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Wenn der Einfall regiert
THEATERSCHRIFTEN UND REDEN. Von Friedrich Dürrenmatt. Verlag Arche, Zürich, 1966. 357 Seiten. sFr 2.80. — DER METEOR. Von Friedrich Dürrenmatt. Verlag Arche, Zürich, 1966. 71 Seiten, sFr. 8.80.
THEATERSCHRIFTEN UND REDEN. Von Friedrich Dürrenmatt. Verlag Arche, Zürich, 1966. 357 Seiten. sFr 2.80. — DER METEOR. Von Friedrich Dürrenmatt. Verlag Arche, Zürich, 1966. 71 Seiten, sFr. 8.80.
Uber das Theater, über seine Wir- kung oder Mission äußert sich Dürrenmatt nur sehr zurückhaltend. Er interpretiert sich selten und verteilt keine philosophischen Traktate als Rezept zur Menschenverbesserung. Er ist ein Praktiker. Liegt daher einmal ein Band „Theorie“ wie „Theaterschriften und Reden“ vor, so kann er schon einiges Interesse beanspruchen. Auch dann, wenn er uns mit keinen sensationellen Neuheiten konfrontiert und keinen unersetzlichen Beitrag zur Ästhetik liefert. Niemand wird das ernsthaft erwarten. Dürrenmatts Stärke liegt darin, einfache Wahrheiten ebenso einfach festzustellen. Weiter, daß er seine theoretische Aussagekraft in Hinblick auf seine Schreibpraxis nicht " überschätzt:- Als dramatischer Amateurphilosoph sieht sich Dürrenmatt nicht. Er liebt und versucht es, Geschichten zu schreiben, nicht Welträtsel zu lösen.
Natürlich dreht sich alles immer wieder um die Situation der Komo- die. Dürrenmatt glaubt Grund zur Klage zu haben: „Das Komische gilt als dias Minderwertige, Dubiose,'Unschickliche, man läßt es nur gelten, wo einem so kannibalisch wohl wird als wie fünfhundert Säuen“ (S. 128). Er stellt sich hier in die Reihe der großen Unbequemen, die einer hartgesottenen Zeit nur mit der grotesken Komödie an die Gurgel zu fahren vermochten: Nestroy, Wedekind, Brecht, Karl Kraus ...
Einfall ist Trumpf! — das gilt für Dürrenmatts Dramen ebenso wie für seine Aufsätze und Reden. Wo der Einfall eine Abhandlung trägt, ist sie geistreich, beiläufig-tiefsinnig, witzig, wo er fehlt — was aber selten ist — geht die Sache schief. Echte und sicherlich wichtige Kernstücke des auf alle Fälle interessant . ten Buches sind die Kapitel: Theaterprobleme; Anmerkung zur Komödie; etwas über die Kunst, Theaterstücke zu schreiben; Schriftstellerei und Bühne; Notizen und die Anmerkungen zu seinen Stücken.
Gegen Dürrenmatts Kritikerkomplex scheint allerdings kein therapeutisches Kraut gewachsen zu sein.
„Uns kommt nur noch die Komödie bei!“
Streng nach diesem Rezept hat Dürrenmatt auch seinen Letztling geschrieben. Und wieder liegt dem Ganzen ein großartiger Einfall zugrunde. „Der Meteor“, dieses im Untergang alle-svernichtende Gebilde, ist ein Nobelpreisträger der Literatur namens Wolfgang Schwit- ter. Mit dem Stoßseufzer „Ein Schriftsteller, den unsere heutige Zeit an den Busen drückt, ist für alle Zeiten korrumpiert“ und weil er den Messern der Mediziner entkommen will und weil er halt so überhaupt ein Philosoph ist, beschließt Schwitter, sein ehemaliges Atelier aufzusuchen, um in aller Ruhe zu sterben. Es ist umsonst. Es gelingt nicht, während es für alle Leute, die mit ihm Zusammenkommen, keine Rettung gibt. Rundherum sterben sie wie die Fliegen, nur Wolfgang Schwitter, der auszog, um das Sterben zu lernen, steht zu seinem Unglück wie ein Fels ...
Ohne Zweifel eine mehr als merkwürdige Geschichte, in die man viel Tiefsinniges hineinlegen könnte. Man sollte aber in der Zwischenzeit schon etwas gewitzter sein. Gewiß stecken in diesem Schwitter mehr oder weniger versteckt ironische autobiographische Andeutungen, sicherlich hat die Karikatur quasi posthumen literarischen Treibens Bedeutung, wichtig ist es nicht. In den „Theaterproblemen“ formulierte Dürrenmatt: „Wenn das Publikum von einer Handlung mitgerissen ist, braucht es nicht nachzukommen, wird es jedoch nicht mitgerissen, kommt es auch nicht mit, wenn es nachkommt.“
Die Qualitäten des Stückes sind trotz mancher Schwächen (allzu große Durchsichtigkeit einzelner Szenen, einiger Längen und Geschwätzigkeiten) unübersehbar. Der Beginn des zweiten Aktes zum Beispiel gehört zum witzigsten,' was Dürrenmatt je geschrieben hat. Interessant ist außerdem, wie weit die Komödie Distanz schaffen kann. Die Leute lachen sich bei Dingen schief, die sie sonst sehr ernst finden: Mausefalle Komödie.
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