Die unerträgliche Vergeblichkeit des Seins

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Das Deutsche Theater Berlin gastiert mit Anton Tschechows "Onkel Wanja" in der Regie von Jürgen Gosch bei den Festwochen: großartig unbequem.

Auf der Bühne steht ein fleckiger, lehmfarbener, tür- und fensterloser leerer Kasten von geringer Tiefe. Nur ein Samowar lässt vage vorausahnen, dass hier gleich ein Stück von Anton Tschechow gespielt werden wird. Die neun Schauspieler betreten den Kasten wie eine Arena und werden ihn in den nächsten dreieinhalb Stunden nicht mehr verlassen. Keine Auf- und Abgänge. Sie wirken mitunter wie Gladiatoren, wenn sie in der Mitte aufeinandertreffen und lange Schatten werfen. Meist sitzen sie aufgereiht auf der langen Bank an der Hinterwand oder lehnen an den seitlichen Wänden, wenn sie nicht gerade dran sind.

Schaukasten für die Vivisektion

Diese Bühne, die der Bühnenbildner Johannes Schütz für Jürgen Goschs Interpretation des "Onkel Wanja" erfunden hat, erinnert an ein Erdloch, eine Zelle, aus der es kein Entkommen gibt. Auch könnte sie für die Enge des Lebens in der Provinz stehen. Man begreift jedoch schnell, dass sie weit weniger als Metapher für die "Szenen aus dem Landleben", wie Tschechow sein Stück im Untertitel genannt hat, zu verstehen ist. Mit der grellen Beleuchtung wirkt die Bühne vielmehr wie ein Schaukasten für die Vivisektion von beschädigten Seelen.

Denn Tschechows 1897 geschriebenes Stück erzählt vom verpassten Leben, der entsetzlichen Einsamkeit, davon, wie das Leben vergeht, ohne dass man es merkt, oder wie allenfalls vergebens versucht wird, es mit Sinn zu füllen.

Als Alexander, der talentlose aber dafür umso egoistischere Kunstprofessor im Ruhestand (Christian Grashof) mit seiner neuen, viel zu jungen Frau Elena auf das Landgut seiner verstorbenen ersten Frau in die Provinz zurückkehrt, weil das Leben in der Stadt unleistbar geworden ist, bringen sie das Leben dort, das sich bisher so dahinschleppte, gehörig durcheinander. Nicht nur, dass erst um sieben Uhr abends Mittagessen serviert wird, der Professor in einem seiner hypochondrischen Anfälle das ganze Haus nächtelang in Atem hält - es sind vor allem die menschlichen Instinkte, die in Aufruhr geraten.

Wanja (Ulrich Matthes), der Schwager Alexanders, der als Verwalter des Guts sein Leben und die Erbschaft dem einst bewunderten Professor geopfert hat, entdeckt plötzlich, dass ihm die Liebe fehlt. Ungelenk und direkt wirbt er um die spröde Elena und verfällt ob der unmöglichen Liebe zunehmend in Depression und Verzweiflung. Constanze Becker spielt Elena als unnahbare, gelangweilte und auch langweilige Frau, die den Männern ohne besonderes Zutun reihum den Kopf verdreht, sich aber meist übellaunig der Zudringlichkeiten zu erwehren weiß. Nur für Astrow hegt sie zaghaftes Interesse. Jens Harzer spielt diesen stets angeheiterten Arzt als nuschelnden Kauz, dem sein Arztberuf wie ein Hobby vorkommt und der mit seinem viel zu breiten Schnurrbart so unernst wirkt, dass er glaubhaft macht, ihn könne im Innern nicht mehr viel berühren. Das Leben hat ihn stumpf gemacht. Er merkt nicht einmal, dass die junge knabenhafte Nichte Wanjas, Sonja (Meike Droste), seit Jahren in ihn verliebt ist. Wie die von Wanja bleibt auch ihre Liebe ohne Echo, die Sehnsucht unerfüllt.

Als der selbstsüchtige Kunstkenner aus der Stadt das Gut verkaufen will, weil es zu wenig Profit abwirft, kommt es zur kläglich scheiternden Rebellion. Wanja schießt auf ihn, zweimal, ohne ihn jedoch zu treffen. Alexander fährt mit Elena weg, Wanja bleibt mit Sonja auf dem Gut zurück. Beide ergeben sich der Arbeit, Glück hoffen sie anderswo zu finden. Aber Gosch lässt kaum Zweifel daran, dass auch diese Hoffnung vergeblich ist.

Hochfahrend und nervös

So ist "Onkel Wanja" ein Stück über unerfüllte Sehnsüchte, über das Scheitern, die Vergeblichkeit und die Liebe, die vielleicht Befreiung von der Leere des Daseins brächte, und die es vielleicht möglich machte, die Zeit auszuhalten.

Goschs Zugriff ist weder gefühlig-sentimental noch wehmütig oder larmoyant. Seine Figuren sind keine typischen Russen, elegisch und melancholisch, sondern es sind sehr zeitgenössische Typen, hochfahrend und nervös in ihrem Unglück. Das macht sie uns so vertraut - und diesen großartigen Theaterabend auf beunruhigende Weise unbequem.

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