie waren Georges ‘Bern an os’ letztes Werk. „Die begnadete Angst”, so hieß der Titel der deutschen Bühnenfassung, wurde nach der Zürcher Uraufführung auch vom Wiener Burgtheater erfolgreich herausgebracht.

Francis Poulenc, neben Honegger und Milhaud einer der „Six”, deren geistiger Vater Jean Cocteau war, schuf nun in mehr als dreijähriger Arbeit die Musik zu einer dreiaktigen Oper, die den Text von Bernanos nahezu ungekürzt und fast unverändert übernimmt und — keine Oper ist, kein Musikdrama in dem Maße nämlich, in dem auch „Die begnadete Angst” kein Drama ist, sondern ein Schau-Spiel, ein Bilderbogen menschlicher Leidenschaft und Angst.

„In Poulenc wohnen zwei Seelen: die eines Mönches und die eines Lausbuben”, so charakterisiert Claude Rostand treffend den Komponisten, der einerseits scharmante, geistvolle, witzige und auch allzu gefällige Werke und anderseits eine Messe, ein „Stabat Mater” und andere religiöse Kompositionen schrieb. Daß seine „Gespräche der Karmeliterinnen” an die Musik Mozarts und Scarlattis anknüpfen, wie Milhaud von Poulenc’ früheren Werken meinte, kann allerdings nicht behauptet werden. Dagegen sind Einflüsse von Monteverdi (im dramatischen Rezitativ der Gespräche religiösen

Inhalts, die einen beträchtlichen Teil der Oper ein- nebmen) deutlich erkenjibąr. Anlehnungen an Yerdi, Massenet und Gounod oft nur schwer und die Verwendung von Mussorgskys Instrumentarium schon gar nicht zu überhören.

Unbestritten bleiben vereinzelte musikalische Höhepunkte der Tragödie der unschuldig hingerichteten Karmeliterinnen von Compiėgne, so eine Arie der kleinen „Blanche von der Todesangst Christi” (V. Zeani), die aus Angst vor der Welt ins Kloster flüchtet, dort infolge der herannahenden Revolution neuen Aengstigungen ausgesetzt ist, ein Martyriumgelöbnis ablegt, von erneuter Angst gepackt aus dem Kloster flieht, in Paris untertaucht und zuletzt freiwillig den Märtyrertod in Ueberwindung aller Angst stirbt. Unbestritten auch die Wirkung der Schlußszene; doch eine mehr als dreistündige Oper verlangt entschieden mehr als einzelne Höhepunkte und ein ergreifendes Finale.

Dennoch wurde diese Mailänder Uraufführung ein beachtlicher Erfolg, der zu denken gibt: Ist das Publikum der Scala noch unberechenbarer geworden als früher oder fühlten sich die Leute wirklich angesprochen? Hoffen wir das, und rechnen wir jenes doch mit ein. Verdient hat Poulenc den Erfolg gewiß für seine unzweifelhaft ehrliche, wenn auch nicht recht geglückte Leistung, verdient hat ihn auch der Dirigent N. Sanzogno, der dem Werk in der traditionsgebundenen Inszenierung M. Wallmanns mit den anspruchsvollen Bühnenbildern G. Wakhe- vitchs zu einer mustergültigen Aufführung verhalf. Von den Sängern sei G. Pederzini als die alte Priorin, die mutig und selbstbeherrscht lebt und schließlich die schlimmste Todesangst aussteht, besonders hervorgehoben.

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