6565414-1949_39_11.jpg
Digital In Arbeit

Wiener Herbstpremieren

Werbung
Werbung
Werbung

Das Volkstheater beging die Feier seines sechzigj’ährigen Bestandes — die Halbjahrhundertfeier vor zehn Jahren fiel infolge der Zeitereignisse aus — mit einer festlichen Vorstellung von Raimunds „V erschwende r". Eine glückliche Wahl. Das Haus, der Einführung des Volkes, ehedem der „Bürger", des Mittelstandes, dann der breiten Massen- in die Kunst gewidmet, hätte sich kaum ein passenders Stück aussuchen können als dieses Spätwerk Raimunds. Raimund kennt noch nicht die Schrecken der Kriege und Verfolgungen der nach ihm folgenden Zeit, er kennt auch noch nicht die Psychoanalyse. Auch Kafka ist ihm unbekannt. Noch ist er allein: ein Mensch, ein „armer Teufel“, geschüttelt von namenlosen Ängsten, die ihn zwei Jahre später in den Tod treiben. Noch ist er allein. Noch aber hat er eine Hilfe: die „Poesie“. In rührend schönen, zarten Bildern beschwört er wider die Mächte der Rache, der Vergeltung, des Wahns, die sanfte Gewalt der Schönheit, Güte und Verzeihung. „Cheristane“: letzter historisch bedeutsam gewordener Versuch, die Heilkraft des Märchens auf der Bühne zu erwecken, sie anzurufen zur Bändigung des finsteren Geistes, der die Einsamkeit des modernen Idis mit Verzweiflung heimsucht. — Ein großartiges Thema für ein Theater des Volkes. Leider versagt, trotz redlichem Bemühen, die Neugestaltung: sie versagt sich dem Zauber Raimunds, dem Incantare, dem Besingen des Bösen aus der Kraft des Gemüts, aus der Tiefe des Herzens. Ein technisch durchkonstruiertes Geist-Spiel mit manchen Fehlbesetzungen. Hervor ragend Paul Hörbiger, obwohl er den Valentin unzulässig ins Tölpisch-Bäuerische verdreht.

Die Burg eröffnet mit einem Nachtstück Gorkis: „Jegor Bulytschow und die andere n“. Kein Drama, wohl aber ein Panorama des Unterganges der altrussischen Gesellschaft am Vorabend der Revolution von 1917. — Ein großer Gutshof; auf ihm umlauert eine lemurenhafte Schar von Verwandten und Bekannten das Ableben Jegors, des starken Mannes von gestern. Neid, Haß, Wollust; vor allem Gier nach der Habe, nach dem Geld. Pope und Tochter, Äbtissin und Gattin: vor Begehren und Selbstsucht zitternde Triebwesen. Inmitten dieser Schlangenbrut, die er selbst großgezüchtet, verendet Bulytschow. Mitten zwischen dem alten Glauben an den Vater im Himmel,

den er verlor, und dem neuen Glauben an den Vater und die Brüder auf Erden, den er noch nicht gefunden hat. Ein schmales Licht fällt in diese Menschendämmerung: Alexandra, eine Tochter, und dann eine Geliebte, die zu ihm steht. — Die Überraschung des Abends: Annemarie Düringer, eine starke junge Begabung.

Ein Stück, von Schauspielern über Schauspieler für Schauspieler geschrieben: „Present laughte r", „D ann lieber nach Afrik a", von Noel C o w a r d, übertragen von Kurt Götz, kreiert von Oskar Carlweis, konnte, wie billig, seine Wiener Aufführung nur in der Josefstadt erleben. — Sehr, sehr gutes Spiel eines altbewährten Ensembles. Ihm und Pfaudlers Regie ist es zu danken, daß es nicht die Balance verliert. Das Stüde balanciert nämlich stofflich und inhaltlich zwischen dem Nichts, reinen und weniger reinen Nichtigkeiten und der Zote. Letztere auf eine angenehme Art zu verschleiern, gelingt den Josef Städtern, wodurch das Spiel — für sie — gerettet ist.

Ein neuerNestroy im Akademietheater! So muß man wohl „Die bei- denNacht wandler“ nennen, die Hans Weigel aus einem alten Nestroy-Stück „Notwendigkeit oder Überfluß“ mit sorglicher Hand geschaffen hat. Eine erstaunliche Leistung, der eines Ohefkonservators an einem kunsthistorischen Museum würdig. Es klingt und singt immer noch nach Nestroy, obwohl wenig mehr von ihm persönlich stammt, obwohl die Töne der Gegenwart laut und deutlich — in der Regie manchmal etwas zu laut und zu deutlich — vernehmbar sind. — Das Märchen als Mittel der Satire: die „guten Geister“ sind ein spleeniger und ein spekulanter englischer Lord, die anderen Geister sind Nachtwandler — ein armer Seilermeister und sein Geselle. Nüchtern und grausam entlarvt Nestroy die Mär von der Selbstgenügsamkeit und natürlichen Tugend des kleinen Mannes. Wenn dieser zu Geld kommt, treibt er es ärger als alle Altreichen. Verzweiflung der Generation von 1848. — Weigel dämpft die bitter-herben Töne zu bitter-süßen. So gewandet er das gebrechlich alte Stück in sonnwarme Heiterkeit, wobei er trefflich unterstützt wird von Hermann Thimig und Josef Meinrad. Das Publikum bog sich, was im Akademietheater selten ist, vor Lachen. Also, ein geglücktes Experiment.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung