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Pirandello sucht Schauspieler

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„Die Sünde ist in den Gedanken“, heißt es vorahnend schon in Büchners „Dantons Tod“. „Die Wirklichkeit ist in den Gedanken“, sagt mehr als hundert Jahre später der Schriftsteller Ludovico Nota bei Luigi Pirandello. Er zieht mit romanischer Unerbittlichkeit die letzte Konsequenz des klassischen Idealismus. Härter und verzweifelter als sein gleichzeitig wirkender Landsmann Benedetto Croce, der in dieser Eigenbewegung des Geistes, der sich selbst die Wirklichkeit als Exerzierfeld und Bühne schafft, noch eine Entwicklung zur Selbsterlösung des Menschengeschlechtes sehen will. Der große Liberale steht im 19. Jahrhundert. Pirandello ist der Mann des zwanzigsten. Mit Strindberg zusammen hat er das diesem Zeitalter gemäße Theater geschaffen. Es ist gut und richtig, daß man ihn gerade jetzt, da man auf den zeitlichen Abstand hin seine Dimensionen zu erkennen beginnt, immer wieder spielt, sich immer gründlicher um seine Interpretation bemüht. Das -Theater in der Josefstadt scheint uns von allen Wiener Bühnen für diese Aufgabe am berufensten zu sein. Aber sie ist nur zu lösen, wenn man konsequent bis ins Letzte weiß, was man will. Besser gesagt: was Pirandello wollte und was man davon als wesentlich für heute ansieht.

Edwin Z b o n e k, der Regisseur, wußte dies nicht genau. Vielleicht wußte es dieser sehr intelligente und für solche „Wellenlänge“ auch besonders empfängliche Theatermann auch selbst und konnte es mit den ihm zur Verfügung stehenden Schauspielern einfach nicht in die Bühnenwirklichkeit umsetzen. Was geht in diesem Stück „Die Nackten kleiden“ vor? Ein junges Kindermädchen macht einen mißglückten Selbstmordversuch. Ins Leben zurückgeholt, wird sie mit allen jenen konfrontiert, die mittelbar und unmittelbar an ihrer Tragödie Schuld tragen. Die Wirklichkeit der Bühne ist ihre Wirklichkeit, ist ihre sehnsüchtige oder ängstigende „Vorstellung“. Wer hier auftritt, muß den Charakter des Imaginierten, des in der Phantasie „Verrückten“, tragen. Erst am Ende, da das Mädchen Ersilia zum zweitenmal Gift nimmt und gesteht, daß ihr Sterbenwollen mir der Versuch war, dem in Scherben zerbrechenden Leben nachträglich einen Sinn zu geben, gehört ihr die Bühne allein. Um den Preis des Lebens ist sie nun Herrin der Wirklichkeit geworden. Gottfried Neumann-Spallarts Bühnenbild mit den Effekten einer Stumm-filmdekoration entsprach Pirandello am besten, nicht ganz so konsequent waren die zwischen Zeittreue und Stilisierung unentschiedenen Kostüme von Hill R e i h s -G r o m e s. I>ie Schauspieler aber konnten einfach nicht zueinanderfinden. Da war Guido W i e 1 a n d, ein ungemein intensiver, menschlich ergriffener Schriftsteller, der aber viel zu sehr i m Stück stand, zuwenig kalte Distanz zur Handlung selbst besaß. Da war der Liebhaber (Walter K o h u t), der sich um dieses groteske „Draußensein“ vielleicht bemühte, im Effekt aber nicht über groteske und unfreiwillig komische Krampfgebärden hinauskam. Da war der Konsul (Michael T o o s t), der einen leicht bekümmerten Lebemann spielte, aber nicht das faszinierend-dämonische Sdhreckbild elementarer Erotik, das er in der Phantasiewelt des Mädchens darstellen soll. Näher an diese Doppelbödigkeit des Bedrohlichen im Banalen kam die Zimmervermieterin der Gretl Elb. Nicole Heesters verblieb die Aufgabe, nicht nur ihre eigene Rolle, sondern die widergespiegelte Umwelt ihrer eigenen Phantasie auch noch mitzuspielen. Sie wurde dieser Anforderung gerecht. Diese Schauspielerin wächst von Rolle zu Rolle. An diesem Abend hat sie sich ein neues Reich erobert. Mit Recht galt ihr der stärkste Beifall des Publikums.

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