Die Suche nach Tiefgang

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Die Schauspielerin Regina Fritsch ist eine der vielseitigsten Darstellerinnen am Burgtheater. Am 4. Februar wirkt sie bei der Uraufführung des neuesten Schimmelpfennig-Stücks mit.

Im Kaffeehaus, am Nachmittag: Die zierliche Frau versucht ihren Hund Muffy (er ist nach einer Figur aus dem Stück "God save America“ benannt) zu beruhigen. Nach ein paar Streicheleinheiten legt er sich zu ihren Füßen und ist zufrieden.

Regina Fritsch, Jahrgang 1964, eine der vielfältigsten Darstellerinnen am Burgtheater, spielt ab 4. Februar in der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs "Das fliegende Kind“ eine "Frau um die Fünfzig“. Sitzt man ihr gegenüber, ist man verblüfft, wie sich das alles ausgehen soll. Ihr ebenmäßiges Gesicht verrät nichts von den tatsächlichen Jahren, ihre zurückhaltende Art entspricht so gar nicht dem kraftvollen Spiel, das diese Frau seit vielen Jahren am Burgtheater immer wieder neu zeigt.

Als sie etwa in Schnitzlers "Das weite Land“ die Genia verkörperte, so erzählt die unprätentiöse Künstlerin, hätten ihre Nachbarn keinen blassen Schimmer gehabt, dass es sich bei der "Kleinen mit den Kindern“ um jene Schauspielerin handelt, die sie abends im Theater bewundert hatten.

"Ich bin ein schüchterner, scheuer Mensch. Privat habe ich so gar keinen Verstellungswunsch. Beim Theater bin ich eigentlich zufällig. Es lief alles von Anfang an ganz gut. Ich war noch an der Schauspielschule und konnte schon auftreten und also auch Geld verdienen.“ In der Zwischenzeit verkörperte sie alle bedeutenden Rollen der Weltliteratur, von Ibsens Solveig in "Peer Gynt“ über Nestroys Salome Pockerl bis hin zu Tschechows Sonja in "Onkel Wanja“. Auf jeden Fall liebt sie Rollen, wo man Persönlichkeiten ergründen kann. "Alles, was in die Tiefe geht, interessiert mich.“

Tragisch, komisch, philosophisch

Die Texte von Roland Schimmelpfennig, derzeit erfolgreichster deutschsprachiger Dramatiker, sind jedoch wenig geeignet, szenisch Beziehungen und Figuren tiefgehend zu erforschen. Schimmelpfennigs Katastrophen lassen sich schwer spielen, bei ihm ist es so, als stünden die Figuren neben sich. Statt darzustellen wird beschrieben, die Personen sprechen von sich in der dritten Person.

Regina Fritsch ist eine dieser drei Frauen, die das tragische Schicksal einer Familie erzählt, welches sich im Laufe des Geschehens als sonderbare Verkettung von Zufällen zeigt. Wie geht es ihr, die selbst zwei Töchter hat, mit dieser Story? "So eine schreckliche Geschichte wie den Tod eines Kindes möchte man ja am liebsten wegrücken. Da hilft freilich die Art des ‚Vorspielens‘. Man hat dadurch die Möglichkeit, draußen zu stehen, Beobachter zu sein.“

Schimmelpfennigs Text ist nicht nur tragisch, sondern auch durchwachsen mit komischen Momenten und philosophischen Diskursen. Am Ende gerät die Geschichte nochmals in eine neue Richtung. "Wir haben sogar überlegt, ob wir am Schluss doch szenisch einsteigen wollen, aber die Klangfarbe wäre dann eine andere geworden. Wenn wir plötzlich ausspielen, dann sprengt es das Format.“

