6965153-1985_11_09.jpg
Digital In Arbeit

„Nur Liebe hilft”

19451960198020002020

Wie ist die geistige Krise zu meistern? Gibt es eine Verbindung zwischen Kunst und Religion? Anläßlich eines Aufenthaltes in Kärnten formulierte Ionesco seine Ansichten über die großen Fragen der Zeit.

19451960198020002020

Wie ist die geistige Krise zu meistern? Gibt es eine Verbindung zwischen Kunst und Religion? Anläßlich eines Aufenthaltes in Kärnten formulierte Ionesco seine Ansichten über die großen Fragen der Zeit.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: .JPolitik macht krank” ist eine Ihrer wesentlichen Aussagen. Statt menschliche Beziehungen zu organisieren und das kulturelle Leben zu ermöglichen, bindet die Politik die Energien der Menschen und monopolisiert sie. Klingt dos nicht zu pessi-TTiisttsch ?

EUGENE IONESCO: Nein, absolut nicht. Es ist Realität. Schauen Sie: Iran, Irak, Polen, Zentralamerika usw. Die Politik trennt die Menschen, das ist für mich eindeutig.

FURCHE: Neulich stellten Sie fest, daß Ihr Theaterstück ,JDie Nashörner” weiterhin aktuell sei. Gibt es also noch immer ,JVashör-ner”, die aus der Geschichte nichts gelernt haben?

IONESCO: Die Jugend sagt mir, daß das Stück noch immer aktuell ist. Zuerst waren die „Nashörner” die Nazis, dann die Kommunisten, und jetzt sind es die Konformisten.

FURCHE: Wer sind für Sie die Konformisten der Gegenwart?

IONESCO: Das sind diejenigen Leute, die nicht wagen zu denken, die nicht einmal denken können. Sie werden bösartig, sagen wir: Sie sind die „Nashörner” von morgen.

FURCHE: Sie haben Kafka erst sehr spät entdeckt. Vor allem in der „Verwandlung” war für Sie die grundlose Schuld ein Punkt, der Sie stark berührt hat. Zugleich sprachen Sie von der Möglichkeit des Menschen, Ungeheuer (.JJashörner”) zu werden. Ist es nicht der Hang zum Krieg, zum Verbrechen, der uns als Individuum oder im Kollektiv immer wieder einholt?

IONESCO: Diese Schuld bei Kafka hat mich enorm berührt. Ich glaube, daß uns der Hang zum Verbrechen kollektiv einholt. Ich wollte nicht in der Kaserne sein. Auch meine Kameraden wollten dies nicht. Und dennoch hat uns die Kraft der Macht dazu gebracht, Soldat zu sein, und ich war ein schlechter Soldat. Gäbe es eine Gemeinschaft, so könnte man diskutieren; es gibt aber nur die Masse, den Kommandanten, den Offizier, den Chef. Wie aber könnte man verhindern, daß sich die

Diktaturen behaupten? Man sollte die Menschen lehren, nicht von Gerechtigkeit zu sprechen, sondern von Nächstenliebe. Man sagt Gerechtigkeit und schneidet zugleich den Hals ab. Auch Freiheit ist das Verlangen, den Menschen auszuschöpfen. Nächstenliebe also sollte es sein: Liebe, innere Betrachtung und Religion.

FURCHE: Welches Gesicht haben die Ungeheuerlichkeiten, die in Zukunft auf uns zukommen?

IONESCO: Betrachten Sie einfach meine Bilder!

FURCHE: Was sind Ihre Vorbilder in der Malerei?

IONESCO: Ich hebe die Malerei als Kunst der Stille. Vermeer spricht mich an, weil er das Licht spielen läßt. Oder Canaletto, dessen Figuren ohne Lärm sprechen. Dagegen verabscheue ich Rubens. Seine Büder sprechen zuviel.

FURCHE: Wie versteht sich Ihre Forderung nach mehr Religiosität und Spiritualität? Geht es um eine Wiedervereinigung von Religion und Kunst?

IONESCO: Nicht ganz. Kunst ist nicht Religion, aber die Kunst bereitet auch die Religion vor, denn Kunst ist innere Betrachtung. Wenn man nicht an Gott glaubt, glaubt man auch nicht an die Kunst.

FURCHE: Sprechen Sie von Ihrer eigenen Angst oder von der Angst der Menschen, wenn Sie sichinlhren Werken als Beobachter im Hintergrund halten?

IONESCO: Es ist eine persönliche Angst, doch ich nehme an der Angst der Menschen teil.

FURCHE: Sie sagten einmal, Sie müßten durch das Böse hindurch. Sie stellen jedoch das Böse nur dar, erklären es aber nicht. Warum?

IONESCO: Weil das Böse ein Geheimnis ist. Ich weiß, daß es existiert, aber wie soll man es erklären? Und wie soll man die Schöpfung, das Gute erklären?

FURCHE: Sie wurden 1912 in Rumänien geboren und wuchsen in Frankreich auf. Wie kommt es, daß Sie als Anti-Kommunist gelten?

IONESCO: Ich bin Anti-Kommunist.

FURCHE: Wie definieren Sie sich selbst?

IONESCO: Wie ich mich definiere? Ich warte darauf, wie mich die anderen definieren werden.

FURCHE: Trifft der Begriff „absurd” auf Ihre Stücke zu?

IONESCO: „Absurd” ist zu wenig. Es paßt nicht ganz auf mein Theater. Es ist eher lächerlich, lachhaft. Die Menschen haben die Bedeutung der Dinge verloren. Also sind sie alle lächerlich. Es gibt keine objektiven und metaphysischen Normen.

FURCHE: Genügt es, die Vorstellungskraft des Dichters gegen die Realität zu stellen?

IONESCO: Die Realität existiert nicht. Realismus ist nicht die Realität. Realismus ist eine literarische Schule. Doch was ist Realität? Ich kann sie nicht definieren. Man weiß nicht, wo man sich befindet und was man macht. Man kennt das Endliche und das Unendliche nicht. Selbst die Physiker haben den Kern der Materie noch nicht gefunden. Und dies ärgert sie. Doch die Materie existiert nicht. Wo also ist die Realität? Man weiß es nicht. Sie ist Energie, aber was ist Energie?

FURCHE: „Wir können die Sonne nicht versetzen, den Tod nicht verschieben”, haben Sie gesagt. Ist es also sinnlos, etwas tun oder verändern zu wollen?Ist das Ihr Resümee?

IONESCO: Ja, aber es ist nicht alles unveränderbar. Gott kann alles verändern. Und Gott kann uns sogar die Gabe geben, das zu verstehen — einmal, irgendwann!

Das Gespräch mit Eugene Ionesco führte Siegmund Kastner.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung