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Mit und ohne tiefere Bedeutung

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Daß Friedrich Dürrenmatt eine eigene Handschrift — und dazu eine mit der Theaterpranke geschriebene — besitzt, hat er der Welt mit seinem bisher vollendetsten Meisterwerk, dem „Besuch der alten Dame“, und schon zuvor mit den „Ehen des Herrn Mississippi“ bewiesen. Es bleibt schleierhaft, warum er sich jetzt in die epigonale Gefolgschaft Bert Brechts einreiht, dieweil Brechts episches Theater selbst immer mehr zum Zeitdokument, also unnachahmbar und unwiederholbar, wird. Dabei bleibt der Schüler dem Meister am entscheidenden Punkt die Nachfolge schuldig. Brechts Theater geht von der Annahme aus, daß die Welt wandelbar ist, daß der dialektische Prozeß der Wirklichkeit zugleich deren Aufhebung einleitet, die neue (kommunistische) Wirklichkeit zwingend aus der Darlegung der alten (klassengesellschaftlichen) Wirklichkeit hervorgeht. Nun ist Dürrenmatt kein dialektischer Materialist und will auch keiner sein. Daher fehlt seinem Brecht-Theater .die entscheidende Wendung. Er bleijit,. bfll, der Analyse stehen, legt das Rae.rwenkttoß, aber er bleibt .bei Jer The£l,s“ djc“ Äntithesis { schuldig. Bei der „alten Dame“ war dies nicht der Fall. Das stellvertretende Sühneleiden des Ödipus-111 für die in Bosheit verstrickte Stadt war eine mögliche und überzeugende Konsequenz: ein großartiger Beweis dafür, daß man vom Brecht-Theater nicht zum Brecht-Kommunismus gelangen muß. In „Frank der Fünfte“, der Oper einer Privatbank, kommt Dürrenmatt und mit ihm der Zuschauer nirgends hin, weder zu Brecht noch zu Dürrenmatt. Und darum ist dieses ganze, unerträglich lange

Stück überhaupt kein Stück, sondern eine Exposition, ein Ausgangsthema. Auch die Musik Paul Burkhards ist Begleitung, Untermalung, Kulisse, kne Aktion wie einst die Musik Weills zur „Drei-groschenoper“. (Wir bekamen beim Hören die Erinnerung an die Trauertrompeten zu „O mein Papa“ nicht los.) Leon E p p tat bei der Aufführung des Volkstheaters das vielleicht einzig mögliche, den Abend zu retten: Er illustrierte ebenfalls, er jagte, seine Schauspieler nicht in Spannungen, die eben im Stück nicht vorhanden sind, sondern ließ sie breit und fröhlich auskosten, was in ihren Rollen komödiantisch „drin“ war. Das tat dann aber auch jeder auf eigene Faust: Alfred Jerger verklärte die makabre Biederkeit des Bankiers durch Prosasprechen ä la Freischütz, Dorothea Neff zeigte, wie herrlich sie als „Mutter Courage“ gewesen wäre, Kurt Sowinetz spielte Wedekind, Hans Rüdgers und Oskar Willner pointierten Charakterkomödie, Heinrich Trim-bur und Hans Weicker so etwas wie Dürrenmatt oder Max Frisch. Hubert Aratym schuf ein Bühnenbild für ein wirkliches Theaterstück — das sich mangels Vorlage nicht entwickelte.

Den Gestalten des romantisch-genialen Lustspiels „Scherz. Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ von Christian Dietrich Grabbe sind schon weit erfahrenere Schauspieler das Letzte schuldig geblieben als jene, die sich im „Theater im Zentrum“ daran wagten. Fritz Peter Buch gab ihnen als Regisseur einen fein gedrechselten Rahmen (Rudolf Schneider-Manns Au schuf dazu ein intelligentes Bühnenbild). Auszufüllen vermochte ihn nur Rudi S c h i p-p e 1 als Dichter Rattengift. Das erhebliche Verdienst des Theaters liegt darin, dem Publikum und den größeren Bühnen wieder einmal gezeigt zu haben, was für ein faszinierender Kerl dieser Grabbe gewesen ist.

Gerhard B r o n n e r stellt im Programmheft einleitend fest, daß das von ihm selbst, zusammen mit Carl Merz und Kurt Nachmann, verfertigte Abendprogramm „Das K1 a vi er spie 1“ des Neuen Theatersam Kärntnertor weder ein Kabarett noch ein Stück sei. Dies sei ihm bereitwillig attestiert. Es sei auch gern festgestellt, daß es sein in den Tagen Qualtingers so brillant-witziges und treffsicheres Team zu großen Erfolgen in . der im Untertitel angekündigten „Schule der Beiläufigkeit“ gebracht hat, Wohin ist das alles verschwunden, was uns einst am gleichen Ort begeistertel Wie lässig ist dieser historische Galopp durch fünfzig Jahre unserer Geschichte arrangiert, wie holprig wird er geritten ... Wenn schon historische Daten, dann bitte richtige: Auch Bundespräsident Renner wurde in dieser Funktion nicht durch die Russen eingesetzt, sondern durch die Bundesversammlung gewählt. (Der im Programm ungenannte Verhandlungspartner vor den ersten Wahlen war ein gewisser Figl, der ebenfalls ungenannte Vater des Staatsvertrags hieß Raab, und die Tätigkeit des kurz erwähnten Karnitz bestand nicht nur in der Steuerbegünstigung von Schieberspesen. Auch das Jahr 1934 stand nicht allein im Zeichen verfolgter und unschuldig beschossener Sozialdemokraten. Der nicht mit Namen genannte ermordete Kanzler hieß Dollfuß.) Aber sonst stimmte fast alles. Einige der Bilder hatten sogar so etwas wie Atmosphäre. Weniger jene des deplacierten „Gott erhalte“ oder des „Guten Kameraden“, dafür der von Kurt Sobotkä prächtig chargierte Inflations-Song und das makabre Bild aus der Nazizeit, das dank der schauspielerischen Intensität Kurt Nachmanns (des weitaus besten Mannes an diesem Abend) am eindringlichsten geriet. Denn also: Morgen wieder luschtickl

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