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DICHTER DER ABSURDEN WELT

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Nichts trifft den phantasievollsten und eigenwilligsten unter den Avantgardisten des modernen Theaters, den Wahlfranzosen Eugene Ionesco (Jahrgang 1912), so empfind- lich wie die Behauptung, daB er absurde Stiicke schreibe, nur weil er gewisse Sinngebungen (Ideologien) der Existenz, die uns gelaufig sind, in Frage stellt. „Man hat mein Theater ein Theater des Absurden genannt. Das stimmt nicht. Mein Theater ist ein Theater, welches das Absurde denun- ziert (Theatre de la denonciation de 1’absurde). Ware ich ins Absurde vertieft, dem Absurden verfallen, konnte ich es gar nicht mehr wahrnehmen. Ich suche Moglichkeiten, das Absurde zu uberwinden, und zwar durch das Lachen. Lachen ist Kritik. Wo es kein Lachen gibt, gibt es auch keine Klarheit. Die Welt ohne Lachen ist ein Konzentrations- lager Man kann zwar damit nicht dem Absurden ent- kommen, aber man kann es uberwinden.'1

Ionesco spricht gem iiber sein Theater, denn der ausge- zeichnete Essayist (seine Aufsatze, Ausspriiche, Tagebuch- notizen fiillen einen 250 Seiten starken Band bei Gallimard) ist immer sein bester Kommentator und polemischer Wort- fiihrer seiner Sache gewesen. Wie er in dem riihmlich be- kannten Essay „Ganz einfache Gedanken uber das Theater" erklarte, ging sein Streben dahin, „das Theater aus jenem Zwischenbereich herauszureiBen, der weder Philosophic noch Literatur ist", und ,,ihm seinen eigenen Ort und seine eigenen Bereiche wiederzugeben". Groteske und Karikatur sollten radikal verstarkt und in Gegensatz zur biassen Geistreichelei der Salonkombdie gesetzt werden. „Keine Salonkomodie mehr, sondern Farcen, auBerste parodistische Ubertreibung. Humor mit den Mitteln des Burlesken. Das Komische hart, ubertrieben, ohne Zartheit. Keine dramatischen Komodien mehr, sondern Riickkehr zum Unertraglichen. Alles bis dahin treiben, wo sich die Quellen des Tragischen offnen. Ein Drama der urspriinglichen Machtigkeit schaffen: urspriing- lich machtige Komik neben urspriinglich machtiger Tragik." Wobei die Tragik in so vielen seiner Stiicke nur auf leisen Sohlen kommt und der Zuschauer erst allmahlich gewahr wird, wie sehr die Komik der auBerlichen szenischen Situa- tionen den Charakter eines schmerzlichen Humors und einer tieftraurigen Ironie annimmt. „Das Komische, unmittelbarer Eindruck in das Absurde, enthalt fiir mich mehr Verzweif- lung als das Tragische. Das Komische ist ausweglos. Ich brauche das Wort Verzweiflung: in Wirklichkeit liegt das Komische aber jenseits — Oder diesseits — von Verzweiflung und Hoffnung.“

Ionesco auBerte einmal, daB die Entwicklung der Malerei eine ununterbrochene Neuentdeckung ihres Wesens und ihrer Sprache war und daB seit Picasso, der sie von der Literatur ebenso befreit hat wie vom Anekdotischen oder der Photographic, die Maier versuchen, ihre grundlegenden Ele- mente neu zu entdecken, die in den reinen Formen und den Farben an sich liegen. Das. gleiche erstrebt Ionesco fiir das Theater von heute, Theater als „lebenden Vorgang", was ihm mehr bedeutet als bloBes „Worttheater“. Feind jeglichem Realismus, abhold dem psychologischen, historischen und Bdeologisch engagierten Theater gleichwie dem Gesellschafts- und Dialogdrama, baute er „Theater“ auf aus Wort, Aktion und Szenerie. Aber „man muB die gewohnte Gegenstand- lichkeit zerbrechen, um sie neu aufbauen zu konnen". Auf dem Theater, auf dem alles mbglich ist, bedeutet das „die Requisiten mitspielen lassen, den Dingen Leben geben, das Biihnenbild einbeziehen und gewisse Symbole szenisch ver- wirklichen. Das Wort wird von der Geste weitergefiihrt; und wo das Wort nicht mehr zureicht, kann es durch Pantomime ersetzt werden. Desgleichen kbnnen szenische Gegenstand- lichkeiten das Wort erweitem". Gebarde, Bewegung, Wort werden eins.

