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Im neuen Tiroler Landestheater

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Das Tiroler Landestheater am Rennweg zu Innsbruck präsentiert sich zur Zeit als die modernste Länderbühne Österreichs. Wahrung der Tradition schien jedoch von Baubeginn an erstes Gebot. Außenmauern, Fassade und Dach des alten klassizistischen Theaterbaues, der im Jahre 1961 wegen Baufälligkeit geschlossen wurde, mußten aus Gründen der Denkmalpflege beibehalten werden. Architekt Bolten-stern aus Wien standen für den Umbau also nur begrenzte Möglichkeiten offen. Man behielt die traditionelle Form eines Logentheaters mit Guckkastenbühne bei und blieb auch bei einer solid-konventionellen Ausstattung. Das Publikum fühlt sich aber in dem intimen Raum mit seinen typischen Theaterfarben Weiß (Decke und Grundflächen), Rot (Bespannung) und Gold (Stukkaturen), den Kristallustern und den bequem gepolsterten £25 Sitzplätzen sichtlich wohlcr als in einer kühnen Betonkonstruktion. Was den eigentlichen Theater- beziehungsweise Bühnenbetrieb betrifft, so hielt man sich jedoch an den letzten Stand technischer Raffinessen. Hier wurde großzügig und vorausplanend investiert, entsprechend stiegen die Baukosten (offiziell spricht man von 110 Millionen Schilling). In zweckmäßigen fünfgeschossigen Neubauten, die direkt an das Bühnenhaus anschließen, wurden — je nach der Zusammengehörigkeit im Bühnenalltag — Verwaltungsräume, Werkstätten, Garderoben, Proberäume und Probebühne systematisch zusammengefaßt.

Die neue Bühne ist allen szenischen Anforderungen gewachsen. Großzügig sind die Dimensionen des Bühnenhauses: 77 Meter lang, 38 Meter tief, also rund viermal so groß wie der Zuschauerraum; die eigentliche Bühne, eine Drehscheibe von 14 Meter Durchmesser, mit sieben Versenkungen versehen, kann getrennt oder gekoppelt fahren und bei Bedarf auf eine Seiten- oder Hinterbühne hin erweitert werden; die Obermaschinerie verfügt über 55 Dekorationszüge; fahrbare Büh-nenportaltürme mit einer zweistöckigen Portalbrücke, ein Horizon-talleuchtengerüst, eine Beleuchterbrücke sowie ein Rundhorizont wurden eingebaut. Einzigartig in Österreich ist wohl die elektronische Be-, leuchtungsarilage, cjie mit einer Pro-grammierungseinrichtung ausgestattet wurde. — Tradition und Moderne fügen sich also zur Freude des Publikums harmonisch zusammen.

Echt österreichisch wurde am 17. November die modernste Länderbühne Österreichs, das völlig umgestaltete Tiroler Landestheater, eröffnet: mit einem offiziellen Festakt am Vormittag, mit einer glänzenden Galapremiere von Ferdinand Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“ am Abend. Nach siebenjährigem Interregnum von Oper, Operette und großem Schauspiel gab es für Innsbrucks theaterhungriges Publikum endlich wieder echtes Theater, das literarischen und optischen Ansprüchen gleichermaßen gerecht wird und das zudem den natürlichen Spieltrieb des Menschen anspricht. So freute man sich also in Innsbruck über Schimmel hoch in den Wolken, über Gespenster, gute Geister und Verwandlungsszenen fast wie zu Raimunds Zeiten. Eine Geste der Noblesse Helmut Wlasaks war es, dem ehemaligen Intendanten Karl Goritschan die Regie zu übertragen, eine Aufgabe, die dieser zwar konventionell, doch exakt und konsequent durchführte. Er ließ das Wiener Volksstück spielen, das Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“ trotz aller modernen Züge nun einmal ist. Helmut Wlasak als Rappelkopf aber sorgte trotz seiner hinreißenden Komödiantik dafür, daß neben dem lächelnden, phantastischen Raimund der Zauberwelt und Biedermeiergesellschaft auch der andere zu Wort kam: der Dichter, der mit tragikomischen Mitteln die Ichgefangenheit, das Angstgefühl und die Kontaktlosigkeit des modernen Menschen vorausnimmt. In Hans Eybl stand ihm zwar kein Alpenkönig aus der fernen Geistessphäre, wohl aber ein durchaus überzeugender Doppelgänger zur Seite. Ein präzises Bravourstück bot Herwig Wurzer als Diener Habakuk. Raimund-Atmosphäre schufen zudem die vom Burgtheater entlehnten Bühnenbilder des Tirolers Lois Egg.

Helmut Wlasak scheint nicht nur über die zwei Leben des „Rappelkopf“, sondern über drei zu verfügen. Er ist Intendant, Schauspieler und — wie die Premiere der „Meistersinger von Nürnberg“ zeigte — versteht sich auch auf Opernregie. Er liebt Opern.im großen Stil, und trotz des finanziellen und künstlerischen Risikos möchte er wenigstens eine pro Jahr auf seinen Spielplan setzen. Die festlichste aller

Opern, Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“, waren ein geeigneter Auftakt dazu. Als Anhänger Wieland Wagners suchte Wlasak die „Meistersinger“ ganz von ihren Höhepunkten her zu inszenieren. Locker und bewegt waren die Massenszenen (Festwiese, Prügelszene)

angelegt, die musikalisch und choreographisch bekanntlich zu den schwierigsten Ensembleszenen zählen. Zudem gelang es ihm — und das war das Besondere dieses Abends —

den Meistersingern das falsche Ehrfurchtspathos zu nehmen. Wenn auch Opernchef Siegfried Nessler engeren Kontakt zu dem sehr ambitioniert spielenden Orchester als zu den Sängern hatte, so kam doch eine ziemlich ausgewogene Aufführung zustande. Von den Solisten — das ganze Ensemble mußte übrigens neu engagiert werden — überzeugten vor allem Samuel van Düsen (Hans

Sachs), der vielversprechende Gotthart Schubert (Veit Pogner), Mario Aich (Stolzing) und Paul Neuner (Beckmesser).

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