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In der vierten Dimension

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Das Testament Luigi Pirandellos enthielt neben der Verfügung, seine Asche in alle Winde zu zerstreuen, das nachdenkliche Bekenntnis zum Satz des alten Sophisten Gorgias: „Nichts ist. Wenn etwas wäre, könnte man es nicht wahrnehmen. Wenn man es wahrnehmen könnte, könnte man es nicht mitteilen. Also ist nichts.“ Sein dramatisches (zum Teil auch erzählerisches) Gesamtwerk ist von diesem Schlüsselsatz aus zu verstehen. Es hat eine Epoche der Theatergeschichte eingeleitet und zugleich eine Grenze, gezogen, hinter die man nicht mehr zurück kann. Die Bühne ist nicht mehr Abglanz der Wirklichkeit. Sie ist „zweite Wirklichkeit“, Antithese der Wirklichkeit schlechthin. Eine neue Humanität begründet sich durch dieses Infragestellen des scheinbar Unausweichlichen, Determinierten, Massiven. Der Mensch wird vor den Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten in Schutz genommen. Bühne wird Asylland und Reich seiner Freiheit, Theater als moralische Anstalt in einem neuen Sinn. Die Aufführung des Theaters in der Josef stadt war der Beitrag zum Welttheatertag, wie man ihn sich kaum überzeugender denken kann. Die Regie Werner Krauts tat recht daran, auf Aktualisierung zu verzichten. „So ist es — ist es so?“ wirkt auch dann, wenn man es im Milieu seiner Entstehungszeit beläßt. Die Kostüme (Hill R e i h s - G r o-m e s) waren in dieser Hinsicht konsequent, Gottfried Neumann-Spallart s Bühnenbild versuchte Surrealismus. Drei Figuren trugen diesen Abend. Helene T h i m i g, die Mutter, und Walter K o-hut, der Sohn: beide durch eine Wahnidee aneinandergekettet, die in ihrer Widersprüchlichkeit dieselbe Realität auszudeuten sucht. Ihnen beiden war die glaubwürdige Leidenschaft zu eigen, die Pirandellos Figuren zur Selbstfindung treibt. Großartig der Dritte dieses Spiels mit der Wirklichkeit: Guido Wielarid. Die Rolle dieses Regisseurs und Kommentators ist für einen Nichtromanen kaum spielbar. Wieland meisterte sie, indem er sich gar nicht um eine für uns unerreichbare Clownerie mühte, vom Wortwitz, von der sparsamen Geste, von der Andeutung her. Es gelang mm makellos. Im übrigen Ensemble gab es kaum falsche, da und dort

?.ber etwas matte und unintensive Töne. Und das sind „Löcher“, die man bei Pirandello quälend empfindet.

Friedrich Abendroth *

Wie leicht es im Grunde ist, das Publikum dem modernen Theater zu gewinnen, zeigte der große Erfolg, den sich das Ensemble des „Experiments“ mit der österreichischen Erstaufführung von lonescos „Die Zukunft liegt in den Eiern“ erspielte. Es war ein Sieg des „Theaters“, jenseits aller handwerklichen Analysen und „pataphysi-schen“ Manifeste. Ursprüngliche Elemente der Komödie werden bei Ionesco lebendig in der Freude an der phantastischen Verkleidung, in der Parodie vertrauter Grundsituationen und in der komischen Verfremdung der Erotik. Der Regisseur Niels Kopf hatte die nötige Phantasie, um den Einakter gemäß Ionescos Glaubensbekenntnis „Theater kann nur Theater sein“ mit den beschränkten Mitteln seiner Bühne zu realisieren: Das Intermezzo des toten Großvaters — halb Kaiser Wilhelm, halb Feuerwehrhauptmann — war einer jener szenischen Effekte, wo das Absurde zur theatralischen Wirklichkeit wird.

Weit weniger überzeugend war das vor der Pause gespielte Stück von Arrabal : „Die beiden Henker“. Ein einziges Motiv — der Märtyrerhochmut einer Mut-

ter — wird hier über Gebühr strapaziert. Die von Williams schon in allen Varianten verbrauchten Mutter-Sohn-Beziehungen sind in der psychologischen Direktheit und Durchschaubarkeit, in der Arrabal sie verwendet, selbst für einen Einakter zu wenig tragfähig. Immerhin rettete die präzise Aufführung das Stück vor dem Abgleiten ins ungewollt Komische.

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