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O. R. und Tschechow

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Das Burgtheater hat es gewagt, Ferdinand Raimunds „Moisasurs Zauberfluch“ aufzuführen. Über das Wagnis täuschen die magischzauberischen Bühnenbilder Oskar Kokoschkas und auch Angerers (inadäquate) Bühnenmusik hinweg. Es ist ein interessantes, durchaus zu bejahendes Experiment, ein echter Versuch, der da im Burgtheater gemacht wird, bedeutende Formkünstler als Bühnenbildner einzuladen, wie Wotruba und Kokoschka, andere werden folgen. Hier aber überspielt, übermalt und schmilzt mit der Magie seiner Farbenräusche, die mit Raimund und seinem „Märchen“ nichts zu tun haben, der moderne Künstler das an sich schwache, mit Recht selten gespielte Stück Raimunds einfach weg. Es wäre zu wünschen, daß Dichtung und Formkunst sich zumindest als gleich starke Pole gegenüberstehen, nicht, daß wie hier, der Formkünstler resolut die Herrschaft an sich reißt, und sie bis zum letzten Bild und letzten Kostüm nicht mehr abgibt. Wobei Kokoschka, wie mehrfach bei der Premiere bemerkt wurde, mehr an Mexiko als an Raimunds Weidling und Indien denken läßt. Raimund, seelisch todkrank, hat sich sehr abgequält mit diesem „Märchen“, in dem viele ' falsche, gestelzte, anempfundene Töne „hoher Poesie“ neben Erinnerungen an sein Bestes stehen. Rudolf Steinboeck, der Regisseur, ist leider von der Krankheit der Wiener Regisseure befallen, allzu behutsam, ohne zur Feder zu greifen, langatmig die Szenen ausspielen zu lassen. Raimundisch wirken auf der Bühne: Aglaja Schmid, Ernst Anders und Christiane Hörbiger als Hans und Mirzel und, einige Nebenrollen. Skoda und Moog sind etwas zu „hoch“, Hermann Thimig als Bauer Gluthahn und Fred Lie-wehr als Hoanqhu bieten treffliche Burotheater-gestik alten Stils. Viel Beifall für Kokoschka und die anderen.

Tschechows „Kirsch garten“ erfreut sich mit Recht der Gunst der Wiener Nachkriegs-theater; dieses Werk läßt sich nach sehr verschiedenen Gesichtspunkten hin auswerten, auf die Bühne bringen; so als hauchzarte, schwebende Dichtung, so als historisches Gemälde einer vergehenden Zeit, so als großes Gesellschaftsdrama, oder schlechthin als ein Symbolstück. Poesie und innere Dramatik bilden einen weiten Innenraum, in dem die von Tschechow selbst düster, dunkel, melancholisch konzipierte Symphonie ihre Klänge ertönen läßt. Josef Gielen hat im Akademietheater den „Kirschgarten“ als ein hellbelichtetes Drama des Überganges, nicht des Unterganges auf die Bühne gebracht. Eine junge Generation löst im späten zaristischen Rußland eine ebenso liebenswerte wie dekadente alte Gesell-Schaft ab. Besonders deutlich wird diese eigenwillige und lineare Konzeption des Regisseurs an der Gestalt des verbummelten Studenten (Erich Auer) sichtbar, der hier nur positiv als ein Mann, der die große Zukunft schaut und vordenkt, erscheint, während ihn Tschechow selbst mit allen anderen Gestalten dieses Dramas einbezogen sieht in den Sonnenuntergang. Schauspielerisch steht im Mittelpunkt dieser Aufführung Käthe Gold als Gutsfrau und Dame zwischen zwei Altern, eine wunderschöne Leistung; neben ihr Robert Lindner als hilfloser Bruder und Charmeur. Sonderapplaus holte sich Eva Zilcher als Gouvernante, gescheiterte Existenz und Zauberkünstlerin. Erika Pluhar, Johanna Matz und Inge Brückelmeier geben die jungen und nicht mehr ganz jungen Mädchen farbig und reizvoll, Günther Haenel, sehr akzentuiert, die Symbolgestalt des alten Dieners. Als Ganzes: Eine sehr schöne, ja, mitreißende Aufführung, trotz des zu langen, verschleifenden Schlusses.

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