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Aus der Lustspielfabrik

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Unsere Zeit hat das Lachen verlernt. Die Lachsalven, die Lachhysterien, die bei KdF- Veranstaltungen ausbrachen und bei ihren legitimen Erben, den Massenbelustigungen, die geriebene Geschäftsleute der Vergnügungsindustrie allenthalben wieder veranstalten, weiterhin ausbrechen, beweisen eher das Gegenteil.

Die großen Diktatoren und die kleinen Menschenschinder unserer Tage sind humorlos. Humorlos die tragizistischen Philosophen, humorlos die Lyriker der Dekadenz, welche sich eitel mit ihren Tränen behängen und diese in ihren Gedichten zur Schau tragen; falsche Diamanten

Ein schlechte Zeit also für das Lustspiel

— jawohl; eben deshalb, weil diese Zeit selbst weithin „schlecht“ ist: das echte Lustspiel, die echte Komödie gedeihen nur in einer „guten", tiefinnerlich heilen Welt. In einer geordneten Sphäre und Atmosphäre, in der also die Narrheit der verliebten Gecken, die Schurkerei der Bedienten, die Laster der Großen Herren ihren festumris- senen Platz haben; die Typen der Commedia dell’arte, die Typen Nestroys ... Eine Zeit, die jedoch wie unsere tief in Zwielicht und Zweideutigkeit und Unsicherheit verhangen ist, in der niemand weiß, welche Rolle ihm heute, beziehungsweise morgen zufällt (jene des Richters oder des Gehängten, des Befehlshabers und Ministers oder des Arbeitssklaven?), in der wir täglich gute Miene zum bösen Spiel madien müssen und nicht wissen, ob wir gewisse weltpolitische Tagsätzungen und Konferenzen als Komo- dien auffassen dürfen — da sie nahezu immer Vorspiele zu Tragödien sind: in einer solchen Zeit haben es audi die berufsmäßigm Lustspieldifhter auf ihrer Bühne nicht leicht, weil es eben ihre Gesellen auf der Straße so schwer haben.

Und doch wäre es allerhöchste Zeit, in der Wirklichkeit zu jener lobenswerten Abfolge zurückzukehren, die der Brauch des griechischen Theaterwesens vorschrieb: nach den Tragödien wird die Komödie aufgeführt; wobei wir jedoch gerne auf die antike Forderung der Trilogie, einer stets in drei Dramen aufzugliedernden Tragödie, verzichten wollen. Zwei sind genug.

Aber nein; es geht nicht. Geht nodi nicht. Und wieder wußte es bereits die Vergangenheit, die Antike besser: nur der kann echte Komödien schreiben, der ein Meister der Tragödie ist. Der echte Scherz, der wahre Humor, das menschenselige Lachen — sie sind tiefer als der selbstsüchtige Schmerz, das wütige Rasen einer vernichtenden Leidenschaft, größer, weiter und wieder tiefer als das Weinen. Nur wer dįe Tragik überwunden hat, kann die Komik, das Menschliche in der Form der Lösung, also der Erlösung nahe, beherrschen! Weshalb auch seit alten Tagen — in unserem Kulturraum seit Shakespeare, seit den großen englischen, französischen und spanischen Klassikern des

16, bis 18. Jahrhunderts — sich nur die wahren Fürsten der Tragödie auch als beste Handwerksmeister der Komödie erwiesen.

Davon wollen aber unsere Lustspielfabrikanten nichts wissen; ie glauben immer noch (und vielleidit liegt hier eine Verführung durch die Tricks der Filmindustrie, vielleicht aber auch der Politiker und Staatsmänner vor?), daß sich das Menschliche, das Menschlich-Gefällige durch Taschenspielerkünste erzwingen und beherrschen läßt.

Zwei Novitäten bezeugen dies. Im Volkstheater klappert nun- nach so manchem ehrlichen Schauspiel, die Komödie „Ich kenne dich n i'Č h t mehr“ von Aldo de Benedetti über die Bretter. In einer Scheinwelt, die keine anderen Sorgen kennt oder hat, spielt die verwöhnte Frau eines Rechtsanwalts „zerspaltenes Be wußtsein“; um ihren Mann für einen kleinen Seitensprung zu bestrafen. Sie kennt ihn also nicht mehr — und hält den Psychiater- Professor, der sich übrigens als scharmanter Knabe in den besten Jahren entpuppt, für ihren Mann. Irrungen und Wirrungen eines Tages, einer Nacht. Der Morgen bringt die Versöhnung der beiden Gatten. Unversöhnt jedoch scheidet das Publikum; es gereicht ihm nicht zum Trost, daß dieser' Klimbim bereits vor zehn Jahren in der Josefstadt aufgeführt wurde. Die Figuren sind leblos, das Ganze lieblos geschrieben und auch recht lustlos inszeniert; so, als ob sich selbst der Regisseur etwas geniert hätte ...

Dies läßt sich aber nun wahrlich nicht behaupten bei der Uraufführung des Akademietheaters „T h e o p h a n e s“ von Theo L i n g e n und Franz G r i b i t z. Der Titel ist, wohl bewußt, irreführend — er müßte heißen: „Hoppla, jetzt komm ich: Theo Lingen in drei Akten.“ Nein. Lingen geniert sich wirklich nicht Als Autor, Regisseur und Schauspieler mutet er sich Kolossalisdies zu-

Der kesse „Berliner" zeigt sich hier dem Wiener Publikum nicht nur als Aller-Antike- Weltliebling, als Eroberer der schönsten und klügsten Frauen, sondern auch als Diktatorendresseur — und, nicht zuletzt — diese feine Geschmacksangelegenheit wurde von dem Beifall tobenden Publikum ohne Scham in Kauf genommen: auch als arbiter Austriae, als Lehr- und Zuditmeister österreichischer Lebensart und Unart.

Der ebenso eitle wie weltfremde Schriftsteller Stefan (Theo Lingen — als Schauspieler) träumt sich in die Rolle eines griechisch-klugen Sklaven, der sichtbar-unsichtbar mit seinem klugen Köpfchen (sprich: Köpp-gen) das Triumvirat Crassus, Pom- peius, Cäsar regiert, Jawohl, meine Herrschaften — hereinspaziert! Hier sehen Sie, was Sie nie gesehen haben — die Dressur der „Großen Drei" (sie heißen auch im Stück einmal so): Crassus, den römischen Geldmann, Symbol-Schwergewicht der „Pluto- kraten" und Großkapitalisten aller Zeiten; Pompeius, den tölpisch-ruhmgierigen Gene- ralfeldmarsdiall, den ersten Statisten und allerhöchsten Uniformträger aller Reichs- und Riesenheere. Wie ergötzlich ist es doch zu sehen, wie dieser Literatursklave und ' Pfiffikus Theo-Theophanes sie an der Nase herumführt! Oh, er hat Geschmack, dieser Theo-Linges: er findet nicht nur Gefallen an Cäsar, dem er seine Veni-vidi-vici- Phrasen einbläst, sondern auch an der schönen Hetäre Heliane.

Somit wäre für alles gesorgt: Sex appeal und Politik, Zeitglosse und Mittelschulwitz; die Rakete kann abgebrannt werden. Es rattert und knattert, funkelt und knistert — auf total erhellter und total verdunkelter Bühne: Theo Lingen über alle, über alles, in allen; in drei Akten.

Begossen verlassen wir das Foyer; nach diesem Finis Austriae, welches das Akademietheater in em Ladikabarett verwandelt. Und dennoch können wir immer noch nicht mit dem berühmten Berliner Lachkabinett konkurrieren; auch in der Burg nicht.

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