6838885-1975_31_11.jpg
Digital In Arbeit

Warum nur, warum?

Werbung
Werbung
Werbung

Als „Sommerstück“ brachte die Josefstadt vergangene Woche ihre furchtbarste Premiere seit langem heraus. Daß sie zufällig so total in die Binsen gegangen ist, bezeichnet besonders deutlich das System, nach dem an diesem Theater allen Re-formversprechungen und Andeutungen von angeblich' wiedereritdeckten Ambitionen zum Trotz noch immer Theater gemacht wird. Denn das System ist immer das gleiche. Nur der Grad des Gelingens wechselt von das System erhaltender Durchschnittlichkeit bis zu Abgrundtiefen wie hier (die aber zugegebenermaßen vorher zwei Jahre lang nicht erreicht worden sind).

Das System funktioniert einfach und gedankensparend. Man nimmt eine(n) Schauspieler (in), der/die Anspruch auf eine Rolle hat und beginnt, eine für sie/ihn zu suchen. (In diesem Fall ist die Anspruchsberechtigte die verehrungswürdige Lotte Lang, zur Feier von deren 75. Geburtstag diese Aufführung passierte.) Praktischerweise ist je-de(r) Schauspielerin) auf sein/ihr ureigenes Klischee festgelegt, gegen das prinzipiell nicht besetzt wird. Eine Einführung, die den Direktoren Besetzungsüberlegungen natürlich optimal vereinfacht. Beispiele? Hans Holt: gütig-menschlich; Vilma Degischer: elegant-souverän; Leopold Rudolf: ein Herr der alten Schule. Lotte Lang: liebenswert-schrullig. Und eine liebenswert-schrullige Rolle (oder war man in der Direktion dafür hält) fand man dann auch für sie: Die Partie ist Inbegriff und Krönung all der Blö-deleien, in denen man Lotte Lang in den letzten Jahren an der Josefstadt verheizt hat: Medea Schmet-termaier, passionierte Autohasserin in Horst Pillaus Unlustigkeit „Polizisten sind auch nur Menschen“. Der Rollenname bezeichnet das Humorniveau des Stückes.

Um die Sache auf der Bühne gefällig zu arrangieren, bemüht man einen Josefstadt-Regisseur: Einen, der mit den vorgeprägten Routinemaschen der Mimen möglichst vertraut ist, um sie reibungslos zu koordinieren. Darum sind sie ja so unverwechselbar in jeder Rolle, die Publikumslieblinge der Josefstadt: Weil sie immer das gleiche spielen, immer sich selbst — oder ihr nicht minder fixiertes Bühnenselbst.

Ernst Waldbrunn beherrscht diese Inszenierungsweise mit seltener Routine. Daß er vor der Premiere krank wurde, die Inszenierung nur notdürftig fertigstellen konnte, ist einer der Zufälle, die diese Aufführung zur Totalpleite werden ließen.

Es ist klar, daß bei diesem Reigen der Routiniers alle die unter die Räder geraten, die noch in der Entwicklung stecken, sich einer Fesselung ans Klischee verweigern. Besonders trauriges Beispiel in dieser Aufführung:' Die begabte, sensible Susanne Granzer, die an der Josefstadt — von keinem Regisseur unterstützt — von Rolle zu Rolle schlechter wird.

Wie gesagt: Daß diese Aufführung so quälend unlustig wurde, ist Zufall. Nicht aber das System, nach dem sie entstand: Wenn ich es nur für sechs von sieben Josefstadt-Produktionen für gültig halte, greife ich noch niedrig. Das Paradoxe dabei ist vor allem eines: Daß ausgerechnet dieses Theater, das seine Schauspieler im Routinetrott ihrer Maschen verkümmern läßt, wie kaum ein anderes, noch immer als „Schauspielertheater“ gilt. Das Paradoxon hat seine Gründe: Nirgends sonst verweigert das Theater so konsequent jeden Bezug über die Bühne hinaus auf die umliegende Gesellschaft. Nirgends sonst hat es die Marotten und Eigenheiten seiner Schauspieler mit solcher Ausschließlichkeit zu seinem Thema gemacht: Lotte Lang schwärmt (in ihrer Rolle als Medea Schmettermaier) von den Fleischlaberln, die sie (im Privatleben) so vorzüglich macht; den Kollegen läuft beim Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen und eingeweihte Zuschauer fühlen: Jetzt sind sie dem Theater nahe — einem Theater, das nur noch aus den Anekdoten besteht, die es über sich erzählt. Nicht umsonst ist Jean Anouilh Lieblingsautor der Josefstadt. Die Eitelkeit, mit der die Theatermacher ihr Produkt nur noch auf sich selbst beziehen, ist an der Josefstadt völlig ungebremst. Sogar das Publikum ist längst darauf konditioniert, nicht die Interpretation einer Rolle, sondern die Selbstdarstellung seiner Lieblinge zu erwarten. Und für die Schauspieler immer wieder nur ein Thema, das über die Rampe zu bringen ist: Ihre eigene Liebenswürdigkeit. Und das gilt füralle, die sich als „ Josef städter Familie“ feiern lassen: Nie gefordert, weder von Regisseuren noch von Rollen, immer ihren Klischees entsprechend eingesetzt und mit diesen Klischees längst zu einer Einheit verschmolzen, die sich nur noch unter Mühen auflösen läßt: Wie in Fritz Kortners unvergeßlicher Inszenierung von „Emilia Galotti“, wie bei Hans Holt, Erik Frey, Grete Zimmer, Erni Mangold in David Storeys „Home“ vor einigen Jahren — und in einigen wenigen anderen Aufführungen, in denen an der Josef Stadt Theater und nicht Josefstadt gespielt wurde.

Um noch einmal abzugrenzen: Weder für ein ideologisiertes noch für ein humorloses Theater lohnt es sich, einzutreten. Sehr wohl aber für ein Theater, das sich wieder auf seine Themen besinnt. Auf seine eigentliche Funktion: Mittel zur Darstellung außertheatralischer Themen zu sein. Nur dann werden die Schauspieler wieder mehr zu tun bekommen als bloß sich selbst in immer anderen und trotzdem immer gleichen Rollen vorzuführen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung