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Von jedem etwas - das war zuviel

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Dürrenmatt, der Große, hat wieder zugeschlagen. Und, wohl um sein langes Schweigen wettzumachen, gleich zwei Stücke auf einmal geschrieben. Beide wurden, bereits eine Woche nach der Zürcher Welturaufführung, im Wiener Volkstheater für Österreich erstaufgeführt.

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Dürrenmatt, der Große, hat wieder zugeschlagen. Und, wohl um sein langes Schweigen wettzumachen, gleich zwei Stücke auf einmal geschrieben. Beide wurden, bereits eine Woche nach der Zürcher Welturaufführung, im Wiener Volkstheater für Österreich erstaufgeführt.

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Das eine ist ein zwischen Realismus und Satire schwankendes Stück von einem Diktator, den die Ärzte - als Vollzugsorgane politischer Interessen - nicht sterben lassen. Dem ohne Narkose ein neues Herz eingesetzt wird (übrigens das eines alten Nazi), damit er noch ein paar Wochen durchhält. Den Namen des Diktators darf natürlich niemand erfahren, es ist der Generalissimus Franco. Das Stück heißt „Die Frist”. Das andere Stück pendelt zwischen surrealistischem und absurdem Theater. Sein Personal besteht aus einer Horde ur- und ururalter Weiber, die Rosa heißen und Rosarosa, Rosabianca und Rosanegra, Rosabella, Rosalaura, Rosaflora, Rosaberta, und der schon 150jährigen Rosagrande, die auf die Männerwirtschaft schimpfen und erst sterben wollen, wenn alle Männer tot sind, und in der Zwischenzeit einander tottrampeln, und zum Schluß eine Parodie auf den „Faust” - Prolog von sich geben.

Zwei ganz interessante neue Dürrenmatts also. Die Sache hat nur einen Haken: Das zweite Stück heißt auch „Die Frist”. Dürrenmatt hat nämlich seine beiden neuen Werke gemeinsam durch den Fleischwolf gedreht und zu einem vereinigt. Jetzt kommen die beiden Handlungen einander in die Quere und jede zu kurz. Eben haben seine Exzellenz, der Regierungschef, noch Politik gemacht, wie der kleine Moritz sie sich vorstellt, und ein paar Freiheitshelden erschießen lassen, um ihren Tod schnell noch dem sterbenden Generalissimus in die Schuhe schieben zu können - da stürmt das Mumienballett die Bühne und macht in Makaber. Während im Fernsehen die live übertragenen Letzten Ölungen des Diktators (!) und ein Fußballmatch durcheinanderkommen, tragen Sanitäter die totgetrampėlten Gespenster hinaus. Imaginär übergetitelt: „Pralles Leben..

Um das Beefsteak tartare noch vollmundiger zu machen, würzte es der Autor mit ein paar KZ-Bestien und ihrem Opfer, dem von ihnen gepeinigten Goldbaum, der am Ende komischerweise Ministerpräsident wird, und etwas Zynismus, und etwas Geschlechtsverkehr (hinter einem Paravent), und ein paar um die Nachfolge des Diktators streitenden Megären, und ein paar angetrottelten Prinzge mahlen, und einem Kardinal, und einem Schauspieler, der einen Kardinal spielt und zur Unzeit mit dem echten zusammentrifft, und, und, und … Ja, und genauso schmeckt es auch.

Nämlich bestimmt nicht fad. Aber auch ganz bestimmt nicht gut. Was Dürrenmatt selbst für „kritisches Theater” hält, wirkt eher wie der verzweifelte Versuch eines Kraftlackels, zu beweisen, daß er’s noch kann. Natürlich hat, bei diesem Autor selbstverständlich, das Spiel seine Momente. Seine packenden. Aber auch seine peinlichen. Am störendsten wirkt, abgesehen vom ziemlich läppischen Mumienballett (im Gegensatz zur Zürcher Inszenierung wurde es so nebensächlich wie vom Text her zu vertreten behandelt), die Fülle der Unmotiviertheiten in der politisch-satirischen Haupthandlung. Aus unverständlichen Gründen verzichtet Dürrenmatt zwar auf keinen billigen Gag und auf keinen Kalauer, dafür aber ganz darauf, wenigstens die eine oder andere seiner politischen Andeutungen schärfer zuzuspitzen, so daß alles unverbindlich bleibt. Wozu nun die Frist wirklich benötigt wird, bleibt offen. Naja, Dürrenmatt war ja immer einer, der seine Stücke erst nach der Uraufführung richtig fertiggeschrieben hat. Vielleicht läßt er für die nächste Inszenierung die verschiedenen politischen Gruppierungen ihre allzu Ungemütlichen um die Ecke bringen, damit es sich dann besser sich einigen läßt. Das war’ wenigstens glaubhaft.

Dem Volkstheater muß man für die prompte Aufführung eines Werkes von einem der Grand Old Men des zeitgenössischen Theaters jedenfalls danken. Die Inszenierung (Erich Margo) vermeidet jeden Schwulst, arbeitet damit freilich um so unbarmherziger die Schwächen des Werkes heraus. Georg Schmid schuf ein adäquates Bühnenbild. Der personelle Aufwand ist erheblich, Peter Hey (Kardinal) stellt als einziger einen wirklichen Menschen auf die Bühne, hat als einziger die Chance dazu. Viktor Gschmeid- ler als Goldbaum: sympathisch, aber blaß, wie so viele reine Menschlichkeit personifizierende Bühnenfiguren. Louis Ries als intrigierende Exzellenz spricht seinen Text so nüchtern, daß dessen Schwäche um so deutlicher wird.

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