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Groteske — Theater des Absurden

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Absurd, widersinnig und ins Grotesk-Komische verzerrt ist die Gesprächssituation in Ionescos „Stühlen“. Ein seniles Hausmeisterehepaar plappert mit unsichtbaren Personen, die auf sichtbaren Stühlen Platz genommen haben. Der Zuschauer hört sinnlose Alltagsphrasen, die an wurmstichige Stühle gerichtet sind, hört ver-schliffene Wortklischees, die Holz, Abgestorbenem und Phantasmen gelten. Der Rumäne Ionesco führt in den „Stühlen“ eine Gesprächssituation rücksichtslos ad absurdum, eine Situation, die wir täglich frisch erleben können. Denn wer kennt nicht jene unverschämte Art zu sprechen, als ob man persönlich nicht anwesend, sondern bloß ein Stück Schulbank, ein Stück Schalterbrett sei. Wer kennt nicht ihre fremden Phrasen, die keine Antwort dulden, ja, aber auch keine Antwort ermöglichen. Welche Gemütsverödung hat aber um sich gegriffen, wenn, wie in den „Stühlen“, langjährige Eheleute nur noch hölzernes Wortgestrüpp, sinnlose Monologe stumpf wiederholen.

Da9 sind absurde Situationen, Grundsituationen absurden Theaters, das vor allem vier Prominente präsentieren: Samuel Becke, Eugene Ionesco, Arthur Adamov, Jean Genet. Diese alten Herren der surrealistischen Avantgarde spielen in ihren Dramoletts (Antistücken, Pseudodramen, Farcen) immer wieder W-geschwiegene Widersprüche des einfachen Tags, Lieblosigkeiten und Lebenslügen in höhnischer und grausam-grotesker Vergrößerung zu Ende — ad absurdum. Im Zerrspiegel, im Lachkabinett zeigen sie mit Fingern auf das Auseinanderklaffen von Idee und Wirklichkeit; denn, schreibt Ionesco, „das Komische, unmittelbarer Einblick in das Absurde, enthält für mich mehr Verzweiflung als das Tragische“. In Ionescos tragischer Farce „Die Stühle“ malt sich das täppische Hausmeisterpaar seinen 75. Hochzeitstag zu einem so großartigen Lebensabend aus, daß es daran zugrunde geht. In der „Unterrichtsstunde“ läßt Ionesco einen Gymnasiallehrer seine Schülerinnen zu Tode „erziehen“. Bis zum Paroxysmus getrieben, wird eine sadistische und perfide Pädagogik zu Ende gespielt. Die Schülerin, die im wirklichen Leben ja „nur“ psychisch zu Tode gequält wird, wird auf der Bühne vom Professor eigenhändig mit einem neospanischen Messer erstochen. In Adamovs „Invasion“ erbt die Hauptfigur die Aufgabe, die verworrene Hinterlassenschaft eines Schriftstellers zu entziffern. Er verliert bei dieser Arbeit Frau und Leben, mit dem unent-zifferten Manuskriptfetzen spielt schließlich ein Kind. — Gedankliche oder emotionale Absurditäten, Subtilitäten werden in diesen allegorischen Karikaturen zu grob-faktischen Unvereinbarkeiten verzerrt. Das ist Groteske. Eugene Ionesco erlebt gerade in diesen grotesken Vergröberungen, in diesen Simplifikationen, diesen bis zum Äußersten gesteigerten Wirkungen das Wesen des Theaters — das Wesen der Theatergroteske, fügen wir hinzu.

