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Wenn Kopernikus, dann Galilei

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Die einfachste Methode, ein Motto für die diesjährigen Grazer Sommerspiele zu finden, war die, das Leitthema der Theatersaison zu verlängern. Aus „Österreich und der Osten“ wurde „Graz — Tor zum Osten“. Damit war eine Reihe von Problemen auch schon gelöst: die meisten Stücke, die auis dem „Osten“ stammten, konnten aus der Saison ins Programm der Sommerspiele übernommen werden; die Ergänzung durch Gastspiele aus slawischen Ländern und durch ein östlich orientiertes Konzertpragramm dürfte nicht mehr so schwierig gewesen sein. Das „Tor zum Osten“ trug den Veranstaltern zwar die Rüge philologischer Ungenauigkeit ein (es hätte „Tor aus dem Osten“ heißen müssen), überraschte aber mit hochkonzentrierten Dosen slawischen Kunstimports — wobei allerdings die Qualität des Materials wie der Ausführung recht unterschiedlich war. Wie zu erwarten, befriedigte der musikalische Teil der Sommerspiele (über den wir in einer der nächsten Nummern berichten werden) mehr als die Sprechstücke. —

Alles, was von den Schauspielen der zu Ende gehenden Saison mit dem Osten zu tun hatte, fand sich auch wieder auf dem Programm der Sommerspiele. Über die wichtigsten von ihnen hat die „Furche“ bereits berichtet. Die jugoslawischen Werke „Dats lange Leben König Oswalds“ von Lukic und „Der Gerechte“ von Bozic fehlten ebensowenig wie Havels „Gartenfest“, Tschechows „Möwe“ und als bescheidener österreichischer Beitrag Horvaths „Don Juan“ und Grillparzers „Treuer Diener“. An Neuheiten aus dem slawischen Bereich gab es zunächst die deutschsprachige Erstaufführung eines Stückes des Polen Jerzy Broszkiewicz mit dem Titel „Das Ende des sechsten Buches“. Diese teilweise recht geschickte szenische Montage um den Astronomen Köper- niku’s hätte wahrscheinlich kaum Aufsehen erregt, wäre nicht dias polnische Stück in einer vernichtenden Kritik einer Grazer Zeitung als „dramatisierter Pfaffenspiegel“ bezeichnet worden. Prompt begannen sich nun auch sonst theaterfremde Leute für dieses Stück zu interessieren; die einen gingen hinein, um sich an der Verspottung des Klerus zu Selektieren, die . anderen, um. zu sehen, ob „es denn wirklich so affe sei“. Die clevere Intendanz arrangierte flugs eine Diskussion über das Stüde, holte zu diesem Zweck Pater Diego Goetz aus Wien und führte den Zusehern das Schauspiel vor, wie man einen Kritiker zurechtweist, der einem nicht genehm ist. Betrachtet man jedoch die Sache leidenschaftslos, so erscheint einem eines dabei sicher: daß das Kopernikus- Stück zu unverdienten Sensationsehren auf unkünsitlerischem Wege gekommen war. Eine dünne Strähne Weltanschauungstheater (die einmal gefundene Wahrheit muß sich durch-

setzen gegen eine Welt, die nicht aus dem Schlaf der Illusionen gerüttelt werden will) wird umrankt, nein überwuchert von Bettgeschichten aus dem Leben des Klerus. Völlig funktionslose Guignol-Einschübe und kabarettartige Karikaturen zersplittern das Stück so, daß nach der Pause die Langweile im Zuschauerraum immer mehr um sich greift. Dabei ist der erste Teil dramaturgisch außerordentlich interessant. Nach Brecht’scher Weise wird — ähnlich wie bei Peter Weiss — das dürftige Geschehen mehrfach gebrochen, wobei die simultanen Schauplätze in engem Konnex stehen; die Montage ist zum Teil frappierend, zum anderen aber wieder ein alter Hut, der einen bereits ein bißchen anödet. Trotz einer ausgezeichneten Aufführung und einer hervorragenden Regieleistung (Rudolf Kautek), ist man versucht zu sagen: Wenn schon Kopemikus, dann Galilei! Und zwar von Brecht. —

Weit unauffälliger ging die österreichische Erstaufführung des Schauspiels „Reine Hände“ des 33jährigen Belgraders Jovan Hristic auf der Studiobühne vor sich. Hier wird wieder einmal der „ödipus“-Stoff dramatisiert — ohne kostümüche und mit nur leichter textlicher Verfremdung. Das Stück weicht inhaltlich aber vom üblichen Schema ab: Ödipus hat keinen Komplex, — er kann gar keinen bekommen, denn er tötet weder seinen Vater noch heiratet er seine Mutter. Er kommt als Schafhirte und reiner Tor von seinen Bergen herab, soll von den politischen Köchen zum Vollzugsorgan des Schicksals und zum Funktionär der Historie aufgewertet werden, zieht sich aber, noch bevor er schuldig wird, wieder in seine Bergeinsamkeit zurück, weil er seine reinen Hände unter allen Umständen bewahren will. Man sieht: es geht dem Autor um das Problem des Engagements und um die Frage, ob ein Mensch, der nur daran denkt, seine Hände in persönlicher Anständigkeit, rein zu halten, nicht zuletzt mit leeren statt mit reinen Händen dastehen wird. — Die Anklänge an den westlichen Nachkriegsexistentialismus sind deutlich, eine Reihe von Fragen wird aufgeworfen — aber es fehlt an der eindringlichen Konturierung, vielleicht auch ian der Zwingenden Feststellung: Die Grazer Aufführung unter dem j-ungen Regisseur Peter Lotschak war recht eindrucksvoll. —

Dem Ost-Motto dieser Somimer- spdele dankte Graz die Bekanntschaft mit dem großartigen „Schwarzen Theater“ aus Prag. Wie überall auf der Weit war auch hier das Publikum hingerissen von den Überraschungseffekten, dem unerschöpflichen Reichtum an Erfindungen und den virtuosen Taschenspielertricks dieser technischen Pantomimen, die gleich brillant sind im Komischen wie im Poetischen.

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