6683782-1962_05_14.jpg
Digital In Arbeit

ÜBER FRIEDRICH DÜRRENMATT

Werbung
Werbung
Werbung

Die Schweiz ist ein sauberes Land, ein wohlgeordneter Flecken J-f Erde. Aber würden Sie von uns nicht eher Leistungen in Präzisionsindustrie, Demokratie oder Miliz erwarten, als einen wesentlichen Beitrag zur Kunst oder Kultur? Zum Glück für uns Eidgenossen entsprechen die Tatsachen nicht durchwegs den Erwartungen. Sind es doch nicht zuletzt zwei Schweizer, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, die die moderne dramatische Kunst bereichern.

Dürrenmatt allerdings meldet Vorbehalte an, sobald von ihm und der Schweiz im gleichen Atemzug die Rede ist. „Der Staat hat seine Probleme technisch zu meistern; daß ich in der Schweiz automatisch telephonieren kann, ist mir wichtiger als der ganze Helvetismus. Die demokratischen Freiheiten sind technische Selbstverständlichkeiten, keine geistigen ...“, meint er. Friedrich Dürrenmatt ist also nur bedingt als legitimer Nachfahre Wilhelm Teils anzusehen, denn „der Schriftsteller einer kleinen Nation kann es sich schon geschäftlich nicht leisten, allzu patriotisch zu sein“.

Dürrenmatt ist ein engerer Landsmann von Jeremias Gotthelf, und er scheint denselben harten Berner Schädel zu besitzen wie der Dichterpfarrer und wie sein Großvater Ulrich Dürrenmatt im Streit gegen den „Zeitgeist“. Wände seien gerade dazu erfunden, mit dem Kopf durchgerannt zu werden, äußerte er sich einmal. Im Berner und Schweizer Volkstum verankert ist aber auch Dürrenmatts vielfarbige Heiterkeit. Ein unbändiges, herzliches Lachen tönt aus den Komödien, und seine Freude an Humor und Scherz, an Spott und Ironie wurzelt im gleichen Grund, der auch die froh-freche Heiterkeit des Volkes trägt. Obwohl er Bert Brecht kennt und schätzt, sind seine eigentlichen Vorgänger und Vorbilder doch eher Aristophanes und Nestroy, mit denen er nicht nur den Humor und die Heiterkeit, sondern auch die bissige Satire und die Zeit- und Gesellschaftskritik gemeinsam hat.

Natürlich bereiten solche Leute nicht jedermann eitel Freude, und sicher ist Dürrenmatt oft froh um seinen harten Kopf. Mit dem Theaterskandal bei der Uraufführung seines ersten Werkes, „Es steht geschrieben“, im Zürcher Schauspielhaus, mag der Streit um ihn begonnen haben, und mit dem Ruhm wuchs auch die Schar der „Kritikaster“. Man verübelt ihm, daß er es wagt, für die Entsakralisierung des Theaters einzutreten. Man ärgert sich

Sprache der ersten Jahre ist voll schwerer, satter Farben, die Dramatik wortgewichtig und wortgewaltig. Jetzt aber ist beides viel mehr realitäts- und objektbezogen, steht im Dienst der Form, und erst da erreichen Dürrenmatts Wortspiele, Ironie und launige Selbstkarikaturen ihre vollendete Wirkung. Während der Autor in den Frühwerken spürbar eingespannt ist in den Kreis der vorwiegend metaphysischen und religiösen Problematik, so zeigen ihn die seit 1948 entstandenen Werke distanzierter und sicherer. War für jene der leidende und gefolterte Mensch das Leitbild, so tritt ihm in den Komödien der tapfere Einzelne, der die Welt besteht, als Gefährte zur Seite.

Das Drama „Es steht geschrieben“, Dürrenmatts Erstling, handelt in freier Form von den Wiedertäufern zu Münster in Westphalen. Knipperdollinck, der reine Mensch, und Bockelson, der Betrüger, werden gegeneinander ausgespielt. Bringt Knipperdollinck, voll Unruhe nach dem Reich Gottes, Vermögen, Frau und Kind zum Opfer, so versteht es Bockelson, aus der Naivität und religiösen Inbrunst der Leute von Münster Kapital zu schlagen und sich zu ihrem König zu machen. Im Job-Motiv, der komödiantenhaften Sprache, dem bunten Personenarsenal, Ansätzen zur Mehrschichtigkeit melden sich bleibende Elemente an. Noch aber hält Dürrmatt am tragischen Drama fest. Knipperdollinck, der heilige Narr, der da auf dem Dachfirst unter einem riesigen Vollmond tanzt und auf Schritt und Tritt parodiert wird von seinem Schatterf Bockelson, er soll uns durch die Unbedingtheit seiner Hingabe zeigen, was absolutes Opfer ist. Das Stück schließt mit den Worten des Gefolterten: „ . . .wie in einer Schale liegt mein Leib in diesem Rad, welche Du jetzt mit Deiner Gnade bis zum Rande füllst!“

