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Kunststücke auf der Bühne

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Die Josef Stadt liebt das Kunststück. Von allen Theaterstücken sind die Kunststücke die elegantesten und unverbindlichsten. Sie wirken leichter, als sie sind. An ihnen erprobt sich der Virtuose, in ihnen zeigt sich der Meister, nicht der Künstler. Eines der köstlichsten Kunststücke, das je auf einer Bühne zu sehen war, ist „H o k us pokus" von Curt Goetz. Auch in der Inszenierung von Hans J a r a y ist es noch köstlich, obwohl man das Ergebnis, nicht zuletzt durch den Goetz-Film, bereits kennt. Die Tricks, mit denen hier gearbeitet wird, faszinieren immer wieder, und man bleibt bis zum Schlußvorhang im Zweifel, ob man es bei „Hokuspokus" mit einer Komödie, einem Drama oder purer Zauberei zu tun hat. Vielleicht ist es die Mischung von allen diesen Elementen, die so bezaubert, ich weiß es nicht. Die Fassung, in der „Hokuspokus" jetzt in der Josefstadt gespielt wird, hat ein Vor- und Nachspiel im Theater. Diese Rahmenhandlung erinnert daran, daß es „Hokuspokus" einmal, vor Jahren, schwer hatte, seinen Weg auf und über die Bühnen zu finden. Das erscheint uns heute kaum glaublich. Jedenfalls hat das Spiel durch diesen Rahmen, der allen Darstellern zu Doppelrollen verhilft, nur gewonnen. Hier kann Goetz so kluge Bemerkungen über das Theater machen, wie: ..Das Publikum will im Theater lachen und weinen können. Und es will sich nachher nicht dafür genieren müssen, daß es gelacht oder geweint hat." Nun. nach „Hokuspokus" muß sich niemand schämen, daß er gelacht hat. Und auch nicht darüber, daß ihn die eine oder andere Stelle tiefer berührte So etwa der Satz, den die des Mordes beschuldigte AgtTa Kjerulf zum Staatsanwalt sagt, als dieser sie fragt, wer denn der Vater des Kindes sei, das sie unter dem Herzen trage: „Sie nicht, Herr Staatsanwalt! (Gelächter, dann leiser:) Aber wenn Sie es wären, würde ich Sie auch nicht verraten." Hier stimmt Curt Goetz, ohne daß es freilich das Publikum zu diesem Zeitpunkt bereits weiß, wieder das Hohelied der Ehe an, daß der Grundtenor aller seiner Stücke ist. Die gute Ehe, sagen diese Stücke, kann alles überwinden. Und wir, die wir diese Stücke mit soviel Vergnügen sehen, müssen uns nicht schämen, daß wir uns an ihnen erfreuen oder von ihnen berührt werden.

Hans Jaray mischt als Regisseur lustig die Karten und hokuspokert drauflos. Als Theaterdirektor ist er ganz in seinem Element. Für die Rolle des Peer Bille, des ehemaligen Zirkusreiters und Kunstschützens, bringt er freilich zu wenig Männlichkeit mit. Zaubern dagegen kann er aus dem Handgelenk. Ursula Schult als seine Frau ist zwar scharmant, besitzt aber doch nicht genug Gewicht. Leopold Rudolf als Verteidiger ist ebenso wendig wie menschlich. Sein Dramaturg des Vor- und Nachspiels ist ein Musterstück nuancierter Charakterisierungskunst. Einige Längen im vierten Bild stellen zwar unsere Patience ein -wenig auf die Probe, aber zum Schluß wird sie doch belohnt: Es geht auf, dies Kartenspiel um die Welt.

Nicht auf geht dagegen das Kunststück, das in den Kammer spielen zu sehen ist. Louis Jouvet sagte einmal über das Theater, es halte sein Gleichgewicht innerhalb einer weiten und notwendigen Schwingung zwischen Wahrheit und Lüge. Nun, „E i n e u n m ö g Ii c h e Frau", das Lustspiel von Andrė R o u s s i n, vermag das Gleichgewicht nicht zu halten. Auch wenn es die Wahrheit spricht, glaubt man, daß es lügt. Die Geschichte dieser Frau, die ihren Mann auf alle nur unmöglichen Arten betrügt (man hat ihren Inhalt und ihre Inhaltlosigkeit am anderen Tag schon vergessen), soll nach Roussin eine „farce noir" sein. Sie ist nur eine witzige 'Wortturnerei, die unterhält. Dort aber, wo die Farce wahr wo sie wesentlich sein will, wo sie philosopmTch wird, da turnt sie ohne Netz; da" springt sie ins Leere. Da berührt sie peinlich. Da hat sie keinen Halt. Da stürzt sie ab. Wenn der Vorhang fällt, ist sie tot.

Die Aufführung unter der Regie von Peter P r e s e s bietet nichts von geschlossenem Ensemblespiel. Die Schauspieler vollbringen Einzelakrobatik am Trapez. Jane Tilden ist eine naive Nina, der man nicht widersprechen kann; Ernst Waldbrunn ist komisch, aber auf eine Art, die nicht zum Stück paßt; Heinz Conrads ist ein Polizeiinspektor, der sich offenbar nur durch Versehen auf die Bühne verirrt hat; sein Kommissariat dürfte im Raimundtheater liegen; Turhan Bey endlich sieht besser aus als alle seine Partner. Er mag dies auch -wissen; denn sonst würde er sich sicherlich mehr anstrengen.

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