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Nachholbedarf

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Kommen zwei Schauspielerinnen zusammen, denen sowohl tragisches wie komödiantisches Element eignet, dann gilt die Wette, daß „The Killing of Sister George“ von Frank Marcus ein Erfolg wird — wie in Salzburg mit Eva Servaes als Schwester George und Gerti Gordon als Alice. Stärkste (und auch ergreifendste) Szene jene, in der die beiden als Dick und Doof eine herrliche Show abziehen, bis dann Mrs. Mercy Croft auftaucht und Schwester George auf den grausamen Boden der TV-Realität zurückholt. Das ist dann keine Komödie mehr, auch nicht durch englischen Humor verfremdet, sondern echte Tragödie, das Scheitern einer Existenz, ohne Absurdität, im blanken Existentialismus des Geworfenseins und des Hineingehaltenseins ins Nichts.

Die Sister George hat ihr Publikum, wie im Fernsehen (im Stück), so auf der Bühne; und darin ist wohl auch die besondere Pointe des Stücks zu suchen. Daß der Rührkuchen nicht vollends ins Weinerliche abgleitet, ist, wie schon gesagt, Eva Servaes und Gerti Gordons Verdienst. Ilse Hemel als Mercy Croft hatte wenig starke Momente, ihr fehlte die Giftigkeit einer alleinstehenden Abteilungsleiterin, Augusta Ripper als Madame Xenia paßte wesentlich besser ins Regiekonzept von Gerd Potyka, der hier wirklich mit den Schauspielern gearbeitet hat. Daß Frau Servaes leider immer wieder (auch schon in „Orpheus steigt herab“) die Distanz zu ihrer Rolle verliert und damit für Versprecher anfällig wird, trübt die Freude ein wenig. Elmar Albrecht ist es gelungen, für die total verbaute Bühne eine Mansarde Zurechtzuzimmern, die Atmosphäre aufkommen ließ. Hildegard Dicker war mit den modernen Kostümen nicht überfordert. Der Nachholbedarf des Salzburger Theaterpublikums wird auf diese Weise sukzessive aufgeholt. In zwei Jahren oder drei dürften dann Uraufführungen kommen (eine ist sogar schon für heuer während der Festspiele angekündigt).

*

Englische Lebensart, Humor und Konversationston der Insel, sind auf kleineren Bühnen, in diesem Fall auf der Bühne der Salzburger Kammerspiele, kaum einholbar. Der Beweis:

Harold Vinters „Der Liebhaber“. Der Gegenbeweis: „Ein unglücklicher Zufall“ von James Saunders.

Gerhard Balluch verfügt über komödiantisches Talent. Aber dieses-mal scheint es nicht so recht zu klappen, weil Pausen im Gespräch eben nichts Neues sind, sondern Spannung erzeugen sollen; müssen; müßten. In dieser spannungslosen Art ist ihm Rosemarie Schrammet anfangs durchaus ebenbürtig. Nur fängt sie sich später, legt einige ihrer Unarten ab, sucht wirklich Pinter zu spielen. Balluch ist kein Engländer. Dieser „Liebhaber“ wäre doch ein köstliches Komödchen: der steife Finanzmanager als der grobe, herzliche Liebhaber seiner eigenen Frau, mit der er des Nachmittags ein Spiel im Spiel abzieht — doch das Feuerwerk findet leider nicht statt. Helmuth Froschauer als Regisseur hat sich sicher Mühe gegeben; vielleicht kommt die^Müfre^in^den ßeprisen, besser heraus. Dehn “einen überzogenen- Balluch vermag keiner zu bremsen. Es sei denn die Gewohnheit.

Saunders „Unglücklicher Zufall“, mehr mit Schwarzem Humor als mit Absurdität gesegnet (was die Publikumsdiskussion nach der Premiere weismachen wollte), geriet vielleicht dichter als Pinters Stück. Auf alle Fälle war dieser Einakter besser gespielt, das ist gar keine Frage.

Dieses endlose Aneinandervorbei-fragen und -reden, Ahnen, Beckmessern, Angeben, dazu das flüchtige Understatement — das hat Hanne Rohrer als Penelope ziemlich genau getroffen. Ingrid Kolbe als Stich-wortbringerin Camilla hat ihre Rolle angenehm zurückhaltend angelegt, bis sie selbst in die ändere Rolle der Penelope hineinwächst. Gerd Rigauer als Roger htte mit seiner Rolle kaum Mühe. Welche Mühe Gerhard Ze-mann für die Inszenierung aufgewendet hat, ist unbekannt, jedenfalls hat der Abend die Mühe gelohnt.

Imre Vinczes Interieurs ließen in beiden Einaktern den Akteuren genügend Bewegungsfreiheit — auf der total verbauten Guckkastenbühne eine respektable Leistung.

Nestroys Posse ,,Das Mädel aus der Vorstadt“ hat seine Meriten, jedermann kennt's, und wenn man zur Aufführung in der Provinz einen Burgschauspieler als Gast gewinnen kann, reißt sich natürlich das hauseigene Ensemble zusammen. Daß dann just Fritz Lehmann in der von uns besuchten Reprise Textschwierigkeiten hatte ..., wer nimmt das gar so übel? Ansonsten vermerkt man einen wohlgezügelten Gigl von Robert Hauer-Riedl, eine durchaus tragbare Erbsenstein von Gerti Gordon, einen leider eher blassen Kauz von Kurt Strauß und wie gesagt einen wirklich guten, wienerischen, aber „schwimmenden“ Fritz Lehmann als Schnoferl. Der Regis-suer Klaus Gmeiner, das hat er schon in der „Donna Diana“ gezeigt, vermag in Salzburg durchaus dem hauseigenen Ensemble einiges abzuverlangen. Ehrliche Arbeit währt halt doch am längsten. Bei uns gab es Abonnementsapplaus.

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