Es gait, das Theater zu den Quellen zuriickzufiihren, „den theatralischen Archetyp zu suchen find das tragische Schick- sal des Menschen bloBzulegen, das seit Hiob und Odipus sich nicht geandert hat " Es gait, „vergessene Wahrheiten Wiederzufinden und auszusprechen", wozu auch die Narren- freiheit gehbrte, die dem Theater seit der Austreibung des Harlekins — (nicht nur durch die Neuberin in Deutschland, auch durch Goldoni in Italien und die Aufklarer in Frankreich) — um weltverbessemder Ziele willen verweigert wurde. In Ionescos Clownerien kehrte der Hanswurst wieder. Wenn Harlekin auf die Biihne sprang, wirbelte er alle normale Wirklichkeit durcheinander. Indem er aber Ansichten und Handlungen der Menschen verzerrte, gab er sie dem Ge- lachter preis und demaskierte sie. Was unsere Zeit betrifft, so werden wir auf solche Weise stutzig gemacht und hell- sichtig fur die Sinnentleerung und den Schrecken der Gegen- wart. Ionesco betreibt das urspriingliche, theatralische „Spiel“, Durchleuchtung der Welt mittels Theaters: eine mo- deme commedia dell’arte.

Wer Ionesco verstehen will, muB ihn — so grotesk er sich zu geben scheint — als Realisten nehmen. Er ist kein Satiriker und szenischer Pamphletist, sondern der „na- turliche" Mensch, der staunend auf eine total entleerte Welt blickt. Nicht um absurde Ubertreibung geht es ihm, sondern um die getreue Aufzeichnung eines in sich absurden Tatbe- standes. Mit seinem dramatischen Erstling „Die kahle San- gerin" hatte der Funfzigjahrige die herkbmmliche Buhnen- kunst parodieren wollen. Schon der Titel war purer Unsinn; die Biihne diente nur als Vorwand, um die Phrasen und Pointen der Dummheit besser wirken zu lassen. Ein Spiel aus abstrusem Gerede, aus Gesten, unartikulierten Lauten, Wiederholungen, kurz aus Dingen, die weder selb- standig sein konnten noch immer zueinander paBten, son- dem wiitend gegeneinander stieBen — aber ein Spiel, ein zomig-grotesk-amusantes Spiel. Die Parodie war Ionesco jedoch unter der Hand zu einem neuen Stil geraten; die Ge- burt des Dramatikers aus dem Ungeist der Gemeinplatze war vollzogen. Schon Flaubert hatte die „Machtergreifung des Kleinburgers" prophezeit und ein „Dictionnaire des idees re?ues“, ein „Lexikon der Banalitaten", entworfen, worin er Phrasen, Klischees und schiere Dummheiten der Umgangs- sprache alphabetisch geordnet darbot. In seiner Nachfolge griff Ionesco mit dem grotesken Geschwatz, das von ebenso grotesk-banalen Alltagshandlungen und -verrichtungen be- gleitet war, jenen in sich stagnierenden, kleinbiirgerlichen BewuBtseinsbereich an, in dem sich heute, ausgeriistet mit technischem und hygienischem Komfort, ein GroBteil der Zivilisationsmenschheit bewegt.

Ionescos erste Einakter waren Schauspiele des menschlichen Wortes, das selbst Gegenstand der Komik oder Tragik wurde. Er entlarvte das abgestandene, gehaltlose Geschwatz, indem er es auf die Spitze trieb, es verzerrte, aufblahte, bloB- stellte. Durch das Groteske hindurch bis zur Tragodie der Sprache vordringend, fiihrte er diese selbst, nicht nur den Gemeinplatz, ad absurdum. Seine Figuren, unmittelbar dem Alltag entnommen, sprechen genau unsere elend klischierte, abgegriffene, ja verstummelte Sprache. In deren Anwendung zeigen sie sich als Ungeheuer, die sich gegenseitig Unge- heuerliches antun. Grausige Stummheit spukt am Ende iiber den Triimmern der sprachlichen Welt, wie in der gespensti- schen SchluBszene der .„Stiihle“, wenn der Redner, dessen Botschaft die beiden Alten an die durch leere Stiihle an- gedeutete Scheinmenschheit gerichtet haben wollten, sich als stumm erweist.

