Das weite Land der Langeweile

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Achim Benning versuchte im Akademietheater noch einmal den alten Schnitzler-Ton zu treffen und fiel dabei auf die Nase.

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Achim Benning versuchte im Akademietheater noch einmal den alten Schnitzler-Ton zu treffen und fiel dabei auf die Nase.

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Mütter, Väter, die Ihr "Das weite Land" von Arthur Schnitzler liebt, seid gewarnt! Schickt Eure Kinder nicht ins Akademietheater! Gewiß, "Das weite Land" muß man immer wieder spielen, jede Generation soll Gelegenheit haben, es im Theater zu sehen. Ebenso wie den Hamlet und die Stella und in Österreich den König Ottokar. Aber ehe man junge Leute damit fadisiert, läßt man es doch besser noch bleiben. Und zwar genauso lange, bis ein Regisseur eine Vorstellung hat, wie dieser Text heute funktionieren, wie man ihn heute aufregend spielen kann. Ein Stück für Regiepfründner ist "Das weite Land" nicht. Achim Bennings Inszenierung wirkt aber wie die Arbeit eines Regiepfründners. Natürlich hat die Katastrophe andere Gründe, leider kommt dabei dasselbe heraus. Vermutlich liebt er dieses Werk zu sehr und kennt es schon zu lange, um es noch einmal neu lesen und selber noch wirklich über das erschrecken zu können, was da drinnen steht - und ganz und gar nicht von gestern ist.

Oder ist der Macho, der sich selber, nicht aber seiner Genia jede Freiheit erlaubt, von gestern? Ist der Schuldzuweiser miesester Sorte, der seiner Frau nach dem Selbstmord eines Freundes ein Verhältnis mit diesem andichtet - und angesichts des Beweises, daß sich der Betreffende gerade deshalb umgebracht hat, weil er nicht bei ihr gelandet ist, die Schuld am Tod eines jungen Menschen zuschiebt? Oder ist's von gestern, wenn einer eine Erna mit der Tour verführt, ihr Kuß verpflichte zum sofortigen Abschied oder zum bedingungslosen Ja, und dem Versprechen, sich scheiden zu lassen und sie zu heiraten - aber auf Mord sinnt, wenn er seine Noch-Angetraute mit einem anderen erwischt? Daß er den Nebenbuhler per Duell ins Jenseits befördert, mag ein Detail von gestern sein. Daß er ihn zunächst gar nicht töten wollte, dann aber die Gelegenheit benützte: Das ist schon wieder zeitlos, also auch von heute. Und könnte, sollte, nein: muß auch so gespielt werden.

Statt dessen wirft sich Benning mit ausgebreiteten Armen einem verstaubten Nostalgiestil in die Arme, ohne zu merken, wie sehr uns die Jahrhundertwende (die verflossene!) mittlerweile entrückt ist, und sucht wiederzubeleben, was schon 1970 mumifiziert war. Dabei verflüchtigt sich die Individualität einer Sylvia Lukan ebenso wie die einer Kitty Speiser oder eines Robert Meyer. Dafür halten alle den offenbar gewünschten Kammerton durch, die Stimmungslage einer versunkenen Gesellschaft, wie man sie sich heute halt so vorstellt. Theaterkonvention schiebt sich vor Realität.

Karlheinz Hackl als Friedrich Hofreiter, um den sich alles dreht, macht leider alles noch schlimmer. Er spielt den gewissenlosen Macho als Zerrissenen, aber keinen von Nestroy, als Zergrübelten - nicht auszuschließen, daß das in einer anderen Inszenierung funktionieren könnte. In dieser summieren sich die konzeptiven Mißgriffe.

So hat, nicht zum erstenmal unter Achim Benning, wieder einmal ein Bühnenbildner durchgedreht. Ferdinand Wögerbauer stellte ein Mittelding von Reitschule und Wintergarten der Seele auf die Bühne, eine Masse Raum, in der jede Nähe verlorengeht. Wie sie da gleich am Anfang feierlich im Kreis herumstehen, ergibt es sich von selbst, daß sie jeden Satz betonen, schicksalschwer tropfen die Worte in den Raum wie in einem von der Theaterkonvention genauso hingemachten Tschechow.

Regina Fritsch ist eine etwas blutleere Genia, Katrin Stuflesser gibt als Erna Lebenszeichen, in der Hotelszene wirkt viel outriert, dafür ist Frank Hoffmann hier buchstäblich die Achse. Nämlich ein Haubenstock.

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