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Sprechtheaterbeginn

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Es gibt Stücke, die aus aktuellen Situationen heraus entstanden sind und noch nach Jahrzehnten kaum weniger aktuell wirken. Bei der mehr als sechzig Jahre alten Komödie „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler, die derzeit im Theater in der Josefstadt gespielt wird, hat sich das Zeitnahe gerade in den letzten Monaten gesteigert, da Zeitungsveröffentlichungen den Antisemitismus, von dem das Stück handelt, ebenso erstaunlich wie empörend wieder spürbar machten.

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Es gibt Stücke, die aus aktuellen Situationen heraus entstanden sind und noch nach Jahrzehnten kaum weniger aktuell wirken. Bei der mehr als sechzig Jahre alten Komödie „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler, die derzeit im Theater in der Josefstadt gespielt wird, hat sich das Zeitnahe gerade in den letzten Monaten gesteigert, da Zeitungsveröffentlichungen den Antisemitismus, von dem das Stück handelt, ebenso erstaunlich wie empörend wieder spürbar machten.

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Zu den besten Bühnenwerken zählen jene, in denen ein menschlich wertvolles Streben gegen ein anderes gleichfalls wertvolles steht. So geht es hier bekanntlich um das Gegeneinander von areligiöser und religiöser Humanität, der Einstellung des Internisten Bernhardi und der des Pfarrers Reder, dem der Zutritt zu einer Sterbenden, die nichts von ihrem nahen Ende weiß, von diesem Arzt verwehrt wird. Das ergreift schon an sich. Der Arzt müßte gar nicht Jude sein, aber er ist es. Und damit wird der Fall politisch von antisemitischer Seite hochgetrieben. Zugleich ergibt sich ein Intrigenspiel um eine vakante Stelle in diesem Spital, ja, der Weiterbestand des Krankenhauses ist durch all das in Frage gestellt. Die Machinationen, Quertreibereien, Gehässigkeiten, ex-altierenden Egoismen stellt Schnitzler meisterlich dar, und gerade hierin spürt man sehr merkbar Gegenwartsnähe.

Unter der entschärfenden, das Komödienhafte der Komödie herausarbeitenden Regie von Hons Jaray gibt Leopold Rudolf dem Bernhardi in aller Schlichtheit das Selbstverständliche dieser besonderen ärztlichen Haltung. Franz Stoß, der Direktor der „Josefstadt“, spielt erstmals im eigenen Haus, sein Professor Ebenwald, der Gegenspieler, erweist lässige Überlegenheit. Guido Wieland und Kurt Heintel sind unter den Professoren zu nennen. Mit ruhiger Überzeugung vertritt Alfred Reiterer als Pfarrer die Argumente des Glaubens. Charme in verschiedener Ausprägung besitzen Karl Schönböck als Unterrichtsminister, Hans Jaray als Hofrat. Otto Niedermoser entwarf treffliche Bühnenbilder. *

Auch im Volkstheater wird ein Stück von Arthur Schnitzler gespielt, das selten aufgeführte Schauspiel „Freituild“ aus dem Jahr 1896, aber welch ein Unterschied! Es behandelt einen völlig veralteten Vorwurf: das Duell. Laut Programmzettel sprach das Militär-Strafgesetz vom Jahr 1855 vom „Verbrechen des Zweikampfes“, aber noch 1902 wurde ein Reserve-Kadettfeldwebel wegen Duellverweigerung degradiert. Hier ohrfeigt in einem Badeort der reiche junge Rönning den Oberleutnant Kardnski, weü er über ein anständiges Mädel vom Sommertheater, das nicht „Freiwild“ sein will, öffentlich in üblem Ton spricht. Er verweigert es aber dann beharrlich, sich zu duellieren, worauf ihn der Oberleutnant erschießt, der glaubt, damit seine „Ehre“ wiederherzustellen.