Die Tragodie des Menschen reizt meine Spottlust. Der modeme kritische Geist kann nichts mehr ganz ernst, aber auch nichts zu leicht nehmen.“ GemaB diesem Grund- satz entstanden in rascher Folge die vom Rationalen kaum mehr ausdeutbaren Stiicke. Unaufhbrlich schoben sich die Ebenen der inneren und aufieren Handlung durcheinander, unbedenklich wurde darin mit den uns gelaufigen Vorstel- lungen von Raum und Zeit umgesprungen, wobei Ionescos zarte Lyrismen bisweilen wie auf trostlosen Schutthalden aufbltihten. Er nannte seine Einakter „Komisches Drama", „Tragische Farce" oder — ironisch — „Naturalistische Ko- modie". Das „Pseudodrama“ „Opfer der Pflicht" (vom Autor besonders geschatzt) beginnt damit, daB ein iiberaus hoflicher Polizist in der Wohnung des biirgerlich saturierten Ehepaa- res Chaubert nachfragt, ob die Vorbewohner, die Mallots, sich mit d oder t geschrieben hatten. Daraus ergibt sich ein gespenstiges Verhor, das Chaubert in alle triebhaften Tiefen und auf alle mystischen Hbhen seiner Vergangenheit jagt. Die Suche nach Mallot wird zum Gang nach dem Ursprung, Mallot selbst zur Chiffre dieses Ursprungs.

Die Sprache bestimmt nicht mehr, was geschieht, sie kom- mentiert es im besten Fall. Sie kann ihrerseits nach alien Seiten ausbrechen, sich uberschlagen oder aber allmahlich versickern. Der Einakter „Der neue Mieter" (der beilaufig zu Ionescos besten Stricken gehort) beginnt mit einem nichti- igen Wortschwall der Concierge, bis die Beteiligten allmahlich verstummen und der schweigsame Mieter sich von den liberal! her auf die Biihne quellenden Mbbeln einschliefien laBt. Von Urvaterhausrat, Gerat und toten Dingen wird das Leben erdriickt. Der Mensch (der Mieter) mauert sich ein gegen den Larm der Welt und das Geschwatz von Nichtigkeiten. Eine folgerichtige Weltuntergangsvision.

Ionesco war in seinen fruhen Stricken von einer Replik, einer Situation, einem Einfall ausgegangen. Die ideale Dauer dieser Stiicke iiberschritt nur wenig eine Stunde. Er begriindete diese Vorliebe fur das kurze Theater damit, daB sein „esprit mediterranee1, sein mediterraner Geist, das Kon- zise, Klare, schlagartig Beginnende, abrupt sich Steigemde und unvermittelt Aufhbrende bevorzuge. Dann kam die Zeit, wo sich Ionesco von den kleinen Formen, den Einaktern und Sketchs, abwandte und abendfiillende Stiicke zu schreiben be- gann, die eine klassische Unterteilung in Akte und einen wenn auch abstrusen Diskussions- und Handlungsablauf auf- wiesen. In den vier Behringer-Dramen, die, ob zufallig oder beabsichtigt, wie ein Zyklus zusammenhangen, vertritt eine Einzelfigur, der Held Berenger (Behringer), der deutlich er- kennbare Ziige eines Selbstportrats Ionescos tragt, direkt und positiver als friiher den Standpunkt des Autors. In „Morder ohne Bezahlung" kampft Behringer als einziger in einer utopisch perfektionierten Welt gegen einen iibermachti- gen Mdrder, ein schwachsinniges Monstrum, dem er am Ende mit dem gesamten idealistischen Wortschatz des Abend- landes klarzumachen versucht, daB alle Bosheit nur Illusion sei. „Die Nashorner" wurden zum fiir das breite Publikum eingangigsten soziologischen Parabelspiel. Das bequem ein- deutige Gleichnis von dem Eindringen totalitaren Geistes in eine vollkommen niichterne, reale Alltagswelt, der allmahlich fast jeden ergreift und in ein stampfendes, briil- lendes Herdentier verwandelt, wurde sofort begriffen, und dankbar quittiert, wenn am SchluB Behringer als pathetisch mit sich ringendes Individuum dem Massenwahn widersteht. In „FuBganger der Luft", dem romantisch verspieltesten Stiick Ionescos, vermag Behringer, hier Dramatiker von Be- ruf (also ein besonders deutliches Selbstportrat), als einziger die Schwerkraft des Alltags zu iiberwinden und sich durch den puren Akt des poetischen Willens in die Luft zu er- heben, um die Grenzen zu einer anderen Welt zu iiber- fliegen, die er fiir die bessere halt. Doch was er nach seiner , Ruckkehr, vollig verstbrt, seinen Zuhorem ohne billigen Trost berichtet, ist das Grauen einer neuzeitlichen Vision („Messer, Graber, Schlamm, Blut, unergriindliche Hbhlen, Bomben").