Mit absurd bezeichnen wir logische Widersprüche, mit grotesk beschreiben wir aber lächerlich-übertriebene Widersprüche. Grotesk wirken Gedanken, Leibesgestalten, die ins Ungeheuerliche oder Zwergenhafte verzerrt erscheinen, grotesk wirken aber auch Gedankengebilde, Leibesformen, denen Teile abgehackt worden sind, bei denen Elemente (als Klumpfuß, als fixe Idee, als Sexual- oder Machttrieb) wuchern. Riesen, Zwerge Marionetten und Puppen, gehören sie nun der Gedanken- oder Körperwelt an, zeigen meist auch diese grotesken Züge. In diese Richtung grotesk wirkt anch das lädierte, puppenartige Personal absurden Theaters (zum Beispiel der taubstumme Redner, die geile Alte). Psychologisch gesehen

DIE FURCHE ist das Grotesk-Komische oft Ausdruck des Triebhaften und Infantilen. Ionesco selbst will ja auf der Bühne „alles bis zum Paroxysmus treiben“, bis zum Anfall, bis zu epileptischen Zuckungen. Ionesco stellt Exaltationen zur Schau.

Das Groteske als Ausdruck des Sinn- und Zwecklosen finden wir in den bloß schmückenden Verzierungen antiker Gewölbe, wir finden das Grotesk-Absurde auch in der Erzählung und im Roman. Hierher gehören Namen, wie Agnolo Firenzuola, Francois Rabelais, E. T. A. Hoffmann, E. A. Poe, Villiers de Isle-Adam, Gustav Meyrink, Franz Kafka, und nicht zuletzt das Hauptwerk des Grotesk-Komischen: „Don Quichotte“ des Don Miguel Cervantes de Saavedra. Der Ritter von der traurigen Gestalt entfaltet wohl das an Absurditäten und Grotesken reichste Leben. Um nur einige Banalitäten zu nennen: Don Quichotte setzt sich ein Barbierbecken auf und meint, einen schützenden Helm zu tragen, seine Kleider hängen in Fetzen, aber er hält sich für einen Lichtritter. Don Quichotte überfällt die „Anständigen“ und befreit echte Verbrecher, er schlägt sich mit Windmühlen, weil er sie für Ungeheuer hält. Trotz dieser fixen Ideen, an denen ja auch Adamovs „Pingpong“spieler leiden, ist Don Quichotte kein bloß pathologischer Fall, sondern der Fall jener Menschen, die da fallen. („AH That Fall“ heißt ein Hörspiel von Samuel Beckett.)

Das Grotesk-Komische, Gestalt des Absurden, grinst in manieristischen Phasen immer wieder traurig oder rnit höhnischer Fratze von der Bühne. Glotzaugen, dicke Lippen und aufgesperrten Mund zeigen die Larven der Satyrspieler, Atellanenspieler, hervorstehende Zähne, Buckel, Kahlkopf und gelbe Augen besitzt die Maske des indischen Lustigmachers, des Vidu-saka. Solche bemitleidenswerten Verkuppelungen zeigen sofort ein groteskes Gesicht, versucht der Krüppel, seine Schönheit zu rühmen. Ein Idiot, der als Gelehrter stolziert, ein Häßlicher, der bei einer Schönen wirbt, sind Groteskfiguren. Ebenso grotesk-absurd gebärdet sich der dumme, tolpatschige Zirkusclown, wenn er, wie bei Charlie Rivel, als gewandter Akrobat („Akrobat schööön!“ flüsternd) auftreten will oder, wie bei Grock, als virtuoser

Instrumentalist „Ein Konzert I“ verspricht. Diesen Typus des Spaßmachers metämorphosieren im Film Charlie Chaplin, Pat und Patachon, Jacques Tati, beim Kabarett Carl Valentin (ein echter Groteskkomiker) und, nicht zu vergessen, auf den kleinbürgerlichen Ehebetten der Bajazzo, Symbol traurig-illusionistischen Lebens. Neben diesen traurigen, langsamen Narren springt über die Bühne des Welttheaters noch ein pfiffiger Bruder. Er entlarvt die Schwächen anderer (seine kennt er). Einmal nennt er sich Harlekin (wie in der Commedia dell'arte), einmal Till Eulenspiegel, dann gebärdet er sich bäuerlich-vital wie der Stranitzkysche Hanswurst, immer aber kritisiert er als radikaler Nonkonformist aus dem Versteck des Flickenkleides. Korruptionen aufzudecken, beschäftigt diesen Pfiffikus. Solch kritische Harlekinaden sind auch die burlesken Einlagen, die Zwischen-und Nachspiele zu hochsohligen, bluttriefenden Tragödien, also die Satyrspiele, die Atellanen,

Salbenkrämerspiele, die Zwischenszenen bei Shakespeare. Lazzi nannten italienische Komödianten diese Einlagen, die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben. Diese Lazzi gaben dem Zuschauer aber Zeit, über den steigenden Blutzoll der Tragödie nachzudenken.

