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Der neue Intendant des Zürcher Schauspielhauses, Dr. Peter Löffler, und sein Dramaturg Klaus Völker machen es dem Publikum alles andere als leicht: Nachdem schon die Uraufführung von Heiner Müllers „Prometheus“ und anschließend „Morgen — Ein Fenster zur Straße“ von Jean-Claude Grumberg zum Teil ablehnende Reaktionen hervorrief, verursachte die deutschsprachige Erstaufführung von Bonds „Early Morning“ einen handfesten Theaterskandal. Etwa 200 Besucher verließen schon in der Pause das Theater. Protestrufe, die in der Folterszene zu einer Unterbrechung derselben führten, und Pfiffe vermochten jedoch nicht zu verhindern, daß Peter Steins Inszenierung zu einem enthusiastisch bejubelten Theaterereignis wurde, das gut zwanzig Jahre Theatergeschichte des Zürcher Schauspielhauses so gut wie vergessen machte.

Bonds fürchterliches und zugleich hinreißend groteskes Stück „Early Morning“, vom Autor selbst als beschauliche Komödie bezeichnet, hat es auf der Bühne bisher nicht leicht gehabt Die Londoner Uraufführung mußte schon nach einer einzigen Vorstellung abgesetzt werden, da die damals noch geltende Theaterziensur unerbittliche Strenge übte. Erst das Royal Court Theatre schaffte dann mit einer Aufführungsserie von Bonds Werken eine Rehabilitierung des Autors. Die englische Kritik begann umzudenken und stellte Bond in eine Reihe mit dem zweiten großen Dichter des Gegenwarttheaters, Harold Pinter. Wird sich nun der Londoner Siegeszug des Autors auch auf dem „Kontinent“ fortsetzen?

Nach Peter Steins „Early-Morning"- Inszenierung in Zürich scheint es möglich. Der deutsche Parade-Regisseur, innerhalb von drei Jahren zu Ruhm gekommen, verdankte seine neuerliche Regiegroßtat zum Großteil seinen bewährten Mitarbeitern Jutta Lampe, Bruno Ganz und Dieter Laser, die durch ihre Schauspielkunst wesentlich zur Intensität der Aufführung beitrugen.

„Die Ereignisse in diesem Stüde sind wahr“, behauptet der Autor im Vorspann zu seinem Schauspiel. Wahr zweifellos — aber in einem anderen 'Sibilė;-als es histötfisdie' Akribie je erreichen könnte. Der schonungslose Blick hinter die Kulissen. Oder, wie es Im Vorwort zur englischen Buchausgabe heißt, „Geschichte surrealistisch manipuliert, um sie durchschaubar zu machen“. Das historische Detail wiegt bei Bond wenig. Der eher prüden Königin Viktoria dichtet er beispielsweise , ein lesbisches Verhältnis mit Florence Nightingale an. Arthur und George, die siamesischen Zwillinge, sind bei ihm Vertreter des „guten“ Menschen und der kalt berechnenden Macht. Arthur, dem positiven Königssohn, fehlt jegliche Aktivität Er weiß zwar um den Kannibalismus der andern (gegen Schluß des Schauspiels verzehren sich die Darsteller „gegenseitig“ im Himmel), aber er unternimmt nichts, um dies zu ändern. Um diese Hauptfiguren ranken sich Personen wie Prinzgemahl Albert, der mörderische Premierminister Lord Disraeli und sein Gegenspieler Premierminister Gladstone, deren Parteien sich gegenseitig vernichten. Nachzulesen: in den englischen Geschichtsbüchern. Leider erweisen sich gerade jene Stellen der „Komödie“, in denen der Autor moralisiert und mehrmals auf Hitler zu sprechen kommt, als die schwächsten. Dem Autor deshalb Aufrichtigkeit absprechen zu wollen, scheint dennoch verfehlt. Freilich mag nur derjenige, der „Early Morning“ gelesen hat und zudem einige Geschichtskenntnis hat, die Vielschichtigkeit der Komödie zu würdigen. Was hier zum Thema Geschichte und Theater (speziell Englands) an Hinweisen und Parodie zusammen getragen wurde, sucht in der modernen Literatur seinesgleichen. — Die Bühnenbilder Günther Kuschmanns, nach einer Idee von Uwe Lausen, folgten streng den Anweisungen des Autors. Der überdimensionale rot- weißrote Liegestuhl im ersten Teil (der Autor schlägt drei oder vier Teile der Komödie vor, aus denen in Zürich zwei wurden) bekam Szenenbedfall. Die schicken Kostüme schneiderte Susanne Raschip, die biomechanischen Designs lieferte H. R. Giger. Sie trugen wesentlich dazu bei, daß Steins Regie — vor allem im zweiten Teil — so ungemein intensiv wirkte.

