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Enttäuschender Ausklang

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„Von da ab kann es nur noch aufwärts gehen. Vielleicht setzt sich Hans Friedrich K ü h n e 11 mit seinem Flüchtlings-drama .Straße ohne Ende' an die Spitze der österreichischen Uraufführungen“, hieß es in unserem zusammenfassenden Bericht über die Wiener Festwochenpremieren („Furche“ 24/1963). Nach der Uraufführung im Burgtheater ist eine entscheidende Berichtigung fällig: Ein an sich liebenswürdiges Talent, bewährt in einigen poetisch-romantischen, ein wenig schrulligen Lustspielen und Einaktern, vergriff sich, seine künstlerischen Mittel arg überschätzend, an einem großen, brennend aktuellen Stoff. Die endlose Straße ist die der Flüchtlinge von Ost nach West, aus Diktatur und Zwang in eine ersehnte Freiheit und Unabhängigkeit, die sich allerdings vorerst nur in der höchst realen Welt der Auffang- und Massenlager, des bürqkratischen Betriebes und der manipulierten Wohlfahrt offenbaren. Dieses brisant politische Thema erforderte von einem realistischen Dramatiker, daß er individuelle Gestalten statt Typen in eine harte, konkrete Wirklichkeit stellt. Das geschah gerade eine Szene lang, als zu Beginn die beklemmende Atmosphäre des Auffanglagers auf der Bühne lebendig wurde. Aber die Hoffnungen auf das Außerordentliche, das lang erwartete österreichische Theaterereignis währte nur kurz.

Kühnelt läßt die Hauptgestalt, den geflüchteten Arzt und Forscher, in einen Alptraum entweichen, worin er mit den „Idealen des Westens vertraut wird und die Karrierenleiter bis zum Staatspräsidenten hinaufklimmt, bis er aus den Bedrängnissen wieder auf seinem dürftigen Lagerbett erwacht; dann geht es weiter auf der Straße der Freiheit ohne Ende. Der Autor ist hier so ziemlich an allem gescheitert: denn die Klischeefiguren, die er in einem Niemandsland ansiedelte und die er spannungslose, banale Dialoge, welche satirisch gemeint sind, sprechen läßt, können weder dramatisch noch menschlich fesseln. Nichts läßt sich für diesen Mißerfolg eines Autors, der sich doch wahrlich nicht über mangelnde Anteilnahme an seinem Schaffen beklagen kann, zur Rechtfertigung anführen: nicht „die tragische Resignation der österreichischen Dramatiker“ (Heer), weil sie im Publikum keinen Widerhall fänden, nicht die fatale österreichische „Neigung zum Posthumen“ (Csöke) H dte; dem Autor) sersti nach pdem Tatm- Gerechtigkeit widerfahren ^Basee, noch daß die offiziell Geförderten und mit Preisen Bedachten „innerhalb Österreichs ins Exil“, in eine „neue innere Emigration“ (Weigel) getrieben würden, noch „die böse Wiener Kritik“ oder wie sonst die Erklärungen für den Mangel eines österreichischen Dramas von Bedeutung lauten mögen. Nichts davon. Hier

fehlte es einfach einem kleinen Talent an der ebenso unwägbaren wie unerklärbaren dramatischen Kraft, einen durchaus richtig gewählten Stoff in ein Bühnenwerk, ein Zeitstück von Rang umzuformen. Regisseur Peter Mosbacher mit dem Bühnenbildner Lois Egg, Günther H a e n e 1 in der Hauptrolle und die grandiose Maschinerie de Burgtheaters, sie wirkten zusammen, um doch noch einen Theaterabend mit, wenn auch mattem Erfolg zustandezubringen.

Was Goethe über Victor Hugos opernhaft-romantische Tragödien schrieb, nämlich daß ihre Figuren „lebensunteil-haftige Gliedermänner und -weiber“ seien, „nach ganz geschickten Proportionen aufgebaut, aber außer dem hölzernen und stählernen Knochengerüst durchaus nur ausgestopfte Puppen ...“, das trifft nicht ganz auf Hugos Komödie „Tausend Francs Belohnung“ zu. Zumindest nicht auf die Zentralfigur, den Vagabunden Glapieu; die übrigen erinnern eher an Marionetten und verhalten sich auch so in diesem verzwickten und doch so naiven Durcheinander von Tragödie und Komödie, tränenseligem Edelmut und nachtschwarzer Schurkenhaftigkeit. So wie es in Wirklichkeit zugeht, wird der Landstreicher Glapieu Nachtwächter in den Gemächern des weichherzigen, vor Rührung immer wieder in Tränen ausbrechenden Bankiers. Bei dieser Gelegenheit knackt er den Tresor und entnimmt ihm nur gerade so viele Bündel Banknoten, um die Schulden einer verfolgten und betrogenen Unschuld zu begleichen. Am Ende wandert Glapieu zwar dafür ins Gefängnis, doch mit dem Bewußtsein, daß das Gute belohnt und das Böse bestraft wurde, auch wenn man die Kleinen hängt und die Großen laufen läßt und was dergleichen Volksweisheiten mehr sind. Natürlich ist das Ganze mit ein wenig Sozialkritik unterfüttert, und der romantische Hugo wollte gewiß auch ein wenig belehrend auf sein Publikum einwirken. (Seht ihr, wie man's machen muß, damit es auf der Welt besser werde I) Aber dem Zuschauer von heute kann man soviel Unglaubwürdig-keit nur als raffiniert zurechtgemachtes, entfesseltes Theater vorsetzen. Das tat schon das Straßburger Komödientheater, welches das Stück nach fast hundertjähriger Vergessenheit ausgegraben und als eine Art tänzerisch aufgelockerte Harlekinade uraufgeführt hatte. Das tat auch Regisseur Axel von A m b e s s e r (nach gründlicher Umarbeitung des Stückes) bei der deutschsprachigen Erstaufführung im Theater an der Wien. Boy G o b e r t stand als Glapieu, witzig und von behender Komik, im Mittelpunkt einer ansonst von Längen nicht ganz freien Aufführung.

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