Wanja im leeren Raum

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Andrea Breth inszenierte einen schönen, beliebigen, entpolitisierten Anton Tschechow.

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Andrea Breth inszenierte einen schönen, beliebigen, entpolitisierten Anton Tschechow.

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Jubel, Trubel, Heiterkeit im Burgtheater, bei aller Traurigkeit des Stücks: Mit Anton Tschechows "Onkel Wanja", inszeniert von Andrea Breth, hatte das Burgtheater endlich wieder einmal einen Erfolg. Jedenfalls bei der Kritik. Allerdings könnte es ihm mit dieser Übernahme von der Berliner Schaubühne genau umgekehrt gehen wie beim "Cyrano", der den Kritikern mißfiel, dafür aber vom Publikum gestürmt wird.

Denn es hat schon seine Richtigkeit mit all dem Schönen, das über diese Aufführung geschrieben wurde, über die Sorgfalt, mit der die Regisseurin die planetarischen Entfernungen zwischen den Personen herausarbeitet, die Genauigkeit, mit der sie auf die feinsten Nuancen der Dialoge eingeht, Nicht-Beziehungen und Beinahe-Begegnungen, unausgelebte Lieben und ungelebtes Leben darstellen läßt. Das alles stimmt. Dafür verzichtet sie auf jeden Realismus. Sie treibt Tschechow selbst noch den letzten Rest konkreter Örtlichkeit aus. Die Bühne ist ein kahler, leerer Raum im Nirgendwo. Nichts, woran sich das Auge festhalten könnte. Nichts, was an Herkunft, Geschichte, Stellung der Figuren erinnert, ihrer Einordnung in Raum und Zeit dienen könnte.

Der Preis, der für eine solche Konsequenz bezahlt werden muß, wird in den Hymnen über diese Aufführung eher nur so am Rande erwähnt. Er heißt Zerdehnung, und, es muß gesagt werden, über weite Strecken Verlust der Spannung, Überdehnung und Ausdünnung der Handlungsbögen, Langeweile. Andrea Breths "Onkel Wanja" ist geradezu ein Schulbeispiel für die Verluste, die das Theater in Kauf nimmt, wenn es sich ausschließlich als Tempel hehrer Schauspielkunst begreift, den auch die Stücke nur noch betreten dürfen, wenn sie den Alltag in der Garderobe zurücklassen.

Man kann diesen "Onkel Wanja" als hochartifizielle reduktionistische Kunstübung selbstverständlich genießen. Doch gelobt wurde er sowieso schon über den grünen Klee. Man kann ihn ihm aber auch einen weiteren Beleg für die progressive Entpolitisierung des Theaters sehen. Und gerade bei Anton Tschechow steht ja auch wirklich eine Menge von Zeitgeistwidrigem. Seine nur noch um sich selbst kreisenden, auf sich selbst bezogenen Figuren sind Teil einer Gesellschaft, die unaufhaltsam auf einen Abgrund zutreibt. Davon aber läßt Andrea Breth nun wirklich wenig merken. Sie vermeidet alles, was an Tschechows politische Aktualität erinnern könnte.

Indem sie die an ihrer Beziehungslosigkeit leidenden Menschen buchstäblich in den leeren Raum stellt und in Kunstfiguren verwandelt, erspart sie Tschechows Nachfahren aber auch die Unannehmlichkeit, etwa gar sich selbst und die eigene Beziehungslosigkeit in diesem großen Stück über eine dem Untergang geweihte Gesellschaft zu erkennen.

Mathias Gnädinger als Onkel Wanja, der nichts aus seinem Leben gemacht hat, Michael König als prominente taube Nuß, Corinna Kirchhoff, Inka Friedrich, Elisabeth Orth, Benno Ifland und Katharina Tüschen bieten, was verlangt war: moderne Schauspielkunst in Reinkultur. Wolfgang Michael als Arzt Astrow mag länger in Erinnerung bleiben.

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