Der Zürcher Bond-Abend gehörte in erster Linie Jutta Lampe als Nightingale: Man glaubte ihr sowohl die Verruchtheit der Lebedame wie die erschütternden Liebesausbrüche gegen Schluß. Bruno Ganz und Dieter Laser als siamesische Zwillinge meisterten ihre Partien mit Bravour, auch wenn Arthurs Selbstgespräch (Ganz) auf der Strecke blieb: daran hatte allerdings ein Teil des Publikums (Zwischenrufe, Lärm im Foyer, Zuschlägen von Türen) schuld. Wolfgang Reichmanns Prinzgemahl Albert fiel aus dem Rahmen: seine Abneigung gegen Stück, Direktion und Regie-Team hätte er nicht öffentlich zur Schau stellen müssen. Joana Maria Gorvin war ganz nobel-grausame Königin.

Gemessen an Bond bedeutete die Uraufführung von Heiner Müllers „Prometheus“ nur provokatorische Hausmannskost Die Beat-Band, die zum .Prometheus“ einige Songs lieferte, hatte sich nach Auskunft des Band-Leaders Irmin Schmidt zunächst mit Prometheus identifiziert, schließlich aber doch erkannt, daß sie eher Orpheus glich. Eine bemerkenswerte Erkenntnis. Jedenfalls bliebe noch zu klären, wer mehr Anhänger fand: die Musikkapelle oder das Schauspiel selbst.

Die Orpheus-Übertragung des ostdeutschen Autors hält sich — im Gegensatz zu früheren Arbeiten Heiner Müllers — streng an die griechische Vorlage. Weder Ablauf der Handlung noch die Figuren wurden verändert Ein bißchen Marx und Freud freilich schimmerte durch: Rebellentum da, Triebverzicht in kultureller Absicht dort. Der Autor wünschte ein Satyrspiel, archaisch und barbarisch-fremd sollte es zusätzlich sein. Das erreichten die Bühnenbilder Karl Kneidls und die Kostüme Joachim Herzogs durchaus. Eine steil nach beiden Seiten abfallende Spielebene und vom Schnürboden herabhängende Gebilde, die wie Riesenkartoffeln aussahen, verstärkten diesen Eindruck. Gummianzüge, eng angepreßte Perücken und Klumpfüße „kleideten“ die Darsteller. Hans Dieter Jendreyko als Hephaistos schien flugs einem Western entsprungen: So muß Winnetou ausgesehen haben. Norbert Kappen in der Titelrolle hatte — festgenagelt wie ein Christus — den schwierigen Text zu meistern. Ihm und Heidemarie Theobald, deren ergreifende Naivität stark beeindruckte (als Io), dankte das Publikum mit viel Zustimmung. Max P. Ammanns Regie beschränkte die Bewegung auf ein Minimum. Der Texit sollte deutlich gemacht werden: das hätte auf die Dauer ermüdet. Die Beat-Band sorgte für Abwechslung. Erst die nächsten Premieren werden erweisen, ob Löffler recht hatte.

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