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Tragikomodie des Eigensinns

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Arthur Schnitzler hat zu seinem 1912 entstandenen, in Berlin urauf-geführten, in Wien von der Zensur verbotenen „Professor Bernhardi“, einer „österreichischen Komödie“, in seinem Brief an den Historiker Richard Charmatz einen ausführlichen Kommentar geliefert. „Ich habe eine Charakterkomödie geschrieben“, heißt es darin, „die in ärztlichen und zum Teil in politischen Kreisen spielt, kein Tendenzstück, das den Konflikt zwischen Wissenschaft und Kirche oder gar den Streit zwischen zwei Religionen darzustellen oder am Ende in irgendeiner Richtung zu entscheiden sucht.“ Das für uns heute kaum mehr zu Glaubende ist, daß Bernhardi, Internist und Jude, der wegen „Religionsstörung“ zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt wird, weil er einem Priester den Zutritt zu einer im Zustand der Euphorie sich befindlichen Sterbenden verweigert hat, im Mittelpunkt einer Komödie steht. Tatsächlich endet die Affäre, in der die antisemitischen Tendenzen im Wien der Jahrhundertwende schon gehörig rumoren und die nach den ersten drei Akten sich ins Tragische zu entwickeln scheint, im Versöhnlichen, fast im Komischen. So, wenn der charmante Hofrat am Ende lächelnd erklärt, alle hätten sich falsch benommen, auch Professor Bernhardi, weil er „rechthaberisch war wie ein Vieh“. Erstaunlich dabei die Objektivität, mit der die anständigen und anrüchigen Charaktere auf beide Lager verteilt werden; es gibt antisemitische und jüdische Karrieristen; es gibt Strebertum und Gemeinheit, Mut und Charakterfestigkeit hier wie dort.

Noch ist der Antisemitismus als etwas Gegebenes in einer sich gleichbleibenden Gesellschaft gesehen, in der es manchmal zu Zwischenfällen und Skandalen kommt, die aber dann doch nicht den Rahmen des Komischen oder höchstens Tragikomischen sprengen. Mag sein, daß die Vorstellung des „kultivierten Individualisten“ Schnitzler vom Staat doch einigermaßen klischeehaft anmuten und der Umschlag der Tragödie in die seichtere Gesellschaftssatire sich etwas abrupt vollzieht. Aber in den ungemein sicher gezeichneten Figuren spiegeln sich die ideologischen Strömungen, bricht die Bosheit in die Sprache ein, ist in den Wortgefechten der Professoren bereits etwas dargestellt, was als Vorurteil später den Weg zur offenen Brutalität bereitet. Unser Wissen, daß diese Dinge zur Katastrophe geführt haben, macht diese „österreichische Komödie“ so unheimlich packend.

Unter der Regie von Kurt Meisel, der auch den Hauptgegner Bernhar-dis spielte, kam eine treffliche Aufführung im Akademietheater zustande. Ernst Deutsch als Professor Bernhardi ist der starre, durch gelegentliche Ironie gemilderte Rechthaber von funkelnder Intelligenz, bei dem man nur eine gewisse diplomatische Geschmeidigkeit vermißt, da er ja nicht nur Arzt und Gelehrter, sondern auch Direktor eines großen Krankenhauses ist. Von den zahlreichen Mitwirkenden seien Josef Krastel als rührender Dr. Cyprian, Bruno Dallansky als sturer Kandidat der Medizin Hochroitzpoitner, Inge Brücklmeier in der einzigen Frauenrolle als ängstliche Krankenschwester, Wolfgang Gasser als schlichter Pfarrer, der ebenso auf seinem Recht beharrt wie Bernhardi, sowie Fred Hennings als wankelmütiger Unterrichtsminister hervorgehoben. Es gab starken Beifall.

Louis Gaulis aus der französischen Schweiz, Jahrgang 1932, Weltenbummler und als Dramatiker Außenseiter, hat mit seiner Chronik in fünf Bildern mit Prolog und Epilog: „Kapitän Karagöz“, ein nettes, zwischen Athen und Piräus beheimatetes Volksstück geschrieben. Freud und Leid, nicht fern von Sentimentalität, häufen sich um die Hauptgestalt, den vollblütigen, unbändigen Frauen-, Flaschen- und Tafelhelden Karagöz, eine großartige Rolle für Hermann Schömberg (aus Hamburg), unvergessen als Falstaff am Burgtheater. Georg Lhotzky leitete die sehr lebendige Aufführung, unterstützt von Bühnenbildner Gerhard Hruby. Unter den vielen Typen boten Heinrich Trimbur (Pope), Fritz Widhalm-Windegg (Hausierer), Susi Peter und Erika Mottl besonders ansprechende Leistungen. Ein fröhlicher Abend.

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