6631733-1956_41_11.jpg
Digital In Arbeit

Politische Schaubühne

Werbung
Werbung
Werbung

Max Frisch hat „Die chinesische Mauer“ 1945/46 geschrieben, unter dem Eindruck des Endes des zweiten Weltkrieges, der Schatten des beginnenden kalten Krieges und der ersten Atombombe. Das Zürcher Schauspielhaus. Refugium vieler der besten Schauspieler deutscher Sprache, die vor Hitler geflohen waren, und Zufluchtsstatt des freien Wortes, brachte diese „Farce“, wie der Autor selbst sie nennt, damals in einer unvergeßlichen Aufführung heraus. Unter dem Eindruck von zehn Jahren kaltem Krieg und Kriegsspielerei hat der Autor sein Stück umgearbeitet; das Kurfürstendamm-Theater in Berlin, der vielumkämpften Hauptstadt Deutschlands, brachte die neue Fassung erstmalig heraus. Frisch ist von Haus aus Architekt und hat in der letzten Zeit sowohl in der Schweiz wie in Deutschland durch Vorträge und Pläne eines neuen Städtebaues Aufsehen erregt. Wie der frühere Oesterreicher und jetzt führende amerikanische Architekt Richard Neutra ist Frisch der Ueberzeugung, daß wir, die Zeitgenossen großer Schmach, der Terrorisierung und Verkümmerung des Menschen und des Menschlichen, die Pflicht haben, neue Städte zu bauen. Neue Gemeinwesen, in denen neue Wohnhäuser, Straßenanlagen, Gärten die Menschen einander zuführen zu einem friedlichen, mitmenschlichen Leben, in dem sie sich entkrampfen können von den vielen Aengsten und Illusionen, in denen sie gegenwärtig noch innerlich hausen. Genau das will der Architekt und Moralist Frisch auch 'durch sein politisches Schauspiel „Die chinesische Mauer uns vorstellen. Uns, die wir nicht nur Publikum, sondern Mitspieler, Mittäter sind. Frischs innere Anlehnung an Brecht wird hier, wie auch in seinen im Drama eingestreuten Poemen, spürbar. — D'e chinesische Mauer konfrontiert den „Heutigen“, e;:en jungen Intellektuellen, mit der Diktatur, repräsentiert hier durch den Erbauer der chinesischen Mauer, Kaiser Hwang Ti von China, und mit den verführerischen Wahnideen und Begierden, die in der Brust und im Bewußtsein gerade auch des Gegenwartsmenschen hausen. Frisch läßt diese Träume von Macht, Herrschaft über fremde Leiber und Seelen, von Wollust, Geldgier und Ausschweifung im Geiste durch Figuren verkörpern, die an einem großen Maskenball im Schloß von Peking teilnehmen und welthistorische Namen tragen: Napoleon, Brutus, Don Juan, Pontius Pilatus, Philipp IL, Kleopatra ... Als Schatten der Unterwelt begehren sie nach neuem Leben, wollen Besitz ergreifen von uns, indem sie uns mit ihren Süchten durchdringen. Scheinbar ewige Wiederkehr des Gestrigen und der Gestrigen: der Welteroberer, Generale und Revolutionäre, der ichversponnenen Träumer. — Was will nun der

Moralist Frisch durch die Figuren und Bonmots seiner Farce sagen? Einige Wahrheiten, die heute auf der Straße liegen, scheinbar entwertet, weil wir es nicht wagen, sie zu verwirklichen: die Gefahr eines Zusammenbruchs der Menschheit durch den Atomkrieg; die Tatsache, daß es heute nicht darauf ankommt, christlich zu reden, sondern christlich zu handeln durch die Uebernahme der Verantwortung für alle Mitmenschen; die bedrückende Schwäche des Intellektuellen und geistigen Arbeiters, der immer wieder in den Sog des Mitmachens gerät. Frisch sieht, aus eigener Erfahrung, unsere Zeit und uns Zeitgenossen illusionslos. Das große Geschäft mit dem Krieg, mit der Angst, mit der Eitelkeit des Menschen wird weiter betrieben, und blüht. Dennoch ist Frisch kein Untergangsmeier, sondern bekennt sich im Angesicht der Schrecken zur Liebe, zum Mitleid, zur Wiedergeburt des Menschen. So singt es lulia in den Bränden des Unterganges: „O sel'ge Weltl O bitt're Welt! O Welt! / Wir lieben dich; du sollst nicht untergehn.“ Dieses herausfordernde politische Zeitstück verlangt ein hinreißende Gestaltung. Es ist nicht die Schuld des Regisseurs Manker, der, unterstützt durch die wache, kluge, sensible Intellligenz von Georg Schmid. dem bekannten Graphiker, der hier zum erstenmal als Bühnenbildner auftritt, sich um eine straffe Aufführung bemüht, wenn diese Wiener Erstaufführung sich nicht mit anderen vergleichen läßt. Die Schwäche der jungen Damen und einiger junger Herren, denen Hauptrollen anvertraut sind, kann nicht aufgewogen werden durch die beachtliche Leistung Edd Stavjaniks als SS-Pfinz, Ernst Meisters als Brutus, Hans Franks als Pilatus, Benno Smytts als Napoleon. Theodor Grieg gestaltet den Kaiser Hwang Ti als einen merkwürdigen österreichischen Bösewicht, ein Zerrbild eines greisen Schlaumeiers, der sich mit allen Mitteln an der Macht halten will. — Eindrucksvoll wie immer Dorothea Neff, hier als Mutter eines Geschändeten aus dem Volke. — Das Publikum nahm die Schwächen der Aufführung in Kattf und zeigte durch reichen Beifall seine Dankbarkeit für Stück, Gesinnung, Wollen des Autors.

Zum sechzigjährigen Burgtheaterjmbiläum Otto Treßler bringt die Burg eine Festaufführung des „Bauer als Millionär“. Der Sechsundachtzigjährige, dem niemand sein Alter ansieht, gestaltet da das „hohe Alter“. Treßler ist bekanntlich sein eigener Maskenbildner, er übt, im ..Nebenberuf“, wenn man so sagen darf, das hohe Amt des Bildhauers aus; sein Atelier befindet sich im Burgtheaterdepot. Treßler hat den Weg der Burg durch Generationen begleitet, vom hohen Kothurn des alten Pathos, hinter dem das Erbe des Barock stand, herab und hinauf zur menschlich-intimen Spielkunst der neueren Zeit. Ihm ist dieser Wandel innerlich und äußerlich nicht schwergefallen, wie anderen, weil er immer in einer gesunden, freien Mitte beheimatet war. Es gibt gegenwärtig keine Bühne in unserem Kulturraum, ja auf der Welt, die durch ihre heute noch in voller Frische tätigen Mitglieder Tradition und Gegenwart so glaubwürdig verbindet wie das Burgtheater. Eben deshalb hat es einen guten Sinn, durch Festveranstaltungen dieser Art die eigene Vergangenheit zu ehren; sie ist Verpflichtung in die Zukunft hinein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung