Der beschleunigte Tschechow

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Im Theater in der Josefstadt bemüht sich Regisseur Torsten Fischer um eine | gegen die Tradition stehende Deutung von Tschechows "Drei Schwestern“.

Der vor etwas mehr als 150 Jahren geborene Anton Tschechow gilt als der Erfinder des Dramas des Alltags und des inneren Menschen. Seine Stücke, die ohne die traditionellen dramatischen Konfliktstrukturen auskommen, spielen in Übergangsgesellschaften, deren soziale Umbrüche sie spiegeln. Sie kennen keine klassischen Dialoge mehr, obwohl viel gesprochen wird. Aber die Figuren sprechen weniger miteinander als gezielt aneinander vorbei oder in Selbstgesprächen.

Die Handvoll Theaterstücke, mit denen er Weltruhm erlangte und zu einem der meist gespielten Klassiker wurde, sind allesamt Variationen des verpassten Lebens, Endspiele ungelebter Existenz. Sein Personal besteht meist aus freudlosen, erschlafften Gestalten, die das Leben irgendwie schon hinter sich haben oder im eigentlichen Leben noch nicht mal angekommen sind: verarmte Gutsbesitzer, unverheiratete Frauen, unzufriedene Lehrer, versoffene Ärzte, müde Intellektuelle …

Besonders mit dem 1900 entstandenen Drama "Drei Schwestern“ erlangte Tschechow den Ruf eines Porträtisten der Sehnsucht, Langeweile und Lebensmüdigkeit. Das Stück, mit dem Regisseure wie Peter Stein, Luc Bondy oder Peter Zadek mit psychologisch fein ziselierten Inszenierungen einst Maßstäbe setzten, wird in jüngster Zeit anders, gewissermassen "au rebours“ (gegen den Strich) inszeniert. Jürgen Gosch, Andreas Kriegenburg und zuletzt Frank Castorf haben Tschechow (mithilfe greller Komik) aus der romantischen Weltschmerz-Tradition herausgenommen.

Atemberaubendes Tempo

Im Theater in der Josefstadt, wo nun der Regisseur Torsten Fischer mit der Inszenierung betraut wurde, bleibt dafür auch keine Zeit. Fischer ist sichtlich bemüht, das Stück aus der elegischen Melancholie und der Stimmung der Lebensmüdigkeit wegzuführen. Das macht er vor allem dadurch, dass er ein atemberaubendes Tempo vorlegt. So braucht er für die vier Akte gerade einmal zwei Stunden, um die erstarrte, auf eine sinnbringende ferne Zukunft wartende Gesellschaft zu karikieren. Ohne die berühmten Pausen, das beredte Schweigen dafür umso rasender und mit Zorn resümiert das Personal in einander überlagernden Dialogen die gescheiterten Lebensentwürfe, als glaubten sie nicht einmal mehr an die Möglichkeit, dass sich in ihrem Leben noch einmal etwas ändert.

Seit elf Jahren leben die drei Schwestern in der gehassten Provinz, von wo sie möglichst schnell fortzukommen hoffen, weil sie hier nie angekommen sind. Mascha (Sandra Cervik), die unglücklich mit dem gutmütigen Lateinlehrer Kulygin verheiratet ist, lebt aggressiv ihre Beziehung zum schneidigen Werschinin (Tonio Arango), der sich ebenso pragmatisch, unsentimental und grob von ihr trennt. Irina (Silvia Meisterle) beabsichtigt den Baron nicht aus Liebe, sondern als Mittel zum Zweck zu ehelichen. Keine Katastrophen, kein Selbstmordversuch, kein Tod vermögen wirkliche Gefühle in den Figuren zu wecken.

"Indirekter Dialog“ fehlt

Fischer will heutige Menschen zeigen, das aber gelingt nicht überzeugend. Er baut zu sehr nur auf Geschwindigkeit. Tschechow aber meint mit dem gesagten Text gleichzeitig etwas Ungesagtes, das heißt, er denkt Ausdrucksdimensionen mit, die der nichtsprachlichen Darstellung bedürfen. Diese nonverbalen Seelenstimmungen kommen bei Fischers Inszenierung zu kurz. Ihm gelingen auch kaum Bilder (mit Ausnahme des Schlussbildes, wo die Schwestern von der herunterfahrenden Decke erdrückt zu werden drohen), was aber bei Tschechows Dramatik "des indirekten Dialogs“ ganz entscheidend ist. So bleibt Fischers Inszenierung ein nicht unbegabter Versuch, die Gefühlswelten der modernen Menschen aber bleiben trotz allem verborgen.

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