In „Der Konig stirbt" ist aus dem Kleinbiirger Behringer Konig Behringer der Erste (und der Letzte) geworden, die Verkorperung vieler Konige, der Extrakt zahlloser Helden- leben. Totentanz und Konigsdrama zugleich, stirbt mit dem Konig mehr als ein Zeitalter. Der Genius selbst, das Schop- ferische ist es, das hier stirbt. Und mit ihm vergeht die Welt.

Die Behringer-Dramen lieBen die Frage aufkommen, ob Ionescos dramatischer Atem nicht am starksten seine kurzen phantastischen Farcen erfullt hat; ob diese nicht eine abgriindigere Analyse der Situation des heutigen Menschen lieferten als die abendfiillenden, in Akte geteilten Dramen. Zuviel blieb darin intellektueller Entwurf und verlangte vom Zuschauer geistige Sprunge, zumal erst einige von Ionescos theatralischen Symbolen anschaulich tragfahig geworden sind. „Die Bedingungen unseres menschlichen Da- seins sind absurd und unarmehmbar", erklarte Ionesco und meint, daB „Jedermann“ zu dieser Einsicht gelangen miiBte, wurde ihm nur die Art der Unruhe offenbar, die ihn und alle anderen plagt. So aber kommt er sich vor wie in einer diisteren Behausung, die gleich den alten uberstandigen Zivilisationen allmahlich in Schlamm und Moder versinkt. Mag ihm die Lebensgefahrtin noch so sehr den Zauber des bescheidenen Daseins anpreisen und ihn mit Liebe und Opti- mismus umgeben: Die Unruhe, die „brermende Sehnsucht" nach einem Gluck, das er nicht beschreiben, nach einer Wahr- heit, die er nicht nennen kann, lassen nicht mehr von ihm. Im Traum erreicht er die lichtiiberflutete Symbollandschaft, wo er vergebens auf die das absolute Ideal verkbrpemde Gestalt wartet. Und als er nach jahrelanger Wanderschaft seines Alptraumes in der „guten Herberge" von Pseudo- monchen empfangen wird, um dort in klosterlicher Gebor- genheit zu verweilen, da erweist sich der Ort als ein Inferno, wo das Ich inmitten der Verdammten ausgeioscht wird, eine Hoile auf Erden oder, genauer, das Fegefeuer, wo man leidat, weal man der Liebe beraubt ist.

Damit ist der Inhalt des letzten Stiickes von Ionesco, „Hunger und Durst', angedeutet. Die sehr bemiihte Inszenie- rung unter Gert Omar Leutner im Sonderzyklus des Volks- theaters — ein kiinstliches Wagnis in der so lauen Thea- teratmosphare Wiens — mit Klaus Horing in der tragenden Rolle des Suchers nach seinem wahren Selbst und dem ver- lorenen Paradies konnte, wie auch anderwarts, die MiBver- standnisse und Dunkelheiten um dieses Stiick nicht ent- wirren oder erhellen. Zu sehr ist das in Einzelepisoden und Bilder zerfallende Gebilde von Symbolismen iiberlagert. Kein „Welttheater“, das sich mit „Faust“, „Peer Gynt" oder Strindbergs „Traumspiel“ (wie man es tat) vergleichen lieBe, eher ein „Weltanschauungstheater“, stellenweise voll schwermuti- ger Poesie, das die Moglichkeiten und Grenzen Ionescos und damit einer ganzen Richtung moderner Dramatik aufzeigt. Es ist kaum anzunehmen, daB Ionesco bei dieser Form verweilt, sondem erst eine andere, ebenso uberraschende und zwin- gende wie einst suchen wird. Nach wie vor bleibt er einer der wichtigsten Reprasentanten des modernen Theaters, dessen Taten — ohne in der Mitte unserer Zeit oder gar unserer Zukunft zu stehen — von starkstem EinfluB fiir die Biihne der Gegenwart sein werden.

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