Dreimal Tschechow

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Gleich drei Stücke von Anton Tschechow sind gegenwärtig auf den Bühnen Wiens zu sehen. Grund genug, einmal danach zu fragen, worin denn deren Aktualität besteht.

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Gleich drei Stücke von Anton Tschechow sind gegenwärtig auf den Bühnen Wiens zu sehen. Grund genug, einmal danach zu fragen, worin denn deren Aktualität besteht.

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Der Arzt und Menschenkenner Anton Tschechow gilt als einer der großen Erneuerer des Dramas. Freilich war er mit seiner Dramenform der Zeit um 1900 weit voraus, weswegen die Uraufführungen seiner Stücke nicht selten skandalträchtige Begleiterscheinungen zeitigten. Das Gemeinsame seiner bis heute häufig gespielten fünf, sechs Stücke ist, dass sie entgegen der aristotelischen Doktrin nicht die Handlung, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Tolstoi fand für das Theater seines Kollegen polemisch ablehnende, aber nichtsdestotrotz recht treffende Worte, als er schrieb: Wenn ein betrunkener Arzt auf einem Sofa liegt und es draußen regnet, werde daraus bei Tschechow ein Theaterstück.

Da ist viel Wahres dran, denn das eigentliche Zentrum all seiner Stücke ist ein herrschendes Lebens- und Daseinsgefühl, gegen das die Figuren, wenn überhaupt, eher schlecht als recht ankämpfen. Viel eher überantworten sie ihre Glückserwartungen einer undeutlichen, aber umso mehr herbeigesehnten Zukunft -"nach Moskau, nach Moskau!" -, verharren in einer verklärenden Erinnerung an eine glückliche, bessere Vergangenheit oder das überforderte Personal fügt sich resigniert dem Leiden am Leben selbst -"es ist ja alles so langweilig".

Innere Konflikte

Damit ist die Herausforderung an jede Inszenierung benannt, nämlich den zugrunde liegenden verborgenen, weil inneren seelischen Konflikt nach außen zu kehren. Vielleicht liegt Tschechows - man möchte meinen zeitlose -Aktualität gerade in der Abkehr von der handlungsbetonten Fabel (das haben andere Medien übernommen) und der Hinwendung zum Seelischen, denn wer könnte sich angesichts eines unübersichtlichen Weltzustands nicht in den Figuren und ihrer ebenso resignativen wie utopisch hoffnungsfrohen radikalen Verinnerlichung und Subjektivierung wiederfinden. Oder aber, wem ist das Gefühl nicht fremd, ein ereignisarmes, vielleicht gar sinnloses Leben zu führen?

Am Wiener Volkstheater hat der ungarische Regisseur Victor Bodo mit "Iwanow", dem ersten Stück, das zu Lebzeiten des Autors zur Aufführung kam, versucht, den Lebensekel eines Menschen zu erklären, der sich selbst für überflüssig hält. Die 1887 uraufgeführte Fassung bezeichnete Tschechow noch als Komödie, schon zwei Jahre später arbeitete er das Stück in ein Drama um. Es scheint, dass die Regie sich nicht entscheiden konnte, es so oder so in Szene zu setzen. Da gibt es gespreizten, etwas zu aufgesetzt wirkenden Schabernack (Thomas Frank als Iwanows Gutsverwalter Borkin; oder wenn das gelangweilte oder klamme Personal das ohnehin schon verfallende Landgut mutwillig zerlegt), der sich nicht so recht mit den tragischen, mitunter beklemmenden Szenen (etwa mit Stefanie Reinsperger als sterbenskranke Anna) verbinden wollen. Insgesamt bleibt man nicht zuletzt auch deswegen überwiegend ratlos, weil es Bodo wie auch dem sichtlich bemühten Jan Thümer in der Titelrolle nicht gelingt, das Gewesene, das, was vor dem eigentlichen Stück liegt, als Grund für dessen Müdigkeit und Verlorenheit sichtbar zu machen noch plausibel zu vermitteln, was an diesem depressiven, zur Bosheit neigenden Taugenichts eigentlich dran ist, dass gleich zwei Frauen sich ihm an den Hals werfen. Tschechow selbst meinte aber, wenn unverständlich bleibe, warum Anna und Sascha Iwanow lieben, dann habe sein Stück ausgetanzt. Für Victor Bodos Inszenierung muss man leider genau das konstatieren.

