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Mephistopheles nicht abwesend

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Dürrenmatt war schon immer interessant für Theologen. Karl Barth beispielsweise, der vom literarischen Werk seines Landsmannes gesagt haben soll, es sei die beste Illustration seiner Theologie, saß 1948 im Parkett als „Der Blinde" uraufgeführt wurde und schrieb anschließend in einem Brief, es gebe da ein Stück „von einem hoffnungsvollen jungen Berner Dürrenmatt, in welchem es um nicht mehr oder weniger als um den .Glauben' geht."

Mit dem Verfasser des Stücks hatte Barth damals auch persönliehen Kontakt. Der Baseler Theologe beschrieb den damals noch jungen Dramatiker als einen „interessanten geistlichen-weltli-chen Naturburschen in einem Ledergilet mit Reißverschluß ohne Kragen und Krawatte". Erst in seinen späteren Jahren hielt Karl Barth dann nicht mehr so viel von Dürrenmatt, ja man kann sogar sagen, er hat sich von Dürrenmatt distanziert, wenn er an den Dramatiker Carl Zuckmayer schreibt: „Gerade in dem, was Sie von Friedrich Dürrenmatt unterscheidet und ihm gegenüber auszeichnet: in der nirgends versagenden Barmherzigkeit, in der die menschliche Dunkelheit, Verkehrtheit und Misere zu sehen Ihnen auf der ganzen Linie gegeben ist", habe Zuckmayer, bei dem „Mephistopheles abwesend" sei,ihm Eindruck gemacht.

Dürrenmatt selbst, der Pfarrersohn aus Konolfingen im Kanton Bern, äußerte sich einmal so zum Thema Theologie beziehungsweise der Theologie Karl Barths: „Ich verdanke der Theologie vieles, von ihren gegensätzlichen Impulsen freilich. Karl Barths .Römerbrief' war für mich ein revolutionäres Buch, seine .Dogmatik' in der ich oft lese, ein mathematisches Meisterwerk."

Jugendfreunde Dürrenmatts berichten, daß er sich seinerzeit ein Pappschild mit der Aufschrift „Friedrich Dürrenmatt, nihilistischer Dichter" an die Türe seiner Studentenbude geheftet habe. Der 60jährige Dürrenmatt allerdings sagt rückblickend, er machte in dieser Zeit „von so dichterischen Worten wie ,Gott' und .Nichts' einen gar zu unbedenklichen Gebrauch, keinen anderen, als man heute mit den nicht minder poetischen Begriffen .Sozialismus' oder .links' anstellt. Jede Generation hat ihre Wortgläubigkeit."

Das Gerücht, Dürrenmatt habe als christlicher Dichter begonnen, dann aber aufgehört, kommt möglicherweise von einer Interpretation der Erzählung „Der Tunnel" bzw. deren Schlußsatz: „Gott ließ uns fallen und so stürzen wir denn auf ihn zu."

Dieser „Tunnel"-Schlußsatz zählt zu den am meisten interpretierten Sätzen Dürrenmatts. Nun hat aber Dürrenmatt gerade diesen Schluß der 1952 geschriebenen Erzählung geändert, als er sie 1978 in eine Neufassung brachte.

Der altersweise Dürrenmatt, der an seinen frühen Werken den allzu unbekümmerten Umgang mit dem Wort „Gott" bemängelt, läßt die Erzählung von dem immer tiefer in die Erde hineinfahrenden Zug mit einer knappen Antwort auf die Frage des Zugführers, was wir denn tun sollten, enden. Sie lautet: „Nichts".

An theologischem Ernst hat die Streichung der ursprünglichen Version — der Interpretation dieses Zustands als ein Fallengelassensein und auf-Gott-Zustürzen — mitnichten eingebüßt.

Emil Weber hat vor zwei Jahren eine theologisch-literaturkritische Studie über jenen Teil des Dürrenmatt'schen Oeuvres vorgelegt, der zu Unrecht in der Rezeption ein Mauerblümchendasein führt: über die 1952 unter dem Titel „Die Stadt - Prosa I - IV" erschienenen mehr oder weniger kurzen Erzählungen.

In genauen Einzelanalysen dieser Prosatexte kommt Emil Weber zu dem Schluß, die theologische Relevanz dieser Arbeiten besteht darin, daß sie „ein kritisches Korrektiv zu einem rechthaberisch gewordenen Christentum darstellen, zu einem Christentum, das sich nicht mehr als Ärgernis begreift." Die theologische Herausforderung von Dürrenmatts früher Prosa sei in der Zumutung zu suchen, das „Dasein wieder als Wagnis zu begreifen", die „sicheren Höhlen" der Theologie zu verlassen und von ihrem „mit Antworten gepflasterten Weg sich wieder auf den Weg zu machen, auf dem jeden Augenblick die Frage auf dem Spiel steht, ob denn wirklich Gottes Gnade in dieser endlichen Schöpfung unendlich sei, unsere einzige Hoffnung."

„Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann" — hat Dürrenmatt einmal gesagt - „ist, daß ich an einer Buchhandlung vorübergehe und dort im Fenster ein Büchlein sehe mit dem Titel: .Trost bei Dürrenmatt'". Das, was ihn seiner Meinung nach von Kafka unterscheidet, hat Dürrenmatt selber so formuliert: „Bei Kafka ist es unmöglich, daß die Gnade ankommt, bei mir löst sie das Unheil aus".

Ungeschrieben blieb Dürrenmatts Dissertation zum Thema „Kierkegaard und das Tragische", doch bildet dieses Thema den geheimen Background zu Dürrenmatts eigenem Schaffen in dieser Zeit.

Wenn schon das Bonmot Barths, Dürrenmatts Literatur illustriere am besten seine Theologie, nicht hundertprozentig stimmt und er sich veranlaßt sah, es später zurückzunehmen, so hätte es vielleicht doch in einer etwas modifizierten Form sein Recht: ein bestimmter Teil des Dürrenmatt'schen Werkes ist sicherlich eine sehr gute Illustration für bestimmte Aspekte der Theologie des Karl Barth.

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