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Meisterhafte Komödie

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Wie schon „Amphitryon“, zu dem er zeitlich gehört, zeigt auch „Der zerbrochene Krug“, daß das komische und das tragische Element in der Kunst Kleists den gleichen Wurzeln entsprungen sind. Sein Richter Adam, der sich nachts unter listigen Vorspielungen in Evchens Zimmer geschlichen hat und dabei den Krug zerbrach, muß sich selbst „den Hals ins Eisen judizieren“; es ist die tragische Situation des Ödipus, ins Komische gewendet. Was H. Taine Falstaff nachsagte, daß „die Beteuerungen seinem Mund wie das Wasser einem offenen Faß entrinnen“ und „die Lügen in einem Kopf wie die Schwämme auf fettigem, fauligem Boden keimen, blühen, wachsen und sich vermehren“, das gilt auch für Kleists komischen Helden und Dorftyrannen Adam in seiner ganzen Lebensfülle, mit der er in unerschöpflichen Listen und Lügen eine unhaltbare, längst verlorene Position bis zum äußersten behauptet. Gleichzeitig berührt das Lustspiel das Grundproblem Kleists, nämlich „wie der Mensch über den rätselhaften Charakter der Welt hinaus selbst gewiß wird und bleibt“.

Die Sprache wird in diesem saftigbäuerlichen Spiel zum Vollzug — die Wortspirale zur Schlinge, in der sich der Lügenbold Adam schließlich fängt. Regie muß hier demnach Wortregie sein, woran sich Fritz Reichert bei seiner Inszenierung im Theater in der Josefstadt bis auf einige Umständlichkeiten auch hielt. Aber bei Kleist gehört zu jedem Wort zugleich die entsprechende Gebärde. Seine Sprache hat hier mimischen Charakter und erfordert fast in jedem Satz eine neue Situation des Ausdrucks und der Bewegung — eine Rollengestaltung, die nur ein großer Schauspieler und Mimiker meistert. Hier liegen Grenzen und Schwierigkeiten jeder Aufführung. Jochen Brockmann als Adam vermag die tausend wechselnden Augen-Blicke noch nicht zu einer Einheit zu verschmelzen, noch spielt er zu angestrengt, noch ist er nicht das Stück Natur, ein Mannsklotz, der sein Sodom und Gomorrha erlebt. Das gleiche gilt für Angelika Hurwicz als Frau Matthe Rull. Adams Gegenspielerin, der man das Weibsstück mit Haaren auf den Zähnen nicht recht glaubt. Alle übrigen: der

noble Gerichtsrat (Franz Schafheit-1 i n), der intrigante Schreiber Licht (Robert D i e 11), Jungfer Eve, ein Bild verzweifelter Treue und Scham (Nicola Weisse), der störrische eigensinnige Ruprecht (Klaus L ö w i t s c h) und alle anderen — sie boten mehr oder weniger Mittelmäßiges. Für die Szene, Adams schlampigen Haushalt, und die Kostüme war Gottfried Neumann-Spallart verantwortlich. Lauer und ein wenig ratloser Beifall.

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Es gibt ein neues „Spiel im Schloß“. Diesmal nicht von Anouilh, sondern von dem Franzosen Ren£ de O b a 1 d i a. So ungewöhnlich seine Herkunft — in Hongkong geboren, Vater aus Panama, Mutter Französin, Amme aus China — so ungewöhnlich die dramatische Mischung in seinem Pariser Traumstück „G e n u s i e n“. Man muß Strindberg ganz außer acht lassen und eher an die Schule Jonesco-Tardieu denken. Obaldias Stück ist ein Reißer mit Poesie. Mme. de Tubereuse, extravagante, exaltierte Schloßherrin, veranstaltet einmal im Jahr „eine schöngeistige Dekade“. Die sogenannte beste Gesellschaft ist eingeladen, Berühmtheiten und solche, die es werden wollen. Ein Psychiater, ein Organist, ein Dramatiker mit ihren Frauen, die allesamt snobistisches Geschwätz von sich geben. Mitten in die Gesellschaft platzt der junge Dichter Christian mit seinem Gönner und verlieb^ sich auf den ersten Blick in Irene, die exotische Frau des Dramatikers, die aus Genusien stammt und nur Genusisch spricht, einem Traumland irgendwo zwischen Persien und Indonesien. Die zwei-aktige Komödie zeigt nun den geträumten Ausflug der Liebenden ins Märchenland Genusien, bis das läppische Geplapper der Gäste die beiden wieder in die lächerliche Wirklichkeit zurückholt.

In der Inszenierung und Bearbeitung von Veit Relin kam im Konzerthaus-Theater der Josefstadt eine sehr beschwingte Aufführung zustande. Von den zehn Darstellern seien vor allem die ganz vortreffliche Ursula Schult als Schloßherrin sowie Marion D e g 1 e r und Albert Rueprecht als die traumversunkenen Liebenden genannt. Der amüsante, kurzweilige Abend fand lebhaften Beifall.

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