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Weltschmerz und Lethargie

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Stanislawski arbeitete in seinen Aufführungen Tschechowscher Stücke meisterlich das Elegische, Stimmungshafte dieser Szenen heraus. Nun wird neuestens behauptet, Tschechow habe dem entgegen beabsichtigt, Hassenswertes darzustel- len, das er dem Protest ausliefern wollte, wobei er dem Publikum die Aufgabe zuordnete, über die Gestalten das Urteil zu fällen. Ist das nun den Stücken zu entnehmen?

In dem Schauspiel „Drei Schwestern", das derzeit im Theater in der Josefstadt zu sehen ist, werden wie in dem vor einem Jahr an dieser Bühne aufgeführten „Onkel Wanja“ alle faktischen Geschehnisse nebenbei in ein, zwei Sätzen abgetan. Was Tschechow auch hier darstellt, ist die Lethargie dieser Menschen, aus der sie nicht herausflnden. Sie erklären ständig, müde zu sein, die Gegenwart ist ihnen ekelhaft, sie beklagen es, nichts zu tun, von Menschen aibzustammen, die jedwede Arbeit verachteten, sie wollen ein neues Leben beginnen, haben aber nicht die Kraft dazu und nehmen an, daß erst die Nachfahren der Nachfahren glücklich sein werden. So fragen sie ständig nach dem Sinn des Lebens, der sich ihnen entzieht.

Wird nun erklärt, Tschechow habe gar nicht das Rußland seiner Zeit darstellen wollen, sondern generell die Leere des Menschen, die auch unsere Leere sei, so ist wohl festzustellen, daß die heutige krasse Ent- innerlichung aus völlig anderen Ursachen kommt und völlig andere Erscheinungsformen zeitigt. Die damaligen Menschen wichen der Wirklichkeit aus und beklagten dies zugleich tränenselig, die heutigen stürzen sich mit Vdhemenz in die seither gewandelte Realität und ihre Errungenschaften. Ein Gegenwartsbezug läßt sich nicht herstellen, es sei denn, man sieht in der Gesellschaftsordnung der kommunistischen Staaten das von den Tschechowschen Gestalten ersehnte Zukunftsparadies. Doch hebt eine der Gestalten dieses Stücks, Leutnant Tusenbach, hervor, daß es keine Foltern und Hinrichtungen mehr gebe. Es ist daher wohl nicht anzunehmen, daß Tschechow mit dem Gewaltregime der heutigen Polizeistaaten einverstanden wäre.

Ein Protest Tschechows ist,! den Stücken nirgends zu spüren, noch wecken sie ihn. Es zeigt sich viel eher ein Mitgefühl des Autors mit den Schwächen dieser Menschen. Er ist ein Dichter. Allerdings wird es für uns immer schwerer, dieses Mitgefühl mitzufühlen. Zu welt- schmerzlerischer Lethargie haben wir gar keine Beziehung. Feinnervigen Menschen der älteren Generation mit dem Gefühl für die poetischen Werte der Decadence können diese Stücke noch etwas geben, der heutigen Jugend müssen sie fremd bleiben. Dagegen verdienen sie die Bewunderung der Dramatiker durch die überlegene Meisterung handlungsloser Dialoge, die Bewunderung der Regisseure durch das „Atmosphärische“, das da zu gestalten ist Das Theater in der Josefstadt setzte dieses Stück auf den Spielplan, ohne für alle Rollen über dek- kende Besetzungen zu verfügen. Die Lethargie arbeitet Hermann Kutscher als Regisseur eindrucksam heraus, er durchsetzt die Dialoge mit vielen Pausen. Die drei Schwestern: Kitty Speiser als Jüngste, Cornelia Oberkogler als Älteste überzeugen, Elfriede Ramhapp als Mittlere 1st eine Fehlbesetzung. Der verschlampte, heiter-nihilistische Militärarzt Tschebutykin von Guido Wieland, eine vortreffliche Leistung, wird einem im Gedächtnis bleiben. Glaubhafte Gestalten zeichnen Michael Toost als Prosorow, Alfred Reiferer als Tusenbach. Eine dek- kende Verkörperung vermißt man bei Kurt Heintel als Werschinin, Kurt Sowinetz als Kuiygin, Louis Soldan als Soljony. Eine zweite ausgesprochene Fehlbesetzung: Lucie Neudecker als Natalie. Auch die Bühnenbilder von Gottfried Neumann-Spallart entsprechen nicht

Schwankautoren, die für die Bühne schreiben, gibt es kaum mehr. Eine Ausnahme: Fritz Eckhardt. Er hat für die Kammerspiele den als Lustspiel bezeichneten Dreiakter „Bei Tag und bei Nacht“ mit jener Routine billig-schwankhafter Situationskomik und der Laufbandwitze verfertigt, die zu diesem Metier gehört. Es geht um Komplikationen schon fast verblichener französischer Schule, die entstehen, wenn bei der Corpstänzerin des Staatsopernballetts Mary Sardou alias Mizzi Sedlaček nachts der direktoriale Liebhaber und tagsüber der Nachtwächtergatte logiert. Bemerkenswert ist, daß da seit langem wieder einmal ein Stück in Wien spielt. Unter der gewandten Regie von Ernst Waldbrunn gibt Elfriede Ott die tänzerische Vorstadtdame, verhelfen weiter Fritz Muliar und Helly Servi, Carl Bosse, Bernd Ander und Peter Hey dem Lustspiel zum Lacherfolg bei dem ausschließlich Unterhaltung erstrebenden Publikum dieses Theaters.

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