6785297-1970_10_11.jpg
Digital In Arbeit

Ionesco über sich selbst

Werbung
Werbung
Werbung

„HEUTE UND GESTERN GESTERN UND HEUTE.“ Tagebuch. Von Eugene Ionesco. Hermann Luch-terhand Verlag GmbH, Neuwied und Berlin 1969. 240 Seiten. Zirka DM 16.80. EUGENE IONESCO BEKENNTNISSE. Nach den Gesprächen aufgezeichnet von Claude Bonne-foy. Im Verlag der Arche in Zürich 1969. 160 Seiten. DM 12.80.

Bei einem Tagebuch denkt man an eine chronologische Reihenfolge von Eintragungen. Dennoch bezeichnet Ionesco seine Sammlung „heute und gestern gestern und heute“ als Tagebuch, in der er alte und neueste Aufzeichnungen, Erinnerungen an die Eltern, politische und weltanschauliche Betrachtungen vermischt. Dabei entsteht eines aus dem andern, man spürt den Konnex, die Zwangsläufigkeit der Entwicklung. Bittere Erlebnisse mit dem Vater, der Rechtsanwalt, einige Zeit Polizei-präfekt war, machten ihn zum Verächter jeder Autorität, er haßte Staatsanwälte, „konnte keinen Gerichtspräsidenten sehen, ohne Lust zu verspüren, ihn umzubringen“. Dieser Vater gehörte zur Eisernen Garde, wurde Freimaurer, Demokrat, Nationalist, Stalinist, für ihn hatte jede Opposition unrecht. So nun haßt Ionesco Ideologien, ist Antimilitarist, wendet sich gegen Nazis, Faschisten, Kommunisten.

Das ergibt eine Geschichtsbetrachtung, die besagt, daß Revolutionen nur Tyrannei bringen oder wiederbringen, daß in den osteuropäischen Ländern die sozialistische Tyrannei die bürgerliche abgelöst hat. Und damit folge nur immer ein neuer Konformismus dem alten, die Menschheit aber sinke zurück in ihre Traurigkeit. Solche Gedankengänge müssen wohl dazu führen, immer wieder nach dem Sinn des Lebens zu fragen, und da nun ist es nahezu ergreifend zu sehen, wie Ionesco ständig mit bohrender Intensität die geheimnisvollen Mauern, die unser Dasein umgrenzen, zu durchbrechen versucht. Mit Recht erklärt er, daß die einzige Sorge, die den Menschen über sich hinaushebe, das Trachten nach dem Absoluten sei, ja, als die Auserlesenen bezeichnet er diejenigen, die das Problem der Letzten Dange nicht aus den Augen verlieren. Ortega y Gasset hat ähnliches gesagt. Die Frage, was die Welt sei, was wir sind, läßt ihn nicht los. Er fragt nach dem Warum des Warum. Immer wieder versucht er an Gott zu glauben, an die „Gesamtheit der Gesamtheit“, die lenkt, führt und bedingt. Und er meint, der neue Mensch könne im Unpersönlichen leben, er habe auf seine Person verzichtet, wenn die Nation, die Gesellschaft Gott sei, dann gebe es niemanden mehr, Gott sei aber nur als Person denkbar. Das Staunen über das Leben, über das Ungewöhnliche des Seins ist auch das eigentliche Agens im dramatischen Schaffen Ionescos. Das geht aus dem Buch „Eugene Ionesco Bekenntnisse“ hervor, das ausschließlich Fragen des Schriftstellers Claude Bonnefoy an Ionesco und die Beantwortungen wiedergibt. Diese Fragen sind ebenso klug gestellt wie

präzise formuliert und zielen über die Arbeitsweise hinaus auf die Inspirationsquellen und die tieferreichenden Absichten dieses Dramatikers.

Theater dürfe nicht die Illustration von etwas Gegebenen sein, erklärte Ionesco, es enthülle, was verborgen war. Diese Eroberung unbekannter Wahrheiten sei aber manchmal sogar dem Autor bei Beginn der Arbeit unbekannt. Besteht nun das Eigentliche des Kunstwerkes darin, Unbewußtes bewußt, Irreales real zu machen, so ist diese Tätigkeit selbst wieder eine Wirkung des Unbewußten im Schaflenden. Bezeichnend für Ionesco ist die Vorstellung des Lichts, die ihn immer wieder beherrscht, für ihn beglückend wirkt, Augenblicke hindurch die Bedrücktheit durch die Situation des Menschen in einer Welt der Übel überwindet. In seinem Stück „Mörder ohne Bezahlung“ sind diese Erlebnisse szenisch umgesetzt. Letztlich entspricht das Licht bei ihm der Vorstellung „Paradies“. Die heutige Gefühlskälte gegenüber der Welt, meint Ionesco, werde immer größer. Aber Kunst und Literatur können nur, fügt er hinzu, „Ergriffenheit und Kenntnis der Dinge durch das Gefühl sein“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung