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Vielleicht die Expressionisten...

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Manes Sperber hatte Geburtstag, der Bundeskanzler wollte ihm gratulieren, bat zu einer kleinen Feier, und nun standen wir in der weißgoldenen Barockpracht Metternichs, hörten zu, applaudierten, tranken auch Wein. Doktor Kreisky unterhielt sich mit Literaten; Sperber, der liebe und große, freute sich und schrieb Widmungen in seine Bücher; das alles war schön und gut und nun standen wir — wie es so ist — herum. Ich stand zufällig neben Achim Benning. Ich kenne ihn lange, habe oft über ihn geschrieben, Gutes und weniger Gutes; wir tranken also das zweite Glas roten Weines und kamen ins Plaudern. Wir machten — wozu es leugnen? — genau das, was die Angelsachsen small talk nennen.

Dann aber weitete sich das Gespräch. Wir redeten über ein Interview, das Benning als neuer Direktor des Burgtheaters vor ein paar Tagen gegeben hatte. Er war mit dem Ergebnis unzufrieden. Er meinte, er wirke im Spiegel dieses

Artikels doch allzu trocken und pedantisch. So war es in der Tat. Allerdings: trocken und pedantisch wirkte er nicht nur in dieser Wiedergabe, sondern auch im Leben. Ja? Ja. So kamen wir dann darauf zu sprechen, ob man so ist, wie man zu sein scheint. Ich sagte dann: Treffen wir einander, ich notiere dies und jenes — vielleicht ergibt es ein treueres Porträt.

Einige Tage später fuhren wir dann in ein kleines Restaurant. Ich holte Benning ab. Er hat kein Auto, er meint, er brauche auch keines. Klingenberg ließ seinen Citroen immer in der Auffahrt zum Bühneneingang stehen. Er hatte sich ja sein Arbeitszimmer dort einrichten lassen. Klingenberg? Er zieht ja nach Zürich ... Er wird allerdings gleich im nächsten Jahr wieder inszenieren, sozusagen als Gast und gleich den „Hamlet“. Ein Regisseur, der offenbar an den Fragwürdigkeiten seines Charakters scheitert. Klug. Begabt. Von Geld besessen. Ein glänzender Verkünder von Programmen.

„Im1 Entwerfen von Konzepten sind die Scharlatane die besten“, sagt Benning. „Ein Konzept ist das beste Alibi dafür, daß man nicht weiß, was man eigentlich will.“

Wir sitzen da bereits am gedeckten Tisch und trinken wieder Rotwein. Dieser Mensch, der im ersten Augenblick tatsächlich trocken und pedantisch wirken mag, hat offenbar nichts gegen die Hilfsmittel der Phantasie. Auch sein Büro wirkt nicht wie die Studierstube eines Theoretikers. Klingenberg hat sich ja seinerzeit einen neuen Platz gesucht. Benning sitzt, wie Hoffmann, wie Häussermann, über der rechten Feststiege in einem Zimmer, aus dem man, bei unerwünschtem Besuch, durch einen geheimen Ausgang entkommen kann. Das neue Büro Benning besteht aus jungen Leuten, die

bereits in Deutschland tätig waren. Es gibt eine lebhafte, dunkeläugig verspielte Sekretärin. Es gibt auch einen neuen Dramaturgen, einen sehr schweigsamen jungen Mann mit Drahtbrille und sicherem politischem Urteil. Bennings Zimmer ist voll von Büchern und Papieren.

„Ich bin Schauspieler und Regisseur“, sagt Benning. „Jetzt werde ich für vier Jahre Direktor, aber das ist so, wie wenn der Tischler zum Militär geht. Er bleibt ein Tischler. Wenn er abrüstet, kehrt er an die Hobelbank zurück.“

Im Prinzip hält er diese vier Jahre für eine allzu kurze Zeitspanne. Er hat wahrscheinlich recht. Man braucht einige Zeit, um sich in einem Theater dieser Größenordnung richtig auszukennen. Und dann: die Planung! Schauspieler, Regisseure, die man haben möchte, sind erst in zwei, drei Jahren wieder frei, und dann ist man gar nicht mehr Direktor, man kann sie zwar engagieren, aber für

eine Direktion, die sie vielleicht gar nicht wird haben wollen.

Benning hält es für ausgeschlossen, daß er seinen Vertrag verlängert. Er will nicht. Er ist nun einmal Schauspieler und Regisseur und kein Büromensch. Er will sich mit dieser zeitlichen Beschränkung der Planungen abfinden.

Über diese Planungen beginnen wir zu sprechen, als Herr Waschel kommt, um uns zu photographieren, und also reden wir über dies und jenes, und dann ist Herr Waschel wieder gegangen, und nun könnten wir über die Pläne sprechen, aber Benning ist offenbar vorsichtig oder er glaubt, der Burgtheaterdirektor sollte zur Veröffentlichung seiner Pläne den richtigen Zeitpunkt wählen — offenbar aus taktischen Gründen.

Dieses Taktieren ist verstimmend, es bedeutet die Fortsezung eines Stiles — eines schlechten Stiles —, der uns sattsam bekannt ist: da wurde durch großspurige Geheimnistuerei der Mangel an Geheimnissen verdeckt, da behaupteten Direktoren des Burgtheaters gerade das Gegenteil dessen, was sie dann unternahmen, da glaubte man, durch Winkelzüge auch wirkliche Freundlichkeit ersetzen zu können. Achim Benning kennt den Betrieb: vor siebzehn Jahren ist er zum ersten Mal auf der Bühne des Hauses gestanden; er spielte eine führende Rolle in der Vertretung des künstlerischen Personals (übrigens: welch ein abscheulicher Ausdruck!) — will er sich also den törichten Gepflogenheiten anpassen?

Er wirkt ehrlich.

Aber auch seine Vorgänger haben ehrlich gewirkt.

Er wirkt ehrlich, er löst sich allmählich, wird gesprächiger, verzieht den kleinen Mund oft zu einem gu-

ten, schelmischen Lächeln, das die Augen funkeln läßt, ernste Intellektuellenaugen, die zumeist nachdenklich sind, fast verschlossen: die Augen eines Studierenden, der gewöhnt ist, nach innen zü blicken. Es fällt diesem Gesicht leicht, seine Geheimnisse zu wahren, Benning hat das Gesicht eines Introvertierten. Leidenschaften haben sich nicht eingekerbt. Er ist einundvierzig und sieht jünger aus. Sein Deutsch hat während dieser zwanzig Jahre keine österreichische Färbung angenommen, es klingt schön, kühl, präzise, etwas kehlig. Benning stammt aus Magdeburg.

Über das deutsche Wesen und dessen Auswirkungen auf das Theater hat er sich Gedanken gemacht.

„Allein die Deutschen glauben, daß sie im Theater Schulmeisterei betreiben müssen“, sagt Benning. „Natürlich bin ich für das freie Spiel, für die Verspieltheit. In Wien, im Burgtheater, sollte man allerdings

hinzufügen: Verspieltheit ist keine Rechtfertigung für Schlamperei.“

Nein, Schulmeisterei soll im Burgtheater sicherlich nicht betrieben werden. Denn das Burgtheater ist nicht irgendeine deutsche Bühne, es steht in Wien, hat ein ganz bestimmtes Publikum, soll für dieses Publikum spielen. Das Wiener Publikum ist nicht lenkbar.

„Das Theater hat immer Sehnsucht nach einem besseren Publikum“, sagt Benning, „und das Publikum hat immer Sehnsucht nach einem besseren Theater.“

Ist das deutsche Publikum lenk-

bar? Vielleicht. Wir erinnern uns an eine Bemerkung von Franz Grillpar-zer: „Diese Lenkbarkeit, der gegenüber das: Es gefällt mir, oder es gefällt mir nicht, keinen Grund ausmacht, ist, was ich die Feigheit des deutschen Publikums genannt habe. Ein feiges Publikum aber erzeugt endlich notwendig eine unverschämte Literatur.“

Schulmeisterei verbreitet sich besonders schnell, wenn das Publikum an Minderwertigkeitskomplexen leidet. Ist das Engagement so vieler ausländischer, der deutschen Sprache unkundiger Regisseure nicht ebenfalls ein Zeichen solcher Gefühle der eigenen Minderwertigkeit?

Benning antwortet nicht eindeutig. Er gibt aber Anhaltspunkte. Er sagt gerade so viel, daß ich mir ungefähr eine Meinung bilden kann.

Er ist für den Regisseur Roussillon, der zwar nicht deutsch kann, aber so impulsiv ist, daß er die Schauspieler packt, mit sich reißt, inspi-

riert — was Benning ja wissen muß, da er unter Roussillon die Titelrolle des „Geizigen“ von Moliere gespielt hat. Ich habe den Eindruck, daß Benning den italienischen Regisseur Ranconi, dessen „Orestie“ demnächst im Burgtheater gezeigt wird, vielleicht weniger schätzt. Vielleicht. Er hat es nicht gesagt. Er hat es auch nicht durchblicken lassen. Ich glaube dennoch, durchgeblickt zu haben.

Er will das Ensemble erneuern. Da ist er offen.

„Von 160 Schauspielern des Burgtheaters sind nur acht jünger als dreißig Jahre“, sagt Benning. „Das

ist unmöglich. Aber es ist schwer, junge Schauspieler zu finden. Junge Schauspielerinnen gibt es. Aber es gehen nur wenige talentierte junge Männer zum Theater.“

Für die Zukunft will Benning ein neues Theaterpublikum gewinnen:

„Wir werden Theater für Kinder machen“, sagt er. „Wir werden am Nachmittag Theater spielen, für die ganz Jungen, für die Jungen.“

Und das Programm?

. Er will kein Konzept formulieren. Nur in einem Punkt läßt er sich in die Karten blicken. Er hat sich in seiner Dissertation mit den Expressionisten beschäftigt und glaubt — zurecht! —, daß ihre Stücke in Wien viel zu selten gespielt werden. Also mehr Hasenclever, Kaiser, Sternheim?

„Ja“, sagt Benning. Endlich ein ganz deutliches Ja. Und er fügt von sich aus hinzu: „Und Wedekind.“

Er wird dann, mit der Zeit, doch noch programmatisch, aber nur im allgemeinen. Es fallen Sätze, wie „Kunst ist Trost“ und dann: „Kunst soll die Leute in Unsicherheit halten“. Was ja kein Trost ist. Vielleicht

aber soll das Theater beides: unsicher machen und trösten.

Der Widerspruch bleibt bestehen, und ich freue mich, daß Benning ihn stehen läßt. Mehr als sein famoses Schweigen, seine Vorsicht, sein philosophisch geschultes Denken und seine weise Introvertiertheit verspricht diese eine Kleinigkeit. Sie bezeugt einen gewissen Mut zur Inkonsequenz. Darin aber liegt die Chance eines Abenteuers, das man zwar etwas konventionell, dafür aber allgemein verständlich künstlerische Freiheit nennt.

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