Heiter gegen die Zeit

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Regisseur Arturas Valudskis und das Ensemble des TAG können trotz erheblicher Kürzungen mit ihrer an Anton Tschechow angelehnten "Komödie ohne Bäume" überzeugen.

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Regisseur Arturas Valudskis und das Ensemble des TAG können trotz erheblicher Kürzungen mit ihrer an Anton Tschechow angelehnten "Komödie ohne Bäume" überzeugen.

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Am kleinen, aber feinen Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) inszeniert der litauische Regisseur Arturas Valudskis seine Version von Anton Tschechows "Kirschgarten". Bearbeitungen, auf Gegenwärtigkeit getrimmte Mythentransformationen oder Überschreibungen von Repertoireklassikern haben auf den zeitgenössischen Bühnen schon einige Zeit Konjunktur. Fast jeder Regisseur, der etwas auf sich hält, versucht mit einer eigenen Bearbeitung, einen Stoff näher an die Gegenwart heranzurücken. Simon Stone zum Beispiel hat daraus ein richtiges System gemacht, mit Weiterschreibungen von Ibsen ("John Gabriel Borkman"), Tschechow ("Drei Schwestern") oder Strindberg, aus dessen Stücken er sein "Hotel Strindberg" zusammenbaute. Dass es bei diesem Über-Setzen in eine heutige, oft auch drastische Sprache nicht selten zu Glättungen und Banalisierungen, oder anders gesagt zu erheblichen Verlusten kommt, so dass vom Ursprungstext mitunter kaum noch etwas zu erkennen ist, konnte zuletzt auch an Stones umstrittener "Medea" am Burgtheater beobachtet werden. Unbescheiden nennt Stone seinen Versuch, den Medea-Stoff mit dem Heute zu verkeilen, "nach Euripides".

Zurückhaltender formuliert in dem Zusammenhang Arturas Valudskis seine Akte des Herüberholens von alten Geschichten in unsere Zeit. Am TAG, wo er 2016 schon eine furiose "Möwe" gezeigt hat, ist nun eine weitere Arbeit nach einem Drama von Anton Tschechow zu sehen. Er hat dessen letztes Stück, "Der Kirschgarten", mit dem der Autor 1903 erst 44-jährig gegen seinen eigenen Tod anschrieb, "frei nach Anton Tschechow" zu einer "Komödie ohne Bäume" weiterge-oder überschrieben. Und Valudskis nahm sich dabei vor allem die Freiheit für Streichungen und Kürzungen. Beim ersten Blick ins Programmheft fiel gleich die drastische Reduktion des dramatischen Personals auf, das um die Hälfte gekürzt ist. Und etwas bange konnte einem mit Blick auf die für Tschechow lächerlich gering veranschlagte Aufführungsdauer von lediglich 90 Minuten werden. Konnte das gutgehen? Um es gleich vorwegzunehmen, es kann, und wie!

Anpassung als Condition humaine

Mit einem schönen Bild macht das sechsköpfige Ensemble gleich zu Beginn klar, worum es Valudskis vor allem geht: um die Zeit. In einer Reihe aufgefädelt stehen die drei Schauspielerinnen und drei Schauspieler lange frontal zum Publikum, geben klackernde und tickende Geräusche von sich und wippen mit den Körpern hin und her wie Pendel. Das Bild wird sich am Ende wiederholen. Zwischen diesen Klammern kämpfen Menschen gegen den Niedergang Damit steht er in Kontrast zu allen anderen Figuren des Stücks, wie etwa Anja (Lisa Schrammel), der schwärmerischen Tochter Ljubows, oder dem ewigen Studenten Trofimow (wunderbar: Raphael Nicholas), dem Verkünder höherer Ideale, aber in Lebens-und Liebesdingen so Unreifen. Im Gegensatz zu Lopachin sind sie realitätsferne Träumer, Anhänger einer überkommenen Ordnung. Dass Menschen aber der ihres Daseins, stemmen sich seltsam heiter gegen den Lauf der Zeit. Es beginnt mit der Ankunft der unglücklich aus Frankreich heimgekehrten Gutsbesitzerin Ljubow Ranjewskaja, die Michaela Kaspar mit einer Mischung aus heiterer Kindlichkeit, sorglosem Ernst und einem Hang zu pathetischen Gefühlsausbrüchen ausstattet. Doch die Verhältnisse sind brüchig geworden, die Beschaulichkeit der alten Zeit und das Schwelgen in Kindheitserinnerungen schlägt jäh in Ernüchterung um. Der Kirschgarten ist unrentabel und überschuldet, er muss verkauft werden. Wie ihr Bruder Gajew, realitätsfremd und ahnungslos in geschäftlichen Dingen, der von Georg Schubert glaubhaft gespielt wird, ist Ljubow unfähig, auch nur das Geringste zu unternehmen, um das Gut zu retten. So nehmen die Dinge unausweichlich ihren Lauf. Der neue Eigentümer wird ausgerechnet der tatkräftige Kaufmann Lopachin (Jens Claßen), dessen Eltern einst Leibeigene auf dem Gut waren. Er repräsentiert das Neue, Veränderung, Fortschritt. Zeit unterworfen sind und sich mit Veränderungen arrangieren können, macht das Stück auch dadurch klar, dass am Ende nicht Trauer um das Verlorene überwiegt, sondern Hoffnung auf das Kommende aufkeimt. Und an der Figur der Charlotta (Karola Niederhuber), die einst mit ihren Eltern von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und als Gouvernante von Stellung zu Stellung zog, wird augenfällig, dass bei aller Melancholie, die dieser Akrobatin der Anpassung aneignet, das Unbehauste weder als Klage noch als Anklage zu verstehen ist, sondern als Condition humaine.

Abschied von der Nutzlosigkeit

Eine kleine kapitalismuskritische Volte schlägt Valudskis ganz am Ende aber doch noch: Er wiederholt den Abschied der Familie vom Kirschgarten in einer Art Schnelldurchlauf, wobei Lopachin die Bewohner diesmal recht unzimperlich aus dem Haus schafft, eine ebenso komische wie inhaltlich erschütternde Schlussszene, in der noch einmal klar wird, wie eine Kultur immer wieder durch eine andere abgelöst wird oder wie das Nutzlose heute weggeschafft wird. Trotz der Streichungen und Kürzungen ein großer Tschechow-Abend.

Kirschgarten. Eine Komödie ohne Bäume TAG, 12., 13., 15., 16., 19., 20. Februar

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