Für Fritsch ist es nicht die erste Zusammenarbeit mit Schimmelpfennig, 2004 spielte sie in seinem Theater-Thriller "Die Frau von früher“ grandios die Rolle der desillusionierten Ehefrau. Arbeitet sie gerne mit Schimmelpfennig zusammen? "Ja, er ist ein Glücksfall, einfach entzückend und ein sehr angenehmer Mensch!“ Was bei seinem Stil unbedingt notwendig ist, sind Handwerk und Präzision. Wenn das Ensemble als Chor auftritt, sind Perfektion, Virtuosität und Charme angesagt, um diese Inszenierungsart lebendig zu machen. "Ich wünsche mir diese unlösbaren Situationen. Ich finde es wichtig, immer wieder an meine Grenzen zu kommen.“ Auf Dauer braucht sie darstellerisch aber Abwechslung und Figuren, deren Persönlichkeiten sich entwickeln lassen und bei denen ihr das Herz aufgeht. Tschechows Frauenrollen schätzt sie besonders, etwa die Arkadina in der "Möwe“, die Warja im "Kirschgarten“ oder die Olga in den "Drei Schwestern“, die sie in Reichenau gespielt hat. Es ist dieses Hineingleiten in eine Rolle, ein Verweilen im künstlerischen Prozess, das in der jüngeren Dramatik oft zu kurz kommt. "Was ich mir früher alles zu meinen Figuren überlegt habe, das ginge heute kaum noch. Es ist alles wahnsinnig schnelllebig, manchmal auch nervenzerfetzend.“

Der vierte Burgtheater-Direktor

Matthias Hartmann, dessen Vertrag als Burgtheater-Direktor eben verlängert wurde, ist ihr vierter Intendant. Wie hat sie die unterschiedlichen Direktoren wahrgenommen? "Achim Benning, der mich ans Burgtheater holte, war eine Art Vaterfigur, mein Mentor. Mit Claus Peymann war es die intensivste Zeit für mich, er war ein richtiger Freund und hat sich mir gegenüber immer großartig verhalten. Unter der Ära Bachler war Karin Bergmann wichtigste Ansprechpartnerin.“ Und jetzt, Hartmann? "Es gibt bisher noch wenig Berührungspunkte.“

Hat es sie nie gereizt, aus Wien wegzugehen? Mit Peymann nach Berlin etwa? "Ich wollte gedanklich immer weg, doch die praktische Entscheidung, Wien zu verlassen, hat sich für mich nicht gestellt, denn mir war auch immer klar, dass ich kein Vagabundenleben für meine Kinder möchte. Ich wollte, dass sie in Geborgenheit und Sicherheit aufwachsen.“

Was Fritsch von anderen Schauspielerinnen unterscheidet, ist ihre unglaubliche Bandbreite. In den letzten Jahren hat man sie in den unterschiedlichsten Rollen gesehen. Ebenso in Film und Fernsehen, wenn auch nicht so häufig wie manche Kolleginnen. "Das ist ja das Sonderbare. Es heißt immer: ‚Die Fritsch ist ja gut, aber man weiß nie, wie die wirklich ist.‘ Beim Fernsehen ist es wichtig, dass man schnell als Typ erkennbar ist. Der Wiedererkennungseffekt muss immer gegeben sein, das finde ich schade.“

Ihr Repertoire ist umso reicher. Gibt es noch eine Rolle, die sie gerne einmal spielen möchte? "Ich bin eine Auftragsarbeiterin, ich krieg eine Rolle und schau, was ich draus machen kann.“ Gerne arbeiten möchte sie wieder mit der Regisseurin Karin Beier und Stefan Bachmann. "Er war eine Art Aha-Erlebnis für mich. Seine Art, an Texte heranzugehen, kommt meiner sehr nahe. Es ist ein in der Fülle Reduzieren; quantitativ zurückzutreten, was qualitativ Freiheiten gibt.“

Ihre Kraft nimmt sie aus der Stille und Ruhe. "Sollte ich einmal nicht mehr Theater spielen, könnte ich mir auch vorstellen, in ein Kloster zu gehen. Alles, was in die Tiefe geht, interessiert mich. Wir wissen so wenig über das Leben.“

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