Solch kritisierende Harlekinaden und Bocksprünge sind auch die Antistücke, die Farcen, Grotesken absurden Theaters. Diese modernen Satyrspiele erheben Anspruch auf Selbständigkeit, und berechtigt, denn sie werden heute ja nicht im Anschluß an einen blutrünstigen Tragödienabend, sondern in Anschluß an eine klassische Tragödientradition, im Anschluß an zwei blutige Welttragödien gespielt. So gesehen sind sie also echte Nachspiele, „Endspiele“, wie Samuel Beckett eines seiner Stücke nennt. Der Restauration wird in diesen Endspielen das hinwegtäuschende Make-up abgezogen, so daß — schemagerecht — nur eine existentialistisch zitternde Kreatur übrigbleiben darf. Das ist auch comica absurda.

! -Die Bühnengroteske ist Ausdruck und Form des absurden Theaters. Die Bühnengrotesken der Becketts, Adamovs, Ionescos besitzen die epische (auch aristophanische) Dramenstruktur, für die offene Gestalt und Austauschbarkeit der Teile (Akte) charakteristisch ist. Die aristotelische Dramenstruktur zielt schließlich auf eine durch kausale Subordinationen geschlossene Gestalt, während diese Grotesken weitgehend akausal ablaufen. Stücke, wie „Invasion“ (Adamov), „Warten auf Godot“ (Beckett), entfernen sich schnell vom bloßen Worttheater. Den Ausdruck tragen die abgedroschene Alltagssprache, der pantomimische Gestus, die musikalische Einlage, das Bühnenbild, ja mit diesen Stücken wird altes Requisitentheater lebendig. Somit entscheidet die Aufführung über das Stück (nicht die Lesung), und das führt notgedrungen zu Modellen (wie bei Brecht), will der Autor seine Intentionen präzisieren. Das Steife, Puppenartige, Kaltschnäuzige bleibt in der Groteske ohne Wärme und Weichheit, die Erregung erstarrt zu unerlöster Männlichkeit. Atomistische Details, pedantisches Punktieren verdrängen die lockeren Züge der Skizze. Schildert Beckett mit Gogo und Didi (in „Warten auf Godot“) vor allem phantasielose Wirklichkeit, so springt uns mit Ionescos Stücken enthemmt jagende Phantasie an. Da gibt es endlich keine Psychologie mehr, sondern nur noch maßloses Theater. „Phantasmen Fleisch werden zu lassen, Leben zu bringen“, schwelgt Ionesco, „ist ein herrliches, unerhörtes, unersetzliches Abenteuer.“ Diese Fähigkeit zu panischen Exaltationen, zu Raserei erinnert an Kleist („Penthesilea“).

In Adamovs „Alle gegen alle“, Ionescos „Stühlen“, Becketts „Godot“ wird das Absurde grell plakatiert. Verwandelt Adamov den Zuschauerraum in ein ideologisches Schulungslager, so springt bei Ionesco der Zuschauerraum um in ein Lachkabinett mit riesigen Zerrspiegeln. Überall aber heißt das Ende: Selbstmord oder Restauration.

Albert Camus philosophiert in seinem „Mythos von Sisyphos“, einem Versuch über das Absurde, wesentlich konsequenter. Eigensinnig am Erlebnis der Absurdität festhaltend, denkt er sich zu einem ganz gegenwärtigen, ganz tätigen Leben vor, zu einem Leben, das den arbeitenden Körper kennen will und das lange dauern soll, zu einem Leben, in dem der unmittelbare Lebensweg wichtiger wird als irgendwelche im Vorstellungsraum lokalisierten

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