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Geburt der Filmmusik und Filmmusik heute

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Georges Auric gehörte in den zwanziger Jahren zu jener Komponistengruppe „Les six", die der modernen französischen Musik ihren Stempel aufgedrückt hat. Auric schrieb bereits zahlreiche Werke und gilt durch seine Arbeit mit René Clair und Cocteau als einer der, interessantesten Komponisten französischer Filmmusik.

Heute kann niemand mehr bezweifeln, daß wir dem Film die Entstehung wertvoller musikalischer Werke verdanken. Um zu verstehen, wie es dazü kam, muß man zu den fangen des Tonfilms zurückkehren und sich vorzustellen versuchen, welches Ereignis es für einen Musiker war, als er zum erstehrtial gebeten wurde, eine Filmmusik zu komponieren. Man muß diese Anfähge bedenken, um die zahlreichen Fehler verstehen zu können, die begangen wurden und die die Entwicklung dieses Kunstzweiges sehr behindert haben.

Zur musikalischen Untermalung des Stummfilms hatte man stets bereits vorhandene Musikstücke adaptiert, wenn auch Komponisten wie Saint-Saëns, Florent Schmitt und Rabrtud einige Partituren für Filmmusik geschrieben haben, die heute verschollen sind.

Damals aber konnten die Komponisten noch nicht ahnen, welche Zukunft der Filmkunst besdiieden war. Der erste, dem dies zum Bewußtsein kam, war Hon- egger, und zwar zur Zeip als er mit Abel Gance an dem Film „La Roue“ (Das Rad) arbeitete. Ich erinnere mich, damals bei Honegger einen kleinen Apparat gesehen zu haben, der ihm erlaubte, die Zeit in bezug auf die Länge des Filmstreifens zu messen: das erschien mir sehr erstaunlich. Man glaubte allgemein, daß Filme nur von Auszügen aus dem „klassischen" Repertoire begleitet sein könnten, und die Verleger lieferten lau fend passende Stücke für Verfolgungsjagden, Entführungen bei Mondenschein usw.

Als die ersten Tonfilme eine nur für sie geschriebene Musik erforderten, wußten die Komponisten zuerst gar nicht, was sie tun sollten.

Ich stand vor Problemen, die in jenen Jahren gar nicht leicht zu lösen waren.

Heute ist das durch die Entwicklung der Aufnahmeverfahren ganz anders geworden.

Was die Rolle der Musik im Zusammenhang mit der Handlung betrifft, so hat vor allem das Beispiel von Walt Disneys wunderbaren Zeichenfilmen großen Schaden angerichtet. Beim Zeichenfilm wird nämlich dër Schnitt jeder Note der Musik angepaßt, während es sonst üblich ist, dem Komponisten eine fertige Szene vorzuführen, zu der er dann die Musik schreiben muß.

Niemals wieder, fürchte ich, werde ich eine Filmpartitur unter solchen Bedingungen schaffen können, wie sie mir René Clair für „A nous la liberté" vorgeschrieben hatte. Der Vertrag sah vor, daß ich jeden Tag den Dreharbeiten beiwohnen, in der Nähe des Studios wohnen und allabendlich die neu gedrehten Szenen ansehen müsse

Der große Fehler der frühen Filmmusik bestand meiner Ansicht nach darin, daß man, wie in den Zeichenfilmen, absolute Gleichzeitigkeit zwischen musikalischem Ausdruck und Bewegung anstrebte.

Heute wirkt diese Auffassung nur mehr komisch, damals aber war es ganz selbstverständlich, einen Mord durch einen lauten Akkord zu Unterstreichen, worauf das Publikum natürlich zu lachen anfing.

In Wirklichkeit handelt es sich aber nicht Um die musikalische Untermalung von Bewegungen, sondern vöh ganzen Szenen. Ich lese immer zuerst das Drehbuch und wähle jene Szenen aus, die meiner Meinung nach einer Musikbegleitung bedürfen, dann spreche ich mit dem Regisseur darüber. Wenn es möglich ist, sehe ich mir den Film während der Dreharbeiten an, wenn nicht, wohne ich nur der Vorführung der ersten rohen Fassung bei und lasse mir die Dauer der verschiedenen Szenen genau angeben. Eine sehr präzise Arbeit ist unbedingt notwendig und man muß daher wissen, daß diese oder jene Szene 11 Minuten und 5 Sekunden dauert.

Heute, und besonders mit Jean Cocteau, arbeite ich anders. Für „La belle et la bete“ zum Beispiel hatte Ich für manche Schloßszenen eine fortlaufende Musik geschrieben. Jean Cocteau aber hatte den ausgezeichneten Einfall, die Musik durch Intervalle vollkommeher Stille unterbrechen zu lassen. So hat mich Cocteau auf die Bedeutung der Stille hingewiesen und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Im allgemeinen gibt es, finde ich, allzuviel Musik in den Filmen. Ich freue mich sehr, wenn ein französischer Regisseur von mir Musik für drei Viertel seines Films verlangt, aber ich glaube, daß er es nicht sollte. Die Engländer haben zur Filmmusik eine ganz andere und sehr interessante Einstellung. Ich habe in England an Filmen mitgearbeitet, in denen es im ganzen nur eine Viertelstunde lang Musik gab, aber an so wichtigen Stellen, daß die Zuschauer sie nicht überhören konnten, während ich in Frankreich manchmal Filme gemacht habe, deren dauernde Musikbegleitung unbemerkt blieb. Uber die Frage, ob man die Filmmusik bemerkeh soll oder nicht, kann man lange Zeit diskutieren. Mit gefiel einmal ein Satz des Regisseurs Maurice Tour- neur, mit dem ich bei dem Film „Hell im Frauensee “ (Lac aux Dames) zusammengearbeitet hatte. Auf die Frage, was er von meiner Musik halte, antwortete er: „Sie muß sehr gut sein, denn sie ist mir überhaupt nicht aufgefallen. Das meinte er als Kompliment und ich verstand ei auch so.

Ich glaube übrigens, daß man Filme ohne Musik drehen kann und daß man es, aus Abscheu vor der übertriebenen Verwendung der Musik, auch bald tun wird. In der Tat denken manche Regisseure, daß man eine verpatzte Szene durch eih bißchen Musik verbessern kann: in Wirklichkeit tritt dann, was schlecht an ihr ist, nur deutlicher hervor. Hingegen kann die Musik die Wirkung der Handlung steigern und vertiefen, wie es durch Weills Musik in der „Drei-Groschen-Oper“ geschieht und wie ich es auch in „La belle et la bete“ versucht habe.

Cocteau läßt übrigens die Müsik einfach aufnehmen und führt dann selbst eine Art musikalischer Schnittarbeit durch, und zwar mit dieser nur ihm eigenen Begabung, die ihm eingibt, wie alles letzten Endes sein soll.

Er meint, daß der Zufall ein großer Künstler sei und man daher bloß irgendeine Musik zu verwenden brauche. Ich glaube aber nicht, daß das richtig ist: es geschehen zwar manchmal Wunder, doch soll man daraus keine Routine machen.

In „Orpheus" gibt es eine Szene (Orpheus geht zur Polizei und trifft unterwegs die Todesprinzessin); in der die Musik in keinem Zusammenhang zur Handlung steht, weil Cocteau zufällig die Musik an einer anderen Stelle verwendet hat, und dennoch ist es, als ob sie nie für eine andere Szene geschrieben worden wäre, so sehr ist sie am rechten Ort.

Für diese Episode hatte ich ursprünglich eine sehr angstvolle Musik komponiert, die Cocteau nunmehr für die komische Szene, in der Orpheus es nicht mehr wagt, seine Frau anzublicken, verwendete und ich muß sagen, daß sie hier sehr wirkungsvoll ist, was seine Theorie zu bestätigen scheint.

Trotzdem glaube ich nicht, daß man immer heitere Musik für dramatische Szenen und umgekehrt verwenden soll, das würde sehr bald zu einem langweiligen, konventionellen Trick werden.

Abschließend kann man sagen, daß die Filmkunst noch an ihrem Anfang Steht, aber, ich bin überzeugt, daß sie eines Tages ihre Schwierigkeiten überwinden wird. Dann wird es immer noch Durch- schnittsfiltne mit DurchschnittsmuSik geben, daneben aber auch Filme, die für die Entwicklung der modernen Musik bedeutungsvoll sein werden.

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