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Startheater und Klamauk

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Die Welt ist in den heutigen Stücken erstaunlich eng geworden. In einer Zeit, in der sich Tag für Tag Ungeheuerliches begibt, stellen die Autoren mit Vorliebe lediglich unerquicklich Privatestes dar, das «war ebenfalls zeitcharakteristisch wirkt, aber nicht die Weite der heute so überaus bedrohlichen weltbewegenden Geschehhisse besitzt. Welch ein Unterschied etwa zu Schiller, zu seinem dramatischen Gedicht „Don Karlos“, das im Burgtheater in einer Neuinszenierung zu sehen war (aber vorläufig wegen Erkrankung eines Darstellers nicht weitergespielt werden kann).

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Die Welt ist in den heutigen Stücken erstaunlich eng geworden. In einer Zeit, in der sich Tag für Tag Ungeheuerliches begibt, stellen die Autoren mit Vorliebe lediglich unerquicklich Privatestes dar, das «war ebenfalls zeitcharakteristisch wirkt, aber nicht die Weite der heute so überaus bedrohlichen weltbewegenden Geschehhisse besitzt. Welch ein Unterschied etwa zu Schiller, zu seinem dramatischen Gedicht „Don Karlos“, das im Burgtheater in einer Neuinszenierung zu sehen war (aber vorläufig wegen Erkrankung eines Darstellers nicht weitergespielt werden kann).

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Diese fünf besonders umfangreich geratenen Akte, die der 28jährige Schiller nach fünfjähriger Arbeit vollendet hatte, vereinen das psychologische Familienbild mit dem Intrigenstück, das Eifersuchtsdrama eines Alternden, die Charaktertragödie mit dem weltgeschichtlichen Ideendrama. So reich, so voll in der Entfaltung verschiedenster Gefühlsbereiche, vielseitigster Aspekte wirkt das Szenengefüge. Das aber wird überhöht von der Forderung nach Gedankenfreiheit, mit der ja eine Forderung nach Freiheit des Sprechens, des Handelns gemeint ist, mit dem Ziel, ein Menschenreich der Menschenwürde, des Menschenglücks herbeizuführen. Wir freilich wissen heute, daß man sich einem goldenen Zeitalter nur nähern, es aber nie erreichen kann, immer wieder bricht die Barbarei der Unfreiheit auf.

Der Regie von Otto Schenk, der als Opernspielleiter einen guten Ruf besitzt, sah man um so erwartungsvoller entgegen, als er noch nie ein Stück von Schiller inszeniert hatte. Verdienstvoll vermied er eine einseitige Interpretation, er bietet die Totale der Aspekte, die als Gegensatz tu heutigen Stücken so notwendig st, wobei er bei vierstündiger Auf-'ührungsdauer etwa ein Drittel des Textes strich. Es kommt eine treffliche, in gutem Sinn konventionelle Aufführung zustande, in der die in manchem heute übersteigert wirkende Schillersche Diktion nie spürbar wird. Günther Schneider-Siems-sen verzichtet in den Bühnenbildern auf das Expressive düsterer Bedroh-'ichkeit, er bietet die Wirkung alter Paläste, indem er die gleichen leeren Mauern immer wieder verschieden anordnet und davor spärlich Möbel stellt.

Den stärksten Eindruck vermittelt Werner Hinz als Philipp. Da spürt man die Weite des Herrschers, die frostige Gelassenheit des Überlegenen, aber auch die Enge des leidenden Privatmenschen, der über die Wände seines Ichs fast erstaunt hinaushorcht. Klaus Maria Brandauer, der nunmehr Erkrankte, brachte für den Karlos Leidenschaftlichkeit mit, doch ist die Gestalt komplexer, als er sie darstellt, das blaue Blut vieler Ahnen glaubt man ihm nicht. Dem Posa gibt Klausjürgen Wussow eine sozusagen beherrschte Besessenheit im Dienst des politischen Ziels. Der Königin von Erika Pluhar eignet herbe Anmut, Elisabeth Orth wirkt als Eboli zu lauter, zu unsinnlich, Rudolf Wesselys Domingo gerät subaltern. Alba dürfte man nicht mit Fred hiewehr besetzen. Der Großinquisitor von Pau^ Verhoeven hat die einsame Große des Uralten, das Unheimliche, das der Gestalt anhaftet, fehlt.

