Raimunds Zauberinseln

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Warum das Klischee vom harmlosen Biedermeier-Autor nicht stimmt.von hilde haider-pregler

Das ausklingende Theaterjahr wartet gleich mit drei Raimund-Premieren auf: In der Josefstadt steht diese Woche Der Alpenkönig und der Menschenfeind auf dem Programm, im Volkstheater und im Landestheater Linz Der Bauer als Millionär. Auf den ersten Blick scheint dies nicht besonders bemerkenswert. Gilt doch der Dichter im Kanon der österreichischen Theater- und Literaturgeschichte neben Nestroy längst schon als Klassiker der Altwiener Komödie. Trotzdem sind Raimunds Werke in den letzten Jahren an den großen Häusern weit weniger präsent als Nestroys scharfzüngig-satirische Possen. Diese scheinen offenbar unserer heutigen Zeit angemessener als Raimunds Zaubermärchen, die - auf den ersten Blick - Erinnerungen an eine heile Welt der biedermeierlichen Beschaulichkeit und Selbstgenügsamkeit wachrufen. Doch dieses zählebige, obzwar von Raimund-Kennern immer wieder zurechtgerückte Klischee-Bild vom harmlosen Biedermeier-Dichter trügt.

Raimund-Legenden

Der Kampf gegen die Raimund-Legenden, auf denen dieses Bild beruht, ist allerdings mühsam. Im Gegensatz zur üblichen postumen Verklärung einer Künstlerexistenz tradieren nämlich die um Raimund gesponnenen Legenden deren Verdüsterung. Immer wieder wird auf die persönliche Tragik eines in seinem ureigenen Metier zwar genialen Dichters verwiesen, der sich aber seiner eigenen Größe nicht bewusst war, sondern vergeblich nach Höherem, für ihn Unerreichbarem strebte; dem seine unbestreitbaren Erfolge als Komiker und Autor an den Vorstadtbühnen wenig galten, weil er sich insgeheim zum Tragödiendichter berufen fühlte und nach Anerkennung im Hochstiltheater strebte. "Er war ein naives Genie, und er will naiv genossen sein: lieber soll man dort, wo es allzu verworren wird, gähnen als versuchen, das Verworrene aufzuklären", meinte noch Georg Hensel (1966).

Freilich gibt es Selbstaussagen, die solchen Interpretationen Vorschub leisten. Unbestritten ist auch, dass Raimund als Schauspieler und Dichter in der Tat lieber auf der Burgtheaterbühne im tragischen Fach Erfolge gefeiert hätte. In einer Epoche, die streng zwischen hoher Kunst mit "idealem" Anspruch und "niederer" (Vorstadt)-Unterhaltung unterschied, verwundert das wohl kaum.

Der Tiefstapler

Er erklimme den "Parnaß" nur als "ein armer Hausknecht der Kunst, der das Holz bloß trägt zum Opferherd der Musen", versicherte Raimund seinem Publikum im Oktober 1825 in einem Epilog. Man darf eine solche - die eigene Leistung herunterspielende - Danksagung an die Zuschauer nicht überschätzen. War doch der 35-Jährige damals bereits der unbestrittene Starkomiker des Leopoldstädter Theaters und hatte überdies auch schon mit zwei Stücken, dem Barometermacher auf der Zauberinsel (1823) und Der Diamant des Geisterkönigs (1824) beträchtliches Aufsehen erregt. Und es ist nicht zu übersehen, dass es dem Schauspieler und Stückeschreiber Ferdinand Raimund weder an künstlerischem Selbstbewusstsein noch an Anerkennung bei seinen Zeitgenossen mangelte.

"Solche Schmiragen"

Nach Anfängen bei wenig renommierten Wandertruppen in der Provinz feierte er 1815 seinen Durchbruch als Komiker in der ihm auf den Leib geschriebenen Rolle als Violinspieler Adam Kratzerls in Josef Alois Gleichs Posse Die Musikanten am Hohen Markt. Doch er litt trotz seiner Erfolge als Darsteller schon sehr bald an der alltäglichen Routine der Vorstadtbühnen mit ihren wie am Fließband produzierenden Stückefabrikanten. "Mit unseren Dichtern geht es immer miserabler; sie betreiben ihre Kunst, bloß um Geld herauszulocken, nicht um Ehre zu ernten, und es ist zum Verzweifeln, was man für Schmiragen lesen muß", klagte er 1823 in einem Brief an seine Lebenspartnerin Toni Wagner. Diese Unzufriedenheit ließ ihn selbst zur Feder greifen.

Doch Raimund wurde kein Vielschreiber. Sein dramatisches Schaffen, in dem er mit den Mitteln des komödiantischen Volkstheaters zur Gestaltung existenzieller Probleme vordrang, umfasst nur acht Werke. Angesichts der Tatsache, dass er nie mit der gestrengen Zensur des Polizeistaates in Konflikt geriet, übersieht man nur allzu leicht das unter der Oberfläche verborgene kritisch-subversive Potenzial. Welcher Zensor könnte es wohl beanstanden, wenn zwei für menschliche Alpträume zuständige Druden im Diamant des Geisterkönigs beim Herrscher um die Erlaubnis zur Ausübung der ihnen vor Jahrzehnten entzogenen "Druckfreiheit" einkommen? Dem Publikum hingegen blieb der Doppelsinn des Wortes gewiss nicht verborgen...

Erfolge in Deutschland

Doch Raimund reüssierte keinesfalls nur als Wiener Lokalautor und -komiker. Als er 1831 in Hamburg in Rollen, darunter als Fortunatus Wurzel, Rappelkopf und Florian Waschblau, gastierte, bewunderten ihn die nicht leicht zu begeisternden norddeutschen Rezensenten als den "größten Mimen", der ihnen "je vorgekommen" und der "an Genialität der Auffassung, Vielseitigkeit, vor allem aber an Wahrheit in der Darstellung" nicht nur allen Schauspielern des deutschsprachigen Theaters, sondern sogar den "vorzüglichsten darstellenden Künstlern" der englischen und französischen Bühne überlegen sei.

Diese darstellerische Perfektion kam nicht von ungefähr, sondern war das Ergebnis intensiver Arbeit. Raimund zwang dem Betrieb der Vorstadtbühnen im Rahmen seiner Möglichkeiten als Schauspieler, zeitweiliger Direktor des Leopoldstädter Theaters, als Regisseur und Autor seine eigenen idealen Ansprüche auf. Er ließ mit einer seine Mitspieler irritierenden Ernsthaftigkeit probieren und opponierte zeitlebens gegen die "Schmierereyen" der quantitativ so produktiven Stückelieferanten.

Feen- und Geisterwelt

Zum Erfolg seiner Werke im zeitgenössischen Theater trug auch die virtuose Beherrschung des bühnentechnischen Apparates zur Veranschaulichung der volksbarocken Feen- und Geisterwelt bei, um die Schaulust des Publikums mit stets neuen Überraschungseffekten zu befriedigen. Doch das Wunderbare und das Irdische sind bei Raimund keine getrennten Welten. In Das Mädchen aus der Feenwelt oder Bauer als Millionär (1826) gleiten die beiden Sphären im Spannungsfeld guter und böser Mächte wie selbstverständlich ineinander. Der reich gewordene Bauer Fortunatus Wurzel erfährt in einer in der Weltliteratur wohl einzigartigen Szene im Zeitrafferverfahren, dass Geld allein nicht den Wert des Lebens ausmacht: Die Jugend nimmt Abschied und mit dem Eintritt des Alters verwandelt sich der kraftstrotzende Mann von einem Augenblick zum anderen in einen von der Gicht geplagten, hinfälligen Greis. Doch es wäre zu kurz gegriffen, die Moral des Werkes auf "arm, aber glücklich und zufrieden" zu reduzieren. Im Sieg der Zufriedenheit über den Neid und im guten Ende in der ländlichen Idylle steckt am Vorabend des industriellen Zeitalters auch eine sozialutopische Dimension als Warnung vor einer Mentalität, die Fortschritt mit dem Anhäufen materieller Werte gleichsetzt.

Selbsterkenntnis-Therapie

Der spätbarocken Bühnenmaschinerie wird auch im romantischkomischen Original-Zauberspiel Der Alpenkönig und der Menschenfeind (1828) einiges abverlangt, um einen krankhaften Misanthropen zur Einsicht zu bringen. Im Grunde funktioniert die Geschichte nach dem bewährten Schema des Besserungsstückes: Ein zunächst Uneinsichtiger wird erst durch schmerzhafte Erfahrungen klug und geläutert. Doch Raimunds Rappelkopf, der mit seinem pathologischen Misstrauen seiner Familie das Leben zur Hölle macht und sich, sobald er eines Küchenmessers ansichtig wird, von gedungenen Mördern umgeben wähnt, durchläuft einen Selbsterkenntnisprozess ganz besonderer Art, der wie die Vorwegnahme eines psychodramatischen Verfahrens anmutet. Der Alpenkönig zwingt den Starrsinnigen, sich mit seinem Ego zu konfrontieren und sein jeder Vernunft Hohn sprechendes Verhalten zu beobachten und zu reflektieren. Für Erwin Ringel war Raimunds Alpenkönig "der erste Psychotherapeut, der in einem Theaterstück auftritt". Dazu bedarf es auf der Bühne allerdings so mancher Zaubermächte: Der Alpenkönig nimmt höchstpersönlich die Gestalt Rappelkopfs an, während dieser äußerlich in seinen gutmütigen Schwager Silberkern verwandelt wird. Dieser Therapie stimmt Rappelkopf freilich erst zu, als der Leidensdruck für ihn unerträglich wird. In Raimunds Bühnensprache übersetzt, heißt das: sobald ihm das Wasser, infolge des Alpenkönigs Beschwörung der Naturgewalten, buchstäblich schon bis zum Hals steht. "Und bliebe von ganz Österreich nur dieser Text, wäre es für alle Zeit aufbewahrt und erklärt" (Hans Weigel).

Raimunds ist gegenwärtig

In der zeitgenössischen österreichischen Dramatik lässt sich tatsächlich so manche bewusste oder unbewusste Hommage an Raimund entdecken. Thomas Bernhards Weltverbesserer hat als geborener Misanthrop und anarchistischer Privatphilosoph nur ein einziges wissenschaftlich gesichertes Rezept zur Verbesserung der Welt, nämlich deren Abschaffung. Und der leitmotivische Stoßseufzer "morgen Augsburg" des Zirkusdirektors Caribaldi in Bernhards Macht der Gewohnheit erheitert nicht weniger als die von Rappelkopfs Bedientem Habakuk in jeder Lebenslage vorgebrachte Sentenz "Ich war zwei Jahre in Paris..." Elfriede Jelinek zitiert in ihrem einst hitzig diskutierten Burgtheater-Text sogar den Alpenkönig auf die Bühne.

Die Autorin ist Professorin für Theaterwissenschaft inWien.

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