Mit „Romulus der Große' vollzieht Dürrenmatt den Wechsel zur Komödie. Er begründet diesen in den „Theaterproblemen“ folgendermaßen: Die Tragödie setze Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung voraus. Dies alles könnten wir in unserem Jahrhundert, „in diesem Kehraus der weißen Rasse“, nicht mehr aufbringen, weil wir zu kollektiv schuldig seien und deshalb auch kein Recht auf das Pathos der Tragödie mehr besäßen. Uns komme nur noch die Komödie bei, und das Tragische ließe sich aus ihr heraus erzielen. „Nun liegt der Schluß nahe, die Komödie sei der Ausdruck der Verzweiflung, doch ist dieser Schluß nicht zwingend. Gewiß, wer das Sinnlose, das Hoffnungslose dieser Welt sieht, kann verzweifeln. doch ist diese Verzweiflung nicht eine Folge dieser Welt, sondern eine Antwort, die er auf diese Welt gibt, und eine andere Antwort wäre sein Nichtverzweifeln, sein Entschluß etwa, die Welt zu bestehen, in der wir oft leben wie Gulliver unter den Riesen. Auch der nimmt Distanz, auch der tritt einen Schritt zurück, der seinen Gegner einschätzen will, der sich bereit macht, mit ihm zu kämpfen oder ihm zu entgehen. Es ist immer noch möglich, den mutigen Menschen zu zeigen. Dies ist denn auch eines meiner Hauptanliegen...“

Der Unterschied zwischen den Frühwerken und den Komödien liegt also wesentlich in dieser neuen Art, sich mit der Welt als dem „Ungeheuren“, dem „Rätsel an Unheil“ auseinanderzusetzen: nämlich es hinzunehmen, ohne jedoch zu kapitulieren. Zugleich aber beginnt Dürrenmatt von der Bühne her zu gestalten, und er wird jener raffinierte Theater- und Hörspielmann, als den wir ihn heute kennen.

„Romulus der Große“, diese ungeschichtliche historische Komödie, hat zum Inhalt die Liquidierung des römischen Reiches — durch den Kaiser höchstpersönlich I Romulus hat als einziger eingesehen, daß ein Staat wie der seine weder Notwendigkeit noch Recht zu existieren besitzt, weil er ein Weltreich geworden ist „und damit eine Einrichtung, die öffentlich Mord. Plünderung, Unterdrückung und Brandschatzung auf Kosten der anderen Völker betrieb“. Er erklärt: „Das römische Weltreich besteht seit Jahrhunderten nur noch, weil es einen Kaiser gibt. Es blieb mir deshalb keine andere Möglichkeit, als selbst Kaiser zu werden, um das Imperium liquidieren zu können“. Dies tut er, indem er sich völlig auf seinen Landsitz in Campanien zurückzieht, gut ißt und trinkt, und Hühner züchtet. Natürlich hat er alle Patrioten und Nutznießer dieses Imperiums gegen sich. In einer hochdramatisch-komischen nächtlichen Szene stellt sich Romulus diesen Verschwörern und rechtfertigt sich. Seine letzte Größe erreicht dieser tapfere Einzelne, „der sich auf den Tod hin angelegt hat“, wie er in Odoaker statt des todbringenden Feindes einen ebenbürtigen edlen Gegner und Hühnerzüchter antrifft, von ihm statt ins Jenseits — in die Pension geschickt wird, und diese tapfer auf sich nimmt.

A hnlich wie „Die Ehe des Herrn Mississipi“ ist die tragische IComödie „Der Besuch einer alten Dame“ eine Satire auf den Zeitgeist. Am Bahnhof der verlotterten Kleinstadt Güllen, wo die Züge mit schweizerischer Pünktlichkeit nur noch vorbeisausen, steht die Prominenz der Gemeinde zum Empfang ihrer arrivierten Mitbürgerin bereit. „Höchste Zeit, daß die Milliardärin kommt. In Kalberstadt soll sie ein Spital gestiftet haben...“ Alfred III, vor 45 Jahren ihr Liebster, verspricht, sein Möglichstes zu tun. Sie platzt mitten in die Empfangsvorbereitungen hinein, per Schnellzug und Notbremse. „Die Notbremse zieht man nie in diesem Land, auch wenn man in Not ist. Die Pünktlichkeit des Fahrplanes ist oberstes Prinzip...“ Frau Ciaire Zachanassian alias Klärli Wäscher aber kann es sich leisten, dagegen zu verstoßen. Sie leistet sich noch viel mehr. Der Festversammlung, die mit Lobhudeleien nicht spart, sagt sie klipp und klar: „Ich gebe auch eine Milliarde und kaufe mir dafür die Gerechtigkeit“. Vor 45 Jahren nämlich hat III sie mit einem Kind sitzen lassen,,'indem er falsche Zeugen aufbot und sie so vor Gericht zur Dirne stempelte. „Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred III tötet“. Entrüstet setzt sich der Bürgermeister in Positur: „Frau Zachanassian: Noch sind wir in Europa, noch sind wir keine Heiden..Die alte Dame aber wartet, überzeugt, daß sie gewinnen wird. Und Güllen, das ebensogut Seldwyla oder Konolfingen heißen könnte, putzt sich heraus. Die Leute kaufen auf Kredit. Unmerklich schlägt auch die Stimmung um, bis es endlich geschieht, hochoffiziell und geschickt rationalisiert. Und Dürrenmatt „ist gar nicht so sicher, ob er anders handeln würde“. III aber ist von einer Krämerseele unmerklich zu einem stillen tapferen Mann geworden, der sich in sein Schicksal ergibt, dem Urteil der Gemeinde unterwirft und dem Tod ins Auge schaut. ..Für mich ist es Gerechtigkeit, was es für euch ist, weiß ich nicht...“

Dürrenmatt ist Protestant. Treffend sagt Elisabeth Brock, die Verfasserin von „Friedrich Dürrenmatt, Stationen seines Werkes“, zum Thema „Dürrenmatt und die Religion“ die vielsagenden Worte: „Nie zerschlägt ein Dürrenmatt den Hausrat der Menschenwelt, außer es gehe ihm um die Wiederentdeckung wesentlicher Wahrheit, die von diesem abgestorbenen Hausrat verdeckt und erstickt worden ist.“ Zu sehr ist der Dichter, auch typmäßig, im behäbigen, schwerblütigen Menschenschlag seiner Berner Heimat verwurzelt, als daß er zum Nihilisten oder losen, destruktiven Spötter taugte, wie ihn Kritik in Abwehrstellung hie und da hinstellen möchte. „Ich schreibe, um das Absurde dieser Welt wissend, aber nicht verzweifelnd; denn wenn wir auch wenig Chancen haben, sie zu retten — es sei denn, Gott sei uns gnädig —, bestehen können wir sie immer noch.“

über seine „Pietätlosigkeit“, wenn er das Kind beim Namen nennt und vom Theater als einem Museum spricht, „in welchem die Kunstschätze alter Theaterepochen gezeigt werden“. Für die Patrioten ist Dürrenmatt ein Bolschewist, weil er andeutet, man solle „vor allem gegen sein Vaterland mißtrauisch sein“, da niemand leichter zum Mörder werde als ein Vaterland. Die Spießbürger schimpfen, weil er ihre neurotische Weltordnung anzutasten wagt. Den Weltverbesserern endlich geht er auf die Nerven, weil er zuviel lacht, usw. Dürrenmatt ist ein vortrefflicher Dramatiker, Meister „einer erregenden Prosa“, Romancier von Rang, und einiges mehr. Eine seiner stärksten Seiten ist aber zweifelsohne diese herzerfrischende Unkonventionalität.

Friedrich Dürrenmatt wurde am 5. Jänner 1921 in Konolfingen (Kanton Bern) als Sohn eines protestantischen Pfarrers geboren. 1935 zog der Vater nach Bern, wo sein Sohn das Gymnasium absolvierte. Es folgen die Jahre des mehrsemestrigen Theologie- und Philosophiestudiums in Bern und Zürich, vorübergehender Beschäftigung als Zeichner und Graphiker. Sie entscheiden über die Zukunft. 1946-48 lebt Dürrenmatt in Basel und versucht, sich als freier Schriftsteller durchzubringen. Kurz vor der Uraufführung seines ersten Theaterstückes „Es steht geschrieben“ heiratet er die frühere Schauspielerin Lotti Geissler. 1948 übersiedelt die Familie in ein Dorf am Bielersee, und seit 1952 lebt Dürrenmatt mit seiner Frau und den drei Kindern in Neuchätel.

Von der frühen Prosa und den dramatischen Erstlingswerken führt, so möchte es scheinen, ein weiter Weg zu den Komödien, Hörspielen und Romanen der Jahre 1948 ff. Trotz surrealistischen Zügen zeigt die spätere Prosa doch vor allem Menschen, die nicht nur leiden, sondern auch leben, auf der Erde leben. Über die Thematik der frühen Prosa aber könnten Gestalten Trakls, Landschaften Kafkas als Chiffren stehen. Die

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung