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Am Ende

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Seit seinen grandiosen „Nashörnern“ hatte man ihn, Eugene Ionesco, fast vergessen hierzulande, nur von ferne drang die Kunde zu uns herein, „Der König“ (er selbst) „sterbe“ (habe seine Inspiration und Schaffenskraft eingebüßt), bis er dann plötzlich bei den Festspielen jene Salzburger Rede hielt, deren abgründiger Pessimismus die verdatterten Kapazitäten und die ganze selbstsichere, dort versammelte Fortschrittswelt derart vor den Kopf stieß, daß die Berichterstattung sich insgesamt veranlaßt sah, das Gesagte mit dem ihr geläufigen Wortschwall zuzudecken.

Um zu sagen, daß er nichts mehr zu sagen, daß die Salzburger Rede das Letzte und daß er selbst nunmehr endgültig am Ende angelangt sei, drehte Eugene Ionesco mit Hilfe des WDR den Film „La Vase“ („Der Schlamm“), den der ORF in FS 2 ausstrahlte, während Österreich sich mit Sachers Portier in FS 1 ergötzte. „La Vase“ — Autor Ionesco, Sprecher Ionesco, einziger Darsteller der alternde, unbeholfene, kurzbeinige Ionesco mit seinen blicklosen, brunnenabgrundster-benstraurigen Augen — „La Vase“ ist, wohl mangels Fernsehroutine und offenbar auch mangels irgendwelcher filmischer Erfahrung, dem Dichter viel zu lang geraten. Trotz aller aufnahmetechnischen Kunststücke, trotz eingestreuter Schock- und Ekelbilder, mit denen die ausweglose Erbärmlichkeit alles Menschlichen bewiesen werden soll, trotz der refrainartig immer neu gestalteten Variationen zum Thema Aufstehen, Gehen, Essen, Hinlegen, Nicht-mehr-sich-Erhe-ben, Versinken, Vergehen.

Verzweiflung ist ergiebig und künstlerisch darstellbar, so lange sie sich noch ins Komische, zumindest ins Grotesk-Absurde umbiegen läßt. Das gelang Ionesco in den fünfziger Jahren nach der aufsehenerregenden „Kahlen Sängerin“ (die im Stück nicht vorkam) mit der Entlarvung einer „Unterrichtsstunde“ als sado-masochistische Beziehung zwischen Lehrer und Schüler („La Lecon“), mit der Verdächtigung politisch-gesellschaftlicher Ideale als Kretinismus in den „Stühlen“ („Les Chaises“), wurde aber bereits zur Angstneurose in „Amedi, ou: Comment s'en debarasser“, als die Leiche des Untermieters zu wachsen begann, aus dem Nebenzimmer heraus, durch die Türen und durch die Wohnung hindurch, zum Fenster hinaus ins Unendliche, als Signal einer der Verwesung anheimgefallenen Schöpfung — und es endete in „Tueur sans Gages“ mit der lähmenden Feststellung, daß alle Welt einem schwachsinnigen Mörder (dem Leben!) verfallen, daß Aufbegehren und Widerstand sinnlos sei.

Nach dem ungeheuerlichen Monolog des „Beranger“ (Ionesco selbst), mit dem dieser, als letztes Opfer des „Mörders“, das Stück schließt, gab es ganz offensichtlich nichts mehr zu sagen, galt es nur noch, den Nachweis dafür zu erbringen, daß der Dichter, am Ende angelangt, verstummen mußte. Verstummen im „Schlamm“. Aus den sinnlosen Wortfolgen des Anfangs, erst französisch, dann in gebrochenem Deutsch gestammelt, löst sich der Kernsatz dieses Antifilms, der Schlüssel zum Ganzen: „Alles ist widersinnig, auf sehr geheimnisvolle Weise widersinnig.“

Die esoterische Lehre des Marxismus (sein exoterisches sozialrevolutionäres Programm ist lediglich Lockmittel für die unterentwickelten Massen) hofft durch die Zerstörung von 10.000 Jahren Menschheitsentwicklung, durch einen neuen Anfang am Punkte Null, dem „von Natur aus guten“ Menschen (welch ein Irrtum!) das Paradies jetzt und hier und auf dieser Welt sichern zu können. „Ich werde morgen beginnen, ich werde ganz neu beginnen, jetzt und hier, ich habe mich entschlossen, sofort zu beginnen“, versichert Ionesco, während er im Sumpf versinkt und sich in ekelhaft verquollene Teile auflöst. Und er kann sich diese blutige Verhöhnung des Marxismus in dem Bewußtsein leisten, daß niemand sie verstehen wird — die Linken nicht und erst recht nicht die Rechten.

Beide wissen es nicht mehr oder haben es längst vergessen: das Paradies ohne Gott ist die Hölle.

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