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Ionesco als Regisseur

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Die Theaterwelt war mit Recht gespannt: Ionescos Repiedebüt im Zürcher Theater am Neumarkt erregte schon Wochen vor dem eigentlichen Ereignis die Gemüter. Kaum eine Zeitung oder Rundfunkanstalt der Schweiz, die nicht im voraus bereitwillig Vorschußlorbeeren verteilt hätte. In diese Vorfreude mischte sich zuversichtlich die Erinnerung an Samuel Becketts „Endspiel“-Regie- triumph bei den letztjährigen Berliner Festwochen. Was Beckett gelang, sollte Ionesco doch auch zustande bringen!

Die Optimisten sollten recht behalten: Ionesco erwies sich als Mei- sterregisseur. Dabei begann alles ganz harmlos, nämlich mit einer Reihe von Sketches, sämtliche Uraufführungen, darunter auch eine deutschsprachige Erstaufführung. Ihnen allen gemeinsam der skurille Humor Ionescos, der hier alles und jeden aufs Korn nimmt. Etwa in den „Begrüßungen“, die mit der ständig wiederholten Frage „Wie geht es Ihnen?“ beginnen und schließlich damit enden, daß sich drei Herren — anstatt eines Dialoges — einen schier endlosen Wörterbuchsalat entgegenschleudern. Sehr zum Gaudium des Publikums. Dieses quitterte auch Gags wie „Wünschen Sie ein Automobil oder eine Automobi(e)ne?“ („Der Automobilsalon“) mit schallendem Gelächter. „Wie ein hartes Ei zubereitet wird“, entpuppte sich als köstliche Fernsehparodie. Auch in den anderen kleinen Szenen, ob sie nun „Herbst“, „Uhr“ oder „Schläge“ hießen (alle von Lore Kor- nell übersetzt), war der entwaffnende Humor Ionescos gegenwärtig. Die Gelegenheit zu kurzen, aber effektvollen Auftritten nützten die Darsteller Paul Weibel, Lothar Berg, Albert Tisal, Werner Dahms, Anneliese Betschart und Melitta Gautschy voll aus.

So gewichtlos der erste Teil vorüberhuschte, so sehr staute sich die Spannung bei Eugine Ionescos „Opfer der Pflicht“. Hier mußte der Autor Farbe bekennen — er tat es mit sichtlichem Vergnügen. Mag man nun dieses Stück deuten oder deuteln wie man will: als Parodie auf das Theater von gestern und heute, als groteske Farce über die Irrwege der Psychologie, oder man will! im Schauspiel faustische Grundzüge wahrhaben. (Der Held Choubert wird durch einen Polizisten gezwungen, nach einem gewissen Mallot zu suchen und damit gleichzeitig, nach den Grundlagen seiner Existenz zu forschen.) Eines ist gewiß: Dieses Stück ist erregendes, mitreißendes Theater. Ionescos Regie unterstrich dies nachhaltig, auch wenn schwer zu sagen ist, woher ihre Wirkung kam. Es „stimmte“ ganz einfach. Vieles erinnert an die Ausgangsposition der „Kahlen Sängerin’: der Mann, der Zeitung liest, die Frau, die näht. Scheinbar belanglose Alltagsgespräche. Doch das Auftauchen des Polizisten zerstört dieses Bild. Langvergessene Schuld taucht auf und läßt Choubert nicht mehr los. Trotzdem ist es schwer, einem „Handlungsfaden“ zu folgen, da die nächste Szene ihn bereits wieder zerreißt. Die beklemmende Atmosphäre des Alltagslebens zu Beginn, die bravouröse Theaterszene und schließlich die von bizarrer Komik überquellende Schlußszene waren die Glanzpunkte dieser Inszenierung.

Vielleicht Ist es gerade die Vielschichtigkeit von „Opfer der Pflicht“ die dazu beiträgt, daß Ionesco dieses Werk zu seinen wichtigsten zählt, obwohl ihm bislang auf der Bühne der ganz große Erfolg versagt blieb. Nach der grandiosen Inszenierung im Theater am Neumarkt müßte sich auch hier das Blatt wenden. Wobei zu bedenken ist, daß sich Ionesco bei der Probe mit den Schauspielern ausschließlich auf französisch verständigen konnte, da ihm die deutsche Sprache nicht geläufig ist. Freilich war der Schauspieler Werner Dahms als Choubert in Superform, der seine Partner Anneliese Bet- schart als Madeleine und Lothar Berg (was ihr Verdienst nicht schmälern soll!) als Polizist einfach an die Wand spielte. Eine Kaugummi kauende Melitta Gautschy und ein pseudo-grimmiger Paul Weibel als Nikolaus Zwei ergänzten trefflich. Das phantasievolle Bühnenbild stammte von Ambrois Humm, die hübsche Übersetzung von Werner Düggelin. Lauter Jubel: Dank an Meister Eugene Ionesco.

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