Wieder wird erst jetzt an einer Bühne, diesfalls dem Akademie-theater, ein Stück aufgeführt, über das im Ausland längst vielfältige Urteile vorliegen. Es ist das der Zweiakter „Alles vorbei“ von Edward Albee, der in New York durchfiel und in der Bundesrepublik meist als sehr schwach abgewertet wurde. Ja, der führende Kritiker Georg Hensel erklärte, Albee liege seit zehn Jahren im Krankenbett, wo er weder leben noch sterben könne. Auch in der „Furche“ wurde bereits zweimal über Stück und seinerzeitige Aufführung berichtet.

Es ist also bekannt, daß da ein Prominenter im Sterben liegt und Frau, Tochter und Sohn, Geliebte und Freund auf seinen Tod warten, wobei wir über ihn fast nichts erfahren. Während in Ionescos „Der König stirbt“ dieser König das Zentrum bildet, eine Auseinandersetzung mit der Tatsache des Sterbens stattfindet, verharrt Albee in seinem anämischen Stück in seichtem Gewässer. Es wird geredet und geredet, vorwiegend vor den andern monologisiert, aus Belanglosigkeiten ersteht zwar ein psychologisch subtil durchgezeichnetes Zustandsbild, eine De-maskierung, aber kaum irgendwie bemerkenswerter Menschen, ihrer

Beziehungen zueinander. Wozu dieser Einblick?

Sollen die zwei Akte nicht völlig absacken, sind Spitzendarsteller erforderlich. Sie bietet das Akademietheater. Unter der Regie von Pinkas Braun, dem Ubersetzer des Stücks, kommt eine ausgewogene, gut abgetönte Aufführung zustande. Vor allem zwei großartige Leistungen: Paula Wessely als verhärtete, längst verlassene Gattin, Susanne Almassy als die immer noch attraktive Geliebte. Martha Wallner als hektische Tochter, Paul Hoffmann als gelassen überlegener Freund, sowie Alma Seidler als Pflegerin und Günther Haenel als Arzt ergänzen trefflich das Spiel. Nur Hannes Siegl bleibt als Schwächling Sohn allzu farblos. Lois Egg entwarf einen vornehmen, zweigeschossigen Wohnraum mit dem Himmelbett des Sterbenden in der oberen Etage.

Das AtelierttleäUr bringt derzeit das neue Stück „Ein freudiges Ereignis“ des nun in Paris lebenden Polen Slawomir Mrozek, der eben den österreichischen Staatspreis für Literatur erhielt. Mrozek ergibt sich da einem szenischen Rechenexempel, wozu er im Ansatz drei Gleichungen aufstellt: Alter General = zukunftsfeindliche Reaktion, Ehepaar = Demokratie, Fremder, der bei ihnen einzieht = Anarchie. Die Durchrechnung ergibt, daß es dem Ehepaar erst durch Beihilfe des Fremden gegen den Widerstand des Alten gelingt, ein Kind zu bekommen. Kind = brutal umsichschlagende Gewalt. Ehepaar geht in Urlaub, Anarchist wird von Kind ermordet. Pardon! Wieso hilft die Anarchie der Demokratie? Wieso kommt die Demokratie bei Ausbruch der Gewalt davon, nicht aber die Anarchie? Mrozeks politische Mathematik verwirrte sich im demokratischen Bereich, im totalitären stimmte dagegen einst sein antitotalitärer Zugriff. Er setzt nun Klamauk ein. Unter der Regie von Peter Birkhof er wird diese Farce mit zunehmender Ubersteigerung der Ausdrucksmittel vorgeführt. Hellmuth Hron und Hanna Thomek als Ehepaar, Kurt Radlecfcer als General, Ferdinand Kaup als Fremder, Willi P. Egger als Säugling ergeben sich in unterschiedlichen Graden dem farcenhaften Spiel.

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