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Der Mitmacher“ und seine Folgen

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Friedrich Dürrenmatt, nach Ansicht vieler einer der bedeutendsten Dramatiker unserer Zeit, nach meiner Ansicht der bedeutendste, hat Anspruch auf Wahrheit. Verkünden wir sie also, die Wahrheit. Sagen wir es laut, selbst an dieser Stelle* wo es stört, um Morgenstern zu bemühen: sein letztes Stück war ein Durchfall. Das Stück „Der Mitmacher“ und die Aufführung.

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Friedrich Dürrenmatt, nach Ansicht vieler einer der bedeutendsten Dramatiker unserer Zeit, nach meiner Ansicht der bedeutendste, hat Anspruch auf Wahrheit. Verkünden wir sie also, die Wahrheit. Sagen wir es laut, selbst an dieser Stelle* wo es stört, um Morgenstern zu bemühen: sein letztes Stück war ein Durchfall. Das Stück „Der Mitmacher“ und die Aufführung.

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Die Schuld trifft ihn, der ein zumindest unfertiges Stück herausgab — was er auch vor der Premiere zugab — wie auch das Zürcher Schauspielhaus, das eine völlig unmögliche Aufführung bot, an der allerdings wiederum Dürrenmatt nicht ganz unschuldig ist — denn er warf zuletzt den Regisseur hinaus und führte selbst Regie.

Es geht um einen Wissenschaftler, „Doc“ genannt, ursprünglich Biologe, der eine gute Stellung in der Chemieindustrie verliert und sich als Taxichauffeur durchschlagen muß. Er kommt zusammen mit einem Gangster — sinnigerweise „Boß“ genannt —, der verzweifelt nach einem Krematorium sucht — denn er hat wohl eine Unmenge Leute umbringen lassen, und die müssen verschwinden. Doc vermittelt die Rettung. Er hat ein System erfunden, das es ihm ermöglicht, Menschen sozusagen spurlos in ein bißchen Wasser aufzulösen; und das sehr schnell. Natürlich macht der Gangsterboß ein Geschäft daraus, Doc leitet das Ganze, in einem Keller, sieben Stockwerke unter einem Lagerhaus — vermutlich in oder um New York.

Und dann geschieht, was geschehen muß. Der Polizeichef schaltet sich ein, er will auch daran teilhaben. Desgleichen der Bürgermeister, der Senator, der Gouverneur. Zuletzt werden alle Opfer der Todesmaschinerie, mit Ausnahme des Doc. Er darf am Leben bleiben, muß aber für lächerliche 500 (vermutlich Dollar, die bei der Abfassung des Stückes noch mehr wert waren als heute) weiterarbeiten. Dabei floriert das Geschäft wie nie zuvor — denn nun, da es in den Händen der Behörden ist, müsseh unzählige Mißliebige spurlos verschwinden.

So die Fabel. Es gibt aber auch noch eine Liebesgeschichte und die Geschichte seines Sohnes. Doch alle diese Figuren sind*— für Dürrenmatt einmalig — kaum gezeichnet. Sie alle reden den gleichen Text, sie wären auswechselbar. Der Dialog ist zu Anfang relativ flüssig, das heißt, schnell, man darf fast sagen im Stac-cato-Stil geführt. Im zweiten Teil wird dann alles furchtbar langsam und schleppend, und, es muß gesagt werden — langweilig.

Aber es geschieht ja auch nichts als das, was jeder Zuschauer bereits nach fünf Minuten weiß: nämlich, daß alle umkommen. Und das Ende?

Hier zeigt sich die Unsicherheit Dürrenmatts. Denn es gibt eine ursprüngliche Fassung, und eine zweite, die während der Proben „erarbeitet“ wurde (wie ich diesen Ausdruck hasse!).

Was nun die Aufführung angeht? Sie wurde von dem polnischen Regisseur Andrzey Wajda inszeniert. Das Rätsel, ob er nun wirklich Deutsch versteht oder nicht, ist bisher nicht gelöst worden. Das Theater sagt, daß Dürrenmatt ihn wünschte. Seine Frau hatte angeblich ein Stück von Dürrenmatt irgendwo in Polen gesehen und war entzückt von der Regie, obwohl sie kein Wort Polnisch spricht oder versteht. Es scheint heute in deutschsprachigen Theatern so zu sein, daß nur noch Leute Regie führen, die Deutsch nicht sprechen können.

Hinzu kommt, im Falle dieser Aufführung, daß der Pole zuletzt abgesetzt wurde, beleidigt Zürich verließ und Dürrenmatt die Regie selbst übernahm.

All das absolviert bis zu einem gewissen Grad die Schauspieler. Immerhin hat man den vorzüglichen Schauspieler Peter Arens nie so blaß gesehen, wie als Doc. Kurt Beck als Boß war eine Karikatur, aber keine Person. Vorzüglich Willy Birgel in einer winzigen Rolle.

Dürrenmatt sagte nach der Aufführung, er werde das Stück wohl zurückziehen und noch einmal überarbeiten. Dies steht zu hoffen. Aber auch wenn die Neufassung nicht besser wird, auch wenn er in den nächsten Monaten oder Jahren zwei oder drei Stücke schreibt, die nicht besonders gut sind — was bedeutet das? Dürrenmatt hat das Recht, daß man ihm bestätigt, einen Durchfall gehabt zu haben. Aber mit allem gültigen Respekt. Er bleibt Dürrenmatt.

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