In Karinskis Auffassung wurde Rönning, der sich dem geltenden Ehrenkodex nicht beugt, Freiwild. Was sollen wir damit? In zwei Weltkriegen sind übersteigerte Ehrbegriffe, die Jahrhunderte hindurch Geltung hatten, zusammengebrochen. Welten trennen uns davon. Eine lange Diskussion um die Notwendigkeit des Duells zwischen Rönning und den beiden, die sich als Sekundanten anbieten, packt daher kaum. Dagegen ersteht reizvoll das alte Österreich in der Feschheit der Offiziere, im lockeren Bereich des Sommertheaters, im Getriebe des Badeorts. Das Tragische ist da ins Unbeschwerte gebettet.

Das österreichische kommt unter der Regie von Gustav Manker gut heraus. Bernhard Hall ist ein verhalten anmaßender Karinski. Peter Wolsdorff ein ruhig überlegener Rönning. Dem anständigen Mädel gibt Kitty Speiser glaubhafte Sauberkeit. Rudolf Strobl zeichnet witzig den Direktor des Sommertheaters, Brigitte Swoboda, Adolf Lukan sind beachtlich in weiteren Rollen. Heinz Petters rückt einen dümmlichen Verteidiger des Ehrenkodexes zu sehr ins Spaßhafte. Georg Schmid entwarf einen reizvollen Park mit Kaffeekiosk und einer Seitenfront des Sommertheaters.

Der einstige Burgtheater-Direktor Albrecht Freiherr von Berger meinte, man müsse Shakespeares „Lear“ naiv inszenieren. Man soll in dieser Königstragödie noch die Bauerngeschichte durchspüren. Giorgio Strehler dagegen faßt diese Tragödie in seiner vor eineinhalb Jahren geschaffenen Inszenierung, die im Verlauf der Tournee nun im Theater an der Wien zu sehen ist, als Zirkusspiel auf, als einen Weltzirkus. Die Welt, ein seltsames Spiel, das gibt es seit langem.

Und nun begeben sich die Vorgänge in einem riesigen Zirkuszelt, dessen Bodenverspannungen man sieht. Die Manege bedeckt eine dicke Schicht aus Kunststoffkömern, sozusagen Urschlamm, nichts als ein paar erhöht gelegte Bretter dienen dem zentralen Geschehen als Podium. Damit ist die Aufführung ausschließlich auf die Erscheinung der Schauspieler gestellt, nur sie gibt es. Treten sie an die Rampe, grellen sie hell aus dem dunklen Hintergrund. Ist aber die Bühne hell, sind sie Schattenflguren. Im Hauptteil der Manege agieren sie in beidseitig einfallendem scharfen Licht. Bei diesen optischen Effekten ergeben die sehr bedacht gewählten Stellungen der Darsteller, ihre ausladenden Gesten, überaus reizvolle Wirkungen. Und das Sprechen? Es ist ebenfalls effektbedacht, ist sehr oft Pathos, Singsang. Ergebnis: Das Aschaische geht verloren. In der Manege wird optisch und verbal exzel-liert. Das Künstlerische entfaltet seine Schönheit, die Schönheit allerdings einer zerfallenden Welt. Das Stück ist das Mittel dazu. Auffallende Verwandtschaft zu Steins Inszenierung des „Prinz von Homburg“, nur gibt es bei Strehler auch noch eine Steigerung ins Theatralische, ins optisch Grausame, bei der Blendung Gloucesters.

Lear und Gloucester sehen fast gleich aus. Verwandtschaft der Schicksale. Beide, Tino Carraro und Renato De Carmine beeindrucken als Professional ihres Nicht-anders-Könnens. Der Narr ist diesfalls sinngemäß ein Zirkusclown. Die Darstellerin der Cordelia, Ottavia Piccolo, spielt mit zupackender Verve. Ivana Monti als Regan, Anna Saia als Go-neril haben die Schönheit der Abgrundbösen. Nackte Männer werden Mode, Strehler läßt den Edgar — Antonio Fattorini zeigt in dieser Rolle Temperament — unnotwendig auf der Heide einen Akt lang nackt auftreten. Kreuzung in den Kostümen von Ezio Frigerio, dem Gestalter des Bühnenbildes, von Rockerkleidung und Mittelalter.

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