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Fakten, Labyrinthe

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Robert Jungk hat bei der letzten Dramaturgentagung in Salzburg angeregt, auf der Bühne Simulationsspiele zur Erprobung neuer gesellschaftlicher Zustände zu veranstalten. Durch ihre Ergebnisse sollen gewaltsame Umstürze vermieden werden. Rolf Hochhuth zeigt in seiner Tragödie „Guerillas“, wie in der „Furche“ vom 10. Oktober 1970 bereits berichtet, einen fiktiven Versuch, in den USA die „plutokratische Oligarchie zu stürzen, den Klub jener 120 Familien, denen mehr als 85 Prozent des ,Volks'-Vermögens gehört“. Dieses „Simulationsspiel“, nun im Volkstheater aufgeführt, zeigt im Gegensatz zu Robert Jungk, ein Negativum: daß das Herbeiführen einer neuen sozialen Ordnung in den USA unmöglich wäre.

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Robert Jungk hat bei der letzten Dramaturgentagung in Salzburg angeregt, auf der Bühne Simulationsspiele zur Erprobung neuer gesellschaftlicher Zustände zu veranstalten. Durch ihre Ergebnisse sollen gewaltsame Umstürze vermieden werden. Rolf Hochhuth zeigt in seiner Tragödie „Guerillas“, wie in der „Furche“ vom 10. Oktober 1970 bereits berichtet, einen fiktiven Versuch, in den USA die „plutokratische Oligarchie zu stürzen, den Klub jener 120 Familien, denen mehr als 85 Prozent des ,Volks'-Vermögens gehört“. Dieses „Simulationsspiel“, nun im Volkstheater aufgeführt, zeigt im Gegensatz zu Robert Jungk, ein Negativum: daß das Herbeiführen einer neuen sozialen Ordnung in den USA unmöglich wäre.

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Es geht Hochhuth mit geradezu berserkerhaft bohrender Intensität darum, fast in jeder Zeile des Dialogs wie in den allzu vielen berichtenden Einschaltungen die gesellschaftlichen Zustände der USA als verbrecherisch anzuprangern und die Notwendigkeit darzutun, sie zu ändern. Wenn Worte töten könnten, hier würden sie zermalmen. Hochhuth ist ein Ethiker von einem Fanatismus, wie ihn Savonarola besaß. Allerdings greift er stets nur eine Seite an, den Westen, wo ihm nichts passieren kann.

Er schreibt Stücke, weil er glaubt, die Menschen so unmittelbarer pak-ken zu können. Hat er dramatisches Talent? In ständigen Diskussionen bietet er ein dermaßen dichtes Gewebe an Fakten, daß nahezu alles Lebendige darunter erstickt. Diese Akribie im Noch-und-Noch an belastendem „Material“ verwirrt und langweilt, erreicht wird das Gegenteil der erstrebten Wirkung. Der ungeschickt dosierende Polemiker erschlägt die Polemik und die Dramatik.

Schwierige Aufgabe für Spielleiter und Darsteller. Regisseur Gustav Manker glaubt dem Stück nur beizukommen, indem er die ständigen Angriffe übenstark heraustreibt. Thea-tralisierung ergibt sich. Dem Senator, der den Umsturz vorbereitet und schließlich ermordet wird, gibt Kurt Meisel gezügelte Energie, doch von sich aus nichts hinzu, was so sehr nötig wäre. Die gutaussehende Christine Buchegger blüht als seine Frau darstellerisch etwas auf. Die Mutter des Senators zeichnet Elisabeth Epp als eine sich noch für attraktiv haltende alte Dame. Überzeugend wirkt Rudolf Strobl als Gegenspieler des Umstürzlers, der den Freund tötet. Vorzügliche Bühnenbilder von Heinz Ludwig: Räume mit leeren, silbrigen Wänden oder nur seitliche Wände, auf die Schauplatzandeutungen projiziert werden.

Pirandello war Jahre hindurch an seine geisteskranke Frau gekettet, die ihn für wahnsinnig hielt. Dieses qualvolle Erleben wurde zum Vorwurf für sein szenisches Gleichnis „So ist es — ist es so?“, das derzeit vom Volkstheater in den Wiener Außenbezirken aufgeführt wird. Es geht da bekanntlich um die Frage, wer geistig gesund ist, wenn sich zwei gegenseitig für wahnsinnig halten, Frau Frola und ihr Schwiegersohn. Bemerkenswert: Aus behutsamem Mitgefühl werden die gegenseitigen Behauptungen toleriert, ein spannungsvoller Schwebezustand entsteht, und jene Gestalt, die schließlich das labile Geichgewicht zum Einsturz bringen könnte, entschlägt sich der Aussage, ebenfalls aus Mitgefühl. Es gibt da also nicht mehrere gleichberechtigte Wahrheiten, wie behauptet wurde, sondern nur eine einzige, die allerdings lediglich eine Person kennt, für die anderen ist sie nicht feststellbar. Regisseur Oskar Willner bietet eine recht gute Aufführung, wobei freilich Julia Gschnitzer als Frau Frola nur dauernd verhärmt, Peter Geiger als ihr Schwiegersohn nur stets aufgeregt wirkt Farbigkeit fehlt da.

Im Althochdeutschen bedeutete das Wort narro „Verrückter“. Aber das Wort Narr wird heute auch anders verwendet, so ist der Possenreißer zwar ein Narr, doch kein Verrückter. Auch in der Komödie „Till Eulenspiegels Kaisertum“ von Felix Braun, die das Theater am Belvedere zu seinem 85. Geburtstag zur Uraufführung brachte, geht es wie bei Pirandello um die Relativität seelischer Grenzzustände. Es heißt da einmal, Till sei ein Narr, der wisse, daß er ein Narr sei, aber alle anderen glauben es von sich nicht und sind es doch. Dieser Narr nun, der aus eulen-spiegelhaftem Spaß vor den dummen Schildbürgern den Kaiser spielt, muß — treffliche Konsequenz — im Karneval auf des Kaisers Geheiß drei Tage lang mit dem Kaiser die Rollen tauschen. Aber der Tausch gibt all-zuwenig her, es zeigt sich lediglich, daß Till, aus der Scheinwelt in die reale Welt der Befehlsgewalt versetzt, die geistige Macht seiner Einfälle verliert und im Gefolge hoffnungsloser Liebe zur Kaiserin in den Tod getrieben wird. Das Märchenhafte des Stücks betont Regisseur Irimbert Ganser dadurch, daß er die Schildbürger, treten sie in „Massen“ auf, überdimensionale, vom Bühnenbildner Günther Tayrich entworfene Kopfmasken tragen läßt. Unter den Darstellern seien Fritz Holy als Till und Gertraud Frey als Kaiserin hervorgehoben.

Die im Jahr 1924 entstandene Novelle „Fräulein Else“ von Arthur Schnitzler setzt einen antiquierten Vorwurf meisterlich ins Seelische um. Die monologische Behandlung der geringen Geschehnisse einschließlich kurzer, von Gedachtem durchsetzter Dialoge wie bei Joyce eignet sich sehr gut zum nicht nur gesprochenen, sondern darstellerisch wiedergegebenen Vortrag. Im Theater im Palais Erzherzog Karl bringt Ingeborg Brun in einem Soloabend, auswendig interpretiert, die seelische Wirrnis dieses Mädchens einer versunkenen Zeit gut zur Geltung, wirkt aber dazu als Typ so völlig anders geartet, so daß ein zwiespältiger Eindruck nicht überwunden wird.

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