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Das harmlose Väterchen

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Bel den Fest sp ietgewal t i gen scheint sich der ungarische Dramatiker Julius Hay eines guten Rufes zu erfreuen, da er nach Salzburg und Avignon nun auch in Bregenz zu Festspielehren kam. Ob man ihm damit einen Dienst erwiesen hat, muß nach der Uraufführung von „Attilas Nächten“ sehr stark in Zweifel gezogen werden. Die vorliegende Tragödie in fünf Akten läßt nämlich den routinierten Dramatiker nur ahnen, bestätigt ihn aber nicht. Dabei scheint freilich die Festspieldirektion nicht ganz unschuldig zu sein, da hier das Motto „Uraufführung um jeden Preis“ wieder einmal fröhliche Urständ feiern darf. Zwar ist der Attila-Vorwurf durchaus originell, das heißt, zumindest ist er von vornherein nicht um ein Klischeebild oder gar um historische Genauigkeit bemüht. Aber das allein zählt auf der Bühne nicht. Wenn zuerst vier Akte lang ein vitaler, kraftstrotzender Welteroberer quasi als eine Art Messias die Bühne beherrscht, dann aber durch ein betont hysterisches Jungferchen, das vorgibt, eine Streiterin Christi zu sein, so in Aufregung gerät, daß er schließlich an einem Herzinfarkt einen kläglichen Bühnentod stirbt, dann kann nicht einmal mehr der guterzogene Zuschauer ein Lachen unterdrücken. Trotzdem ist kaum anzunehmen, daß der Autor in erster Linie auf Lacherfolge aus war. Im Text ist nämlich die Rede vom Gesetz des Lebens, von den Nächten der versäumten großen Möglichkeiten, die einem neuen Ereignis weichen sollten usw.; aber außer ein paar recht saftigen Bonmots vor und nach der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern gefällt sich der Autor in Wortgefechten, die zwischen Unglaubwürdigkeit und Lächerlichkeit schwanken. Bei allem Respekt vor Hay — hat er sich doch mit zahlreichen anderen Werken als Dramatiker von Format ausgewiesen — muß man ein solches Unterfangen als festspieluntauglich bezeichnen. Um so mehr ist das Burgtheater zu bewundern, das sich nun schon Jahr für Jahr solcher Stücke annimmt, die kaum ein bescheidenes Provinztheaterchen auf den Spielplan zu setzen wagte. Da wird ein Heinz Moog in der Titelrolle richtig verheizt, weil er bis zuletzt versucht, die Tragödie zu retten. Sein Bühnetod bringt ihn allerdings um diese Möglichkeit; es sei denn, man sieht in diesem Drama nichts anderes als eine späte Rehabilitierung des Namens Attila (got. „Väterchen“). Neben Moog muß vor allem Sylvia Lukan genannt werden, die sich in der geradezu peinlichen Rolle der Mikolde mit recht viel Feingefühl zurechtfand. Sehr vornehm Gerhard Geisler als Edeko, ohne barbarische Attitüden. Lauderich wurde von Wolfgang Stendar heiser und aufgeregt präsentiert, während Erich Auer als überzeugender Aetius überhaupt nur einen halben Akt lang Worte von sich geben durfte, ehe er hinter der Bühne sang- und klanglos sein Leben aushauchte. Auf dem Programmzettel war Rosemarie Gerstenberg als Gudrune angegeben, was sie wohl auf Geheiß des Regisseurs veranlagte, mehrmals in Walkürenpose über die Bühne zu rasen und Fluch zu verbreiten. Adolf Rotts Regie war bemüht, die Peinlichkeiten der Handlung und des Textes noch zu unterstreichen. Einen Lorbeerkranz hätte Fritz Butz für Kostüme und Bühnenbild verdient. Der Beifall war höflich und spärlich, als sich der anwesende Autor dem Publikum zeigte. Einzig Moog und Lukan wurden stärker akklamiert. Bregenz ist um eine enttäuschende Uraufführung reicher geworden. Schade.

Gerhard Lehner

Vor 102 Jahren machten Jacques Offenbach und seine Librettisten die alten Griechen zu Franzosen und jene auf den ersten Blick so seltsame Aktualisierung eines Stoffes überlebte ein Jahrhundert. Walter Hoess- lin hait die „Schöne Helena“ auf die Riesenbühne des Bregenzer barocken Seetheaters gestellt. Er verwendet ein echtes Schiff, größer als die Barken, auf denen die Hellenen gen Troja fuhren, er läßt Raketen zum Himmel knallen, das Volk schickt Ballons in die Lüfte, es geschieht also vieles, das die alten Griechen noch nicht kannten, und Karl Dönch stattet seine Witze mit den steigenden Fleischpreisen und dem Ringen um die Trassenführung der Autobahn im Raume Bregenz aus.

Also eine Show und nichts anderes? Nein! Da ist vor allem Offenbachs unsterbliche Musik, vermittelt durch die Wiener Symphoniker, für deren Sitz eine akustisch glückliche Lösung gefunden wurde, und wenn man schon die Barcarole aus „Hoff- manns Erzählungen“ herübemahm, warum so kurz und warum nicht ge tanzt? Das Wiener Staatsopernballett stand zur Verfügung. Und der Bregenzer Festspielchor ist nach wie vor der große künstlerische Beitrag der Vorarlberger Landeshauptstadt zu den Festtagen ihres Jahres.

An der Spitze der Darsteller steht eine wahrhaft schöne Helena in Person von Gerda Scheyrer, ausgestattet nicht nur von Aphrodite, sondern auch von der Muse des Gesanges. In einigen Szenen mit Paris (Robert llosfalvy) vergißt man das Schwankhafte der Handlung und fühlt sich in die Welt der Oper versetzt. Das Gegenstück zum betrogenen König ist Herbert Prikopa als Groß-Augur, dem die Opfergaben zu wenig sind und der auf die Forderungen der Augurengewerkschaft verweist. Die Träger der Nebenrollen wecken durchweg den Wunsch, sie stünden länger auf der Bühne. So kommen die beiden Ajaxeln, Orestes (eine Hosenrolle) und Helenas Vertraute nicht recht heraus.

Die „Schöne Helena“ ist nicht die wirkungsvollste der bisher 21 Inszenierungen auf dem nächtlichen Bodensee. Sie wird aber ihre Liebhaber finden. Nicht nur Paris

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