Was aber passiert, wenn ein Regisseur mit Tschechow so gar nichts anzufangen weiß, konnte man Tage später auf der großen Bühne des Burgtheater erleben, wo David Bösch die "Drei Schwestern" hingestellt hat. Von Inszenierung möchte man angesichts dieser uninspirierten Arbeit lieber nicht sprechen. Schwerfällig -oder positiver ausgedrückt in elegischer Melancholie -, sehr schön eingeleitet durch zwei Ziehharmonika und Balaleika spielende Musiker (Bernhard Moshammer, Karsten Riedel), betrauern die drei Schwestern meist verloren an der Rampe stehend, frontal zum Publikum ihr unglückliches, sinnloses Leben in der verhassten Provinz. Auch die bedeutungsfreie, überaus lieblos eingerichtet wirkende Bühne, die an ein Treibhaus oder an ein Bierzelt erinnert (Harald B. Thor), hilft nicht, der lebensmüden, erstarrt auf eine Sinn bringende ferne Zukunft wartenden Gesellschaft ein Fünkchen Leben einzuhauchen, sodass sich die Langeweile, von der in diesem Stück so oft die Rede ist, allmählich vor allem im Publikum breitmacht.

Erfrischender ist da schon, was das TAG mit einem anderen Klassiker Anton Tschechows anzufangen weiß. Der aus Litauen stammende Regisseur Arturas Valudskis hat mit "Das Spiel: Die Möwe" eine ebenso geistreiche wie amüsante Bearbeitung dieses viel gespielten Stücks vorgelegt. Obwohl seine Bearbeitung sehr frei ist -er streicht mehrere Figuren, sodass gar nicht mehr die unglücklichen Liebesbeziehungen, wo jeder den falschen liebt, im Vordergrund stehen -, hat seine Inszenierung sehr viel mit Tschechow zu tun. Dabei liegt die Betonung von "Das Spiel: Die Möwe" eindeutig auf Spiel.

Dramatische Poetik

Das liegt zum einen am glänzend aufspielenden Ensemble des TAG. Andererseits gelingt es dem Regisseur subtil, federleicht und schön anzusehen, an der "Möwe", der schon anlässlich der Uraufführung 1896 bescheinigt wurde, eher einer Erzählung zu gleichen als einem Theaterstück, die unerhörte, die Regeln der traditionellen Dramatik sprengende Neuheit der dramatischen Poetik Tschechows zwischen Symbolismus und Naturalismus erfahrbar zu machen.

Ostentativ stellt Valudskis deren Mechanismen zur Schau, ohne dass daraus ein schwerfälliges Theorieseminar würde oder der Inhalt des Stückes leiden würde. Ganz im Gegenteil: Kaum einmal hat man Gelegenheit, das auf so vergnügliche und bestechende Weise zu beobachten. Das beginnt mit der in Vordergrund und Hintergrund zweigeteilten Bühne, die ihre Entsprechung in der eigentümlichen Dialogstruktur hat.

Oft laufen Gespräche gleichzeitig, aber deutlich unverbunden nebeneinander ab, wobei einzelne Worte des einen als Kommentar oder Konterkarieren des anderen funktionieren. Ähnliches kann über die Verschränkung von Wort, Spiel und den bei Tschechow so wichtigen Tönen gesagt werden, die wie auch die Gegenstände als Repliken auf eine Situation oder einer Figur gemeint sind. Wer der Aktualität Tschechows nachspüren möchte, dem sei der Gang ins Theater an der Gumpendorfer Straße wärmstens empfohlen.

Iwanow Volkstheater, 16., 23., 24. April

Drei Schwestern Burgtheater, 11., 18., 23. April

Das Spiel: Die Möwe TAG, 11., 12. April

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