6735024-1966_16_15.jpg
Digital In Arbeit

Erik Satie in der „reihe“

Werbung
Werbung
Werbung

„Ich bin sehr jung in einer sehr alten Zeit zur Welt gekommen“, schrieb Satieauf den Entwurf zu seinem eigenen Denkmal (das nie ausgeführt wurde). Der Sohn eines Normannen und einer Schottin — sein bürgerlicher Name war Alfred Erik Leslie — begann noch während der Studienzeit am Conservatoire seine Musikerlaufbahn als Pianist in dem Kabarett „Chat Noir“. Gleichzeitig stand er den Rosenkreuzern nahe, für deren Zeremonien er die „Sarabandes“ und die „Gymnopė- dies I—III“ schrieb, die Debussy später instrumentierte. Der am 17. Mai 1866 Geborene begann 1905 nochmals von vorne zu studieren, und zwar in der strengen Schola Cantorum bei d’Indy und Roussel. Mit Cocteau, Picasso und Massine als Choreographen schuf er 1916 das Ballett „Parade“, das im Jahr darauf einen Skandalerfolg hatte. 1918 schrieb er im Auftrag der Princesse de Polignac sein reifstes Werk, das halbstündige „drame symphonique“ (das eigentlich ein Kammeroratorium ist) mit dem Titel „Socrate“. Es ist für Kammerorchester und vier Frauenstimmen gesetzt, die die Partien des Sokrates, des Alkibiades, der Phädra und des Phädon vortragen, und zwar in einem ziemlich gleichförmigen Rezitativstil, auf den von Victor Cousin recht trocken aus dem Griechischen übertragenen Text der Dialoge Platos.

Mit Recht hatte Friedrich Cerha dieses Werk, das ein Musterbeispiel für jenen Stil ist, den die Franzosen mit dem Wort „depouillė“ bezeichnen, an den Anfang seines Satie- Konzertes im Mozartsaal gesetzt. In der Tat wirkt diese Musik so, als sei sie auf dem kahlen Boden Attikas und in einem Licht gewachsen, das die Konturen so klar hervortreten läßt, wie kein anderes.

(Marie Therese Escribano, Meriel Dickinson, Kunie Sukamoto und Gerlinde Lorenz waren die ausgezeichneten Solistinnen.) Der 2. Teil war als Retrospektive angelegt. Nach den 1920 geschriebenen, von Rabelais inspirierten „Trois petites pieces montėes“(von je einer Minute Dauer) folgten „Sieben Tänze“ aus „Le Piege de Meduse", einer surrealistischen Komödie, die Satie dem von Meisterhand ausgestopften Affen Jonas zugedacht hatte. Die Gesamtdauer dieser überaus reizvollen, witzig-trocken instrumentierten Suite beträgt knapp fünf Minuten und ist nur mit den beiden kleinen Suiten, die Strawinsky um 1920 geschrieben hat, zu vergleichen. Aber Saties Miniaturen sind von 1913! Aus dem gleichen Jahr stammen die „Embryons dessėchės“, Aperęus über das Innenleben einiger phantastischer Meerestiere, jeweils zweiteilige Stückchen, deren Text teils gesprochen, teils melodramatisch untermalt wird (Friedrich Cerha hat sie instrumentiert). Leider ohne den parodistischen Text hörten wir dann das „amerikanische Intermezzo“ mit dem Titel „La Diva de l’Empire“ von 1900, in welchem der Jazz-Chansonstil der zwanziger

Jahre auf unbegreiflich hellhörige Weise vorweggenommen ist. „Gym- nopėdie“III und I, von Debussy instrumentiert, enthalten wichtige und charakteristische Elemente des Impressionismus. Sie stammen aus dem Jahr 1888, als Debussy seinen neuen Klavierstil in den beiden Arabesken tastend erprobte… So vermittelte uns diese Retrospektive (im doppelten Sinn) das Hörbild eines Musikers, der zu den größten Novatoren und Anregern der Musik unserer Zeit gehört. (Saties Persönlichkeit und der von ihm beeinflußten „Gruppe der SIX“ waren zwei Sonderseiten in den Nummern der „Furche“ 26 und 37 von 1961